1. Rügt eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs, ist darüber nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vorab durch Beschluss zu entscheiden. Ist dies in erster Instanz unterblieben, muss die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs im Berufungsverfahren durch gesonderten Beschluss nachgeholt werden. Geschieht dies nicht, stehen § 17a Abs. 5 GVG i.V.m. § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG einer Prüfung des Rechtswegs durch das Bundesarbeitsgericht nicht entgegen.
2. Die Frage des Zugangs zu den Gerichten für Arbeitssachen und der Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der nationalen Gerichte fällt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts. Wer Arbeitnehmer im Sinne des ArbGG ist, bestimmt sich nach dem allgemeinen nationalen und nicht nach dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff.
3. Der Urlaubsabgeltungsanspruch des Fremdgeschäftsführers einer GmbH kann sich unmittelbar aus § 7 Abs. 4 BUrlG ergeben. Dies folgt – unabhängig davon, ob der Geschäftsführer nach nationalem Recht als Arbeitnehmer anzusehen ist – aus einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung der Vorschrift. Maßgeblich ist der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff.
[Amtliche Leitsätze]
I. Der Fall
Urlaubsabgeltung
Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung.
Hintergrund des Rechtsstreits
Die Klägerin war seit 1993 zunächst als Arbeitnehmerin bei einer zur Unternehmensgruppe der Beklagten gehörenden GmbH beschäftigt. Ab 2012 war sie sodann als „Geschäftsführerin“ bei der Beklagten zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 6.454,– EUR angestellt und wurde erneut bei der vorgenannten GmbH eingesetzt. Der Dienstvertrag der Klägerin sah nach sechsjähriger Betriebszugehörigkeit einen Urlaubsanspruch von 33 Tagen vor, welchen sie bei der Beklagten beantragen musste. Im Jahr 2019 nahm die Klägerin elf Tage und im Jahr 2020 keinen Urlaub in Anspruch. Die Beklagte übernahm für die GmbH entgeltliche Dienstleistungs- und Beratungstätigkeiten und stellte dieser dazu „ihre Geschäftsführerin … im erforderlichen Umfang für den o.g. Tätigkeitsbereich zur Verfügung“.
Vorgaben der Beklagten
Die Beklagte traf dabei detaillierte Anweisungen zur Arbeitszeit und zu den von der Klägerin zu erfüllenden Arbeitsaufgaben. So wurde der Klägerin eine Arbeitszeit von 7:00 bis 18:00 Uhr vorgegeben. Darüber hinaus hatte die Klägerin vormittags am Telefon eine sog. „Kaltakquise“ durchzuführen und nachmittags in eigener Initiative Leistungen anzubieten. Zudem wurde sie im Außendienst zu Kundenbesuchen und Kontroll- und Überwachungsaufgaben eingesetzt. Weiterhin musste die Klägerin wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachweisen. Darüber hinaus führte sie Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen.
Niederlegung der Geschäftsführertätigkeit
Im September 2019 legte die Klägerin ihr Amt als Geschäftsführerin nieder. Daran anschließend wurde die Klägerin aus dem Handelsregister ausgetragen. Mit Schreiben vom 25.10.2019 kündigte die Klägerin das Vertragsverhältnis zum 30.6.2020. Dabei erbrachte sie ab Ende August 2019 bis zur Beendigung des Vertragsverhältnisses keine Leistungen mehr, da sie arbeitsunfähig erkrankte.
Verfahrensgang
Das ArbG Minden gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte dazu, den nicht genommenen Urlaub der Klägerin abzugelten (Urt. v. 13.11.2020 – 2 Ca 705/20). Auch das LAG Hamm wies die Berufung der Beklagten zurück (Urt. v. 24.6.2021 – 5 Sa 1494/20).
II. Die Entscheidung
Revision unbegründet
Ebenso hat das BAG der Klägerin den geltend gemachten Urlaubsabgeltungsanspruch zugesprochen.
Urlaubsabgeltungsanspruch
§ 1 BUrlG bestimmt, dass jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub hat. Nach § 2 BUrlG sind Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Als Arbeitnehmer gelten auch arbeitnehmerähnliche Personen. Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht genommen werden, so ist er gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.
Urlaubsabgeltungsanspruch auch als Geschäftsführerin
Das BAG stellte im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung dar, dass sich der Urlaubsabgeltungsanspruch einer Fremdgeschäftsführerin einer GmbH auch aus § 7 Abs. 4 BUrlG ergäbe, insofern der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht gewährt werden könne. Dies gelte unabhängig davon, ob der Geschäftsführer nach nationalem Recht als Arbeitnehmer anzusehen ist, denn für das BUrlG sei allein der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff maßgeblich.
Herleitung
Grund hierfür ist, dass durch das BUrlG die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG umgesetzt werden. Bei der Anwendung von nationalem Umsetzungsrecht sind die nationalen Gerichte dazu gehalten, innerstaatliches Recht richtlinienkonform auszulegen, d.h. die Gerichte haben, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten. Die nationale Regelung ist so auszulegen, dass Widersprüche zum Unionsrecht vermieden werden. Die Bestimmung ist – so weit wie möglich – anhand des Wortlauts und des in der Richtlinie festgelegten Ziels zu interpretieren. Dementsprechend sind auch das BUrlG und der dortige Arbeitnehmerbegriff unionsrechtskonform auszulegen.
unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff
Nach dem EuGH ist als „Arbeitnehmer“ jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Dabei besteht das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH, Urt. v. 26.3.2015 – C 316/13). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist dabei nicht ausgeschlossen, dass das Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft „Arbeitnehmer“ im Sinne des Unionsrechts ist, auch wenn der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung geringer ist als der eines „üblichen“ Arbeitnehmers. Denn die Eigenschaft eines Arbeitnehmers im Sinne des Unionsrechts hängt von den Bedingungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde, der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt (EuGH, Urt. v. 9.7.2015 – C 229/14).
Weisungsgebundenheit der Klägerin
Nach den zuvor dargestellten Grundsätzen war die Klägerin nach Ansicht des BAG weisungsgebunden tätig. Denn es bestanden Vorgaben zur Arbeitszeit (7:00 bis 18:00 Uhr); zudem musste die Klägerin wöchentlich 40 Telefonate und 20 Besuche nachweisen. Auch die ihr übertragenen Aufgaben entsprachen typischen Aufgaben eines Angestellten („Kaltakquise“, Kundenbesuche, Kontroll- und Überwachungsaufgaben). Schließlich bestanden, nach Auffassung des BAG, keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin Mehrheitsgesellschafterin war oder eine Sperrminorität besaß.
Amtsniederlegung hat keinen Einfluss auf die Berechnung des Urlaubsanspruchs
Da der gesetzliche Urlaubsanspruch nach §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG allein das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraussetzt, wirkte sich der Umstand, dass die Klägerin ihr Geschäftsführeramt niederlegte, nicht auf die Berechnung des Urlaubs aus. Der Urlaubsanspruch steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer eine Arbeitsleistung erbracht hat, sondern er bemisst sich nach den regelmäßigen Tagen mit Arbeitspflicht. Durch die Niederlegung ihres Geschäftsführeramtes war es für die Klägerin auch nicht unmöglich, ihre vertraglichen Pflichten zu erfüllen, da auch Tätigkeiten unterhalb der Geschäftsführertätigkeit zum Gegenstand ihres Vertragsverhältnisses gemacht wurden. Die der Klägerin übertragenen Aufgaben („Kaltakquise“, Kontroll- und Überwachungsaufgaben, Vorstellungsgespräche- und Einstellungsverhandlungen) konnte die Klägerin auch nach Niederlegung ihres Amtes weiter ausführen.
III. Der Praxistipp
Konsequenz des Urteils
Bei konsequenter Anwendung der zuvor dargestellten Rechtsprechung müssten auch die durch die Rechtsprechung des BAG konkretisierten Hinweispflichten des Arbeitgebers bzgl. des Verfalls von Urlaubsansprüchen, sowie die Regelungen zum Verfall von Urlaub bei Langzeitkranken auf Geschäftsführer anwendbar sein. In diesem Fall müsste auch der Geschäftsführer auf seine bestehenden offenen Urlaubstage und den Verfall dieser hingewiesen werden. Es ist ratsam, dies bei der Gestaltung von Dienstverträgen mit Geschäftsführern sowie der praktischen Handhabung im Blick zu behalten.
Sophie Esser, Rechtsanwältin, Köln, esser@michelspmks.de