Beitrag

LAG Niedersachsen: Betriebsabteilung in der Matrixstruktur

1. Eine Betriebsabteilung i.S.v. § 15 Abs. 5 KSchG ist ein räumlich und organisatorisch abgegrenzter Teil des Betriebes, der eine personelle Einheit erfordert, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehe und der einen eigenen Betriebszweck verfolgt.

2. Für die Annahme einer Betriebsabteilung des Vertragsarbeitgebers reicht es bei der Beschäftigung in einer Matrix-Struktur nicht bereits aus, dass nur eine einzelne Arbeitnehmerin aus einer betriebsübergreifenden Organisationseinheit im Betrieb des Vertragsarbeitgebers beschäftigt ist.

3. Matrix-Strukturen stellen vom Vertragsarbeitgeber unabhängig gestaltete Arbeitsorganisationen dar, die über das Vorliegen einer Betriebsabteilung nichts aussagen.

[Amtliche Leitsätze]

LAG Niedersachsen, Urt. v. 24.7.202315 Sa 906/22

I. Der Fall

ordentliche Kündigung der BR-Vorsitzenden

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin. Diese ist bei der Beklagten, einem Unternehmen mit dem Geschäftsgegenstand Vertrieb von und Handel mit Arzneimitteln und pharmazeutischen Chemikalien, als Global Process Expert im Bereich Finance & Controlling beschäftigt. Die Klägerin ist zudem die Vorsitzende des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats und Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen.

Matrix-Organisation

Die Klägerin ist fachlich dem „Director ERP – Finance & Controlling“ unterstellt, der Teil des weltweit agierenden „Global Information Technology Development Center“ ist, das hauptsächlich in Bangalore/Indien angesiedelt ist. Er ist nicht bei der Beklagten am Standort C-Stadt beschäftigt.

Betriebsänderung

Im Juli 2021 unterrichtete die Beklagte den am Standort C-Stadt gebildeten Betriebsrat über eine beabsichtigte Betriebsänderung und entschied, die inländischen Geschäftstätigkeiten der Bereiche Finance & Controlling auf sogenannte „Centers of Exellences (CoEs)“ im Ausland (Indien und USA) zu übertragen. Die Beklagte hörte den Betriebsrat zu der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin an, der dieser widersprach. Nichtsdestotrotz kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2022. Mit ihrer Kündigungsschutzklage wandte sich die Klägerin gegen die Kündigung und berief sich insbesondere auf ihren Sonderkündigungsschutz.

Verfahrensgang

Das ArbG Hannover gab der Klage statt (Urt. v. 3.11.2022 – 2 Ca 216/229).

II. Die Entscheidung

Zurückweisung der Berufung

Auch das LAG hielt die ausgesprochene Kündigung für unwirksam und wies die von der Beklagten eingelegte Berufung als unbegründet zurück. Zwar sei die Kündigung nicht wegen einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG unwirksam, da es sich bei der auf § 15 Abs. 5 KSchG gestützten Kündigung um eine ordentliche Kündigung handelt und es daher einer Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 BetrVG nicht bedürfe. Auch die Tatsache, dass die Beklagte dem Betriebsrat nicht ausdrücklich mitgeteilt hatte, dass die Klägerin Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen sei und deshalb Sonderkündigungsschutz nach § 179 Abs. 3 SGB IX genieße, sei unschädlich, da dem Betriebsrat dies aufgrund der Stellung der Klägerin als Vorsitzende des Betriebsrates bekannt war.

§ 15 Abs. 1 KSchG

Die Kündigung sei aber unwirksam gemäß § 15 Abs. 1 KSchG. Die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Zulässigkeit der Kündigung gemäß § 15 Abs. 5 KSchG lägen nicht vor, da die Klägerin nicht in einer Betriebsabteilung beschäftigt worden sei, die stillgelegt wurde. Der Bereich IT ERP – Finance & Controlling stelle keine Betriebsabteilung im Sinne des § 15 Abs. 5 KSchG dar.

keine Betriebsabteilung

Eine Betriebsabteilung i.S.v. § 15 Abs. 5 KSchG sei ein räumlich und organisatorisch abgegrenzter Teil des Betriebs, der eine personelle Einheit erfordere, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stünden und der einen eigenen Betriebszweck verfolge, auch wenn dieser in einem bloßen Hilfszweck für den arbeitstechnischen Zweck des Gesamtbetriebs bestehe. Diese Voraussetzungen lägen hingegen nicht vor. Weder sei erkennbar, dass die Klägerin einen räumlich abgegrenzten Teil des Betriebes der Beklagten bilde, noch liege eine personelle Einheit vor, aus der Rückschlüsse auf das Vorliegen einer Abteilung gezogen werden können.

kein organisatorisch abgegrenzter Teil des Betriebes

Die Klägerin stelle auch keinen organisatorisch abgegrenzten Teil des Betriebes der Beklagten dar. Die Beklagte habe die Klägerin innerhalb der bei ihr bestehenden Matrixstruktur dem Bereich „IT ERP – Finance & Controlling“ zugeordnet und dem „Director ERP Finance & Controller IT D“ unterstellt. Die Klägerin sei damit nicht organisatorisch eigenständig, sondern in eine Organisationsstruktur in Form einer Matrix eingebunden. Zwar sei nicht ausgeschlossen, dass innerhalb einer Matrixstruktur eigenständige Betriebsabteilungen bestehen können. Allein das Bestehen einer Matrixstruktur reiche aber nicht aus, um auf jeweils eigenständige Betriebsabteilungen im Sinne des § 15 Abs. 5 KSchG zu schließen.

reiner Wegfall der Arbeitsaufgaben genügt nicht

Auf die Frage, ob auf der Ebene der Matrixorganisation für Deutschland keine Abteilung „IT ERP – Finance & Controlling“ mehr besteht, komme es nicht an. Der reine Wegfall der Arbeitsaufgaben, die die Klägerin bisher ausgeführt hat, reiche wegen des Sonderkündigungsschutzes zur Rechtfertigung der Kündigung nicht aus.

III. Der Praxistipp

Matrixorganisationen und Arbeitsrecht

Bei der Beurteilung von Sachverhalten von Matrixorganisationen, insbesondere in multinationalen Unternehmen und Konzernen können klassische Rechtsbegriffe, wie Betrieb und Betriebsteil, die seit Jahrzehnten von der deutschen Arbeitsrechtsprechung geschärft wurden, nur sehr mühsam zur Anwendung kommen. Wie auch der vorliegende Fall zeigt, schließen Matrixstrukturen zwar das Entstehen eigenständiger Betriebsabteilungen zwar nicht aus, die Voraussetzungen sind aber nur sehr selten gegeben. Oftmals fällt es innerhalb der Organisation schon schwer, die organisatorische Abgrenzbarkeit zu belegen. Jedenfalls bei Personen mit Sonderkündigungsschutz führt dies dazu, dass die Kündigung nicht auf § 15 Abs. 5 KSchG gegründet werden kann.

Dr. Jannis Kamann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, kamann@michelspmks.de

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…