1. Im Rechtsstreit über die Rückforderung vom Arbeitgeber gezahlter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall konkretisieren sich die Darlegungslasten zur Leistungskondiktion wie folg:
2. Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss der Arbeitgeber durch von ihm darzulegende und ggf. zu beweisende Umstände in ihrem Beweiswert erschüttern.
3. Ansonsten widerlegt sie das behauptete Fehlen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.
4. Außerdem muss der Arbeitgeber konkreten Vortrag des Arbeitnehmers zu den Umständen der Erkrankung und einer daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit ggf. durch erfolgreiche Beweisführung widerlegen.
5. Erklärt sich der Arbeitnehmer nicht zu den konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit, so gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei nicht in Folge Krankheit arbeitsunfähig gewesen, und damit die Rechtsgrundlosigkeit der Entgeltfortzahlung als zugestanden.
[Amtliche Leitsätze]
I. Der Fall
Kündigung des Arbeitsverhältnisses Klägers
Die Parteien streiten im Rahmen einer Widerklage der Beklagten um die Rückzahlung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 15.11.2021 als Produktionsleiter beschäftigt. Nachdem der Geschäftsführer der Beklagten das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis am 26.10.2022 zunächst mündlich gekündigt hatte, meldete sich der Kläger am 27.10.2022 arbeitsunfähig krank. Mit Schreiben vom 28.10.2022, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis sodann ordentlich und fristgerecht zum 30.11.2022.
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Klägers für die Dauer der Kündigungsfrist
Der Kläger übersandte der Beklagten für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Am 27.10.2022 reichte er eine Erstbescheinigung für die Zeit vom 27.10.2022 bis zum 10.11.2022 ein. Am 9.11.2022 legte er eine Folgebescheinigung für die Zeit vom 9.11.2022 bis zum 30.11.2022 vor. Trotz der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nahm der Kläger am 12.11.2022 als Spieler an einem Handballspiel teil. Am 19.11.2022 fungierte er als Schiedsrichter eines Handballspiels.
geleistete Entgeltfortzahlung
Die Beklagte leistete an den Kläger Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 27.10.2022 bis zum 30.11.2022 in Höhe von insgesamt 4.271,42 EUR brutto.
Verfahrensgang
Mit der am 18.10.2023 zugestellten Widerklage verlangte die Beklagte die Rückzahlung der geleisteten Entgeltfortzahlung. Mit Urt. v. 16.11.2023 hat das Arbeitsgericht die Widerklage abgewiesen (ArbG Cottbus, Urt. v. 16.11.2023 – 1 Ca 1125/22). Im Berufungsverfahren hat die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und den Kläger zu verurteilen, Entgeltfortzahlung in Höhe von 3.363,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zurückzuzahlen und seinen Erstattungsanspruch gegen die Krankenkasse gem. § 26 Abs. 3 SGB IV wegen Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 908,08 EUR an die Beklagte abzutreten.
II. Die Entscheidung
Anspruchsgrundlage § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB
Die zulässige Berufung ist begründet. Anspruchsgrundlage für die Rückforderung der von der Beklagten geleisteten Entgeltfortzahlung ist § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB. Nach § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB ist derjenige, der durch die Leistung eines anderen auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet. Dies umfasst die Rückforderung vom Arbeitgeber erbrachter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei tatsächlich nicht bestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.
Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen der Arbeitsunfähigkeit
Zwischen den Parteien steht allein das Fehlen eines Rechtsgrundes im Streit. Für das Fehlen des Rechtsgrundes ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet. Daher hat die Beklagte darzulegen und ggf. zu beweisen, dass keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen und der Kläger die Entgeltfortzahlung ohne Rechtsgrund erhalten hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in der Regel keine Kenntnis von den näheren Umständen der Erkrankung des Arbeitnehmers und der daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit hat. Daher muss der Arbeitgeber durch von ihm darzulegende und ggf. zu beweisende Umstände zunächst nur den hohen Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Anderenfalls widerlegt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das behauptete Fehlen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Erklärt sich der Arbeitnehmer anschießend zu den konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit, muss der Arbeitgeber den konkreten Vortrag des Arbeitnehmers widerlegen. Erklärt sich der Arbeitnehmer dagegen nicht zu den konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei nicht infolge Krankheit arbeitsunfähig gewesen, gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
Indizien zur Erschütterung des Beweiswerts
Indizien zur Erschütterung des hohen Beweiswerts einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung können bspw. die passgenau zur Kündigungsfrist erfolgende Krankschreibung, die Missachtung bestimmter Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie und sportliche Aktivitäten während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit sein.
Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
In Anwendung dieser Grundsätze ist es der Beklagten gelungen, den Beweiswert der vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern. Der Kläger war angeblich passgenau für die Dauer der Kündigungsfrist arbeitsunfähig erkrankt. Zudem wurden Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie missachtet. Die vom Kläger für die Zeit vom 9.11.2022 bis zum 30.11.2022 vorgelegte Folgebescheinigung attestierte eine Arbeitsunfähigkeit für 20 Tage, obwohl nach § 5 Abs. 4 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie die voraussichtliche Dauer einer Arbeitsunfähigkeit nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden Zeitraum bescheinigt werden soll. Schließlich stützen die beobachteten sportlichen Aktivitäten die berechtigten Zweifel an einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit. Dass die Beklagte den medizinischen Dienst der Krankenkassen nicht um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten hat, ändert an dieser Beurteilung nichts.
kein Vortrag zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen
Da es der Beklagten gelungen ist, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern, hätte der Kläger vortragen müssen, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorgelegen und wie sie sich auf seine Arbeitsfähigkeit ausgewirkt haben. Der Kläger ist seiner Darlegungslast aber nicht nachgekommen. Infolgedessen gilt die Behauptung der Beklagten, der Kläger sei nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen, als von ihm nach § 138 Abs. 3 ZPO zugestanden.
Höhe des Rückzahlungsanspruchs
Der Höhe nach ist der begründete Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB auf die geleistete Bruttovergütung gerichtet. Die Vergütungspflicht erstreckt sich nicht nur auf die Nettoauszahlung, sondern umfasst auch die Leistungen, die nicht in einer unmittelbaren Auszahlung an den Arbeitnehmer bestehen. Fehlt es an einem Rechtsgrund für die von dem Arbeitgeber geleistete Vergütung, erlangt der Arbeitnehmer nicht nur die Auszahlung des entsprechenden Nettolohns und im Umfang der abgeführten Steuern eine entsprechende Befreiung seiner Steuerschuld, sondern auch durch die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung eine Leistung ohne Rechtsgrund. Daher hat der Arbeitnehmer nicht nur die Nettoauszahlung zzgl. der Lohnsteuerabzüge zu erstatten, sondern auch den Erstattungsanspruch gegenüber der Krankenkasse nach § 26 Abs. 3 SGB IV an den Arbeitgeber abzutreten.
III. Der Praxistipp
Entscheidung auf der Linie der Rechtsprechung des BAG
Die Entscheidung des LAG liegt auf der Linie der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Erschütterung des Beweiswerts ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (vgl. BAG, Urt. v. 8.9.2021 – 5 AZR 149/21; BAG, Urt. v. 28.6.2023 – 5 AZR 335/22; BAG, Urt. v. 13.12.2023 – 5 AZR 137/23). Kann der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, muss der Arbeitnehmer konkret darlegen und ggf. beweisen, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden. Dass der Kläger der ihm obliegenden Darlegungslast nicht nachgekommen ist, spricht für sich.
Rückzahlungsanspruch auf Bruttovergütung
Darüber hinaus stellt das LAG noch einmal klar, dass der Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB auf die vom Arbeitgeber geleistete Bruttovergütung gerichtet ist. Dabei ist beim Stellen der Anträge darauf zu achten, dass vom Arbeitnehmer die Rückzahlung des Nettolohns zzgl. der Abzüge für die Lohnsteuer verlangt werden kann. Im Hinblick auf die Sozialversicherungsbeiträge ist die Abtretung des Erstattungsanspruchs gegenüber der Krankenversicherung des Arbeitnehmers gem. § 26 Abs. 3 SGB IV zu beantragen.
Dr. Tilman Isenhardt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, isenhardt@michelspmks.de