Beitrag

Neues zum betrieblichen Eingliederungsmanagement

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX zählt zu den Kernelementen des Gesundheitsschutzes im Arbeitsverhältnis. Es verpflichtet den Arbeitgeber, Maßnahmen zu ergreifen, sobald Mitarbeitende innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig sind. Ziel des BEM ist es, Möglichkeiten auszuloten, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden kann bzw. mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Das BEM ist in der Praxis längst etabliert, was vor allem damit zusammenhängen dürfte, dass ein zuvor durchgeführtes BEM die Erfolgschancen einer krankheitsbedingten Kündigung deutlich erhöht. In zahlreichen Urteilen hat das BAG die Anforderungen an die ordnungsgemäße Durchführung eines BEM präzisiert. Vor dem Hintergrund zweier neuerer Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21; BAG, Urt. v. 15.12.2022 – 2 AZR 162/22) fasst der nachstehende Beitrag die rechtlichen Anforderungen zusammen:

I.

Ordnungsgemäße Durchführung eines BEM

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein BEM durchzuführen, sobald die Voraussetzungen nach § 167 Abs. 2 SGB IX vorliegen, der Beschäftigte also innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war. Unterbleibt ein BEM oder wird dieses nicht ordnungsgemäß durchgeführt, sind hieran zunächst keine direkten Sanktionen geknüpft. Allerdings hat dies nach ständiger Rechtsprechung des BAG erhebliche Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten einer krankheitsbedingten Kündigung. Zwar ist die ordnungsgemäße Durchführung eines BEM keine formale Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Kündigung. Die Verletzung der Pflicht aus § 167 Abs. 2 SGB IX wirkt sich aber auf die Darlegungs- und Beweislast aus. Wird ein BEM nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt, kann der Arbeitgeber sich nicht pauschal darauf berufen, ihm seien keine alternativen, der Erkrankung angemessenen Einsatzmöglichkeiten bekannt (BAG, Urt. v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06). Vielmehr muss er dann umfassend und konkret zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz vortragen. Er muss insbesondere darlegen, warum eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung dieses Arbeitsplatzes nicht in Betracht kommt bzw. warum gesetzlich vorgesehene Hilfen, z.B. Leistungen des Rehabilitationsträgers, nicht zu einer künftigen Vermeidung der Arbeitsunfähigkeit hätten führen können (BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 288/13). Dies im Kündigungsschutzprozess darzulegen, wird dem Arbeitgeber in vielen Fällen nicht gelingen.

Wird ein BEM hingegen ordnungsgemäß durchgeführt, so hängen die kündigungsschutzrechtlichen Konsequenzen davon ab, mit welchem Ergebnis des BEM abgeschlossen wurde. Wurden im Rahmen des BEM Maßnahmen vereinbart, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, diese als milderes Mittel vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung umzusetzen. Kündigt er, ohne zumindest versucht zu haben, die beschlossenen Maßnahmen umzusetzen, muss er im Kündigungsschutzprozess darlegen, warum die Maßnahmen entweder undurchführbar waren oder selbst bei einer Umsetzung nicht zu einer Reduzierung der krankheitsbedingten Ausfallzeiten geführt hätten (BAG, Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08). Wurden hingegen keine Maßnahmen vereinbart oder hat sich der oder die Beschäftigte mit dem BEM nicht einverstanden erklärt, kann der Arbeitgeber sich im Kündigungsschutzprozess zunächst darauf zurückziehen, dass keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, im Einzelnen darzutun, dass entgegen dem Ergebnis des BEM alternative Einsatzmöglichkeiten bestehen.

Die für den Arbeitgeber günstigen kündigungsschutzrechtlichen Folgen treten jedoch nur dann ein, wenn das BEM formell ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Hier kommt es vor allem auf die formell einwandfreie Einladung zum BEM an. Diese muss nach der Rechtsprechung folgende Aspekte beinhalten:

  • Erörterung der Ziele des BEM, wobei mehr als eine bloße Bezugnahme auf den Gesetzestext verlangt wird. Im Einzelnen zählt hierzu der Hinweis darauf, dass das BEM der Klärung dient, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden wird, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt wird und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Der betroffenen Person muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen ihrer Beschäftigung geht und hierzu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das sie auch Vorschläge einbringen kann (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13);

  • Ein Hinweis darauf, dass die Teilnahme am BEM freiwillig ist und die betroffene Person entscheiden kann, wer an dem Verfahren teilnehmen darf (BAG, Beschl. v. 22.3.2016 – 1 ABR 14/14). Dies betrifft auch die mögliche Teilnahme des Rehabilitationsträgers, sofern Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht kommen (LAG Hessen, Urt. v. 13.8.2018 – 16 Sa 1466/17);

  • ein Hinweis darauf, dass die betroffene Person zusätzlich eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen kann, wobei es sich auch um Externe wie z.B. Familienangehörige, Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretäre oder Rechtsanwälte handeln kann;

  • ein Hinweis auf Art und Umfang der für die Durchführung des BEM erhobenen und verwendeten Daten. Erforderlich ist die Klarstellung, dass nur solche personenbezogenen Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung der betroffenen Person dienendes BEM durchführen zu können. Der betroffenen Person muss darüber hinaus mitgeteilt werden, welche Gesundheitsdaten als nach Art. 9 DSGVO besonders geschützte Daten erhoben und verarbeitet und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden (BAG, Urt. v. 20.11.2015 – 2 AZR 755/13). In der Praxis ist es ratsam, im Rahmen der Datenschutzerklärung zwischen Verfahrensdaten (etwa Personal- und Sozialdaten, Daten zu den Fehlzeiten, Tätigkeitsdaten, Angaben zu Verläufen und Ergebnissen des BEM sowie über die vereinbarten Maßnahmen) und Gesundheitsdaten (z.B. medizinisch-diagnostische Daten, gesundheitsbedinge Leistungseinschränkungen, Gesundheitszustand, Krankheitsursachen, ärztliche Atteste) zu differenzieren. Für letztere müssen vor dem Hintergrund der hohen Rechtfertigungsanforderungen an die Datenverarbeitung gemäß Art. 9 DSGVO größere Einschränkungen vorgesehen werden als für Verfahrensdaten.

II.

Frequenz der Durchführung

Nach dem Wortlaut des § 167 Abs. 2 SGB IX ist das BEM durchzuführen, sofern die betroffene Person innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist. In Anbetracht des Wortlautes entsprach es in der Vergangenheit der betrieblichen Praxis, bei relevanten Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen pro Jahr einmal ein BEM anzubieten.

Dieser betrieblichen Praxis wurde durch das Urteil des BAG vom 18.11.2021 – 2 AZR 138/21 – der Boden entzogen. Das BAG führt in dieser Entscheidung aus, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, jeweils ein weiteres BEM anzubieten, wenn nach Abschluss des letzten BEM innerhalb eines Jahres sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit aufgetreten sind, auch wenn der Wortlaut des Gesetzes ggf. die Interpretation zulasse, dass erst nach Ablauf eines Jahres ein weiteres BEM angeboten werden müsse. Sinn und Zweck der Regelung spreche jedoch dafür, bereits nach weiteren sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit erneut ein BEM anzubieten, auch wenn noch kein Jahr seit dem letzten BEM verstrichen sei. In der Konsequenz bedeutet dies, dass bei langzeiterkrankten Beschäftigten der Arbeitgeber jeweils sechs Wochen nach Abschluss des letzten BEM ein weiteres BEM anbieten muss. Auch wenn die Herleitung des Auslegungsergebnisses, die das BAG vornimmt, rechtlich nachvollziehbar erscheint, ist die Sinnhaftigkeit einer solchen Verpflichtung zu hinterfragen. Ein langzeiterkrankter Arbeitnehmer, der alle sechs Wochen von seinem Arbeitgeber eine Einladung zu eine BEM erhält, die er stets ausschlägt, dürfte dies eher befremdlich als fürsorglich empfinden.

Negative Rechtsfolgen für den Arbeitgeber hat dies freilich nur dann, wenn er tatsächlich die Kündigung des Arbeitsverhältnisses beabsichtigt. Insofern bleibt es für den Arbeitgeber folgenlos, wenn er in der Vergangenheit nicht stets nach sechs Wochen ein erneutes BEM angeboten hat. Beachten muss er allerdings, dass nach Abschluss des letzten BEM maximal weitere sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit hinzugekommen sind.

In vielen Fällen wird eindeutig feststellbar sein, in welchem Zeitpunkt das BEM beendet wurde. Das BEM ist jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einig sind, dass der Suchprozess abgeschlossen ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll (einvernehmliche Beendigung des BEM). Dies gilt gleichermaßen, wenn der Arbeitnehmer mit der Durchführung des BEM nicht einverstanden ist oder er oder sie das bereits eingeleitete BEM durch einseitige Erklärung abbricht. Das BAG geht indes davon aus, dass der Arbeitgeber das BEM grundsätzlich nicht einseitig beenden kann. Gibt es aus Sicht des Arbeitgebers keine Ansätze mehr für zielführende Präventionsmaßnahmen, sei der Klärungsprozess erst dann als abgeschlossen zu betrachten, wenn auch vom Arbeitnehmer und den übrigen beteiligten Stellen keine ernsthaft weiterzuverfolgenden Ansätze für zielführende Präventionsmaßnahmen aufgezeigt wurden. Wann in diesem Fall von einem Abschluss des BEM auszugehen ist, wird sich im Einzelfall nur schwierig bestimmen lassen. Allerdings spricht das BAG an, dass der Arbeitgeber den Beteiligten auch eine Frist setzen kann, Vorschläge zur Fortführung des BEM zu unterbreiten. Es ist vor diesem Hintergrund jedoch nicht auszuschließen, dass Arbeitnehmer versuchen könnten, das BEM „zu verschleppen“, um wegen der dann drohenden Kündigungsgefahr einen formellen Abschluss des BEM zu verhindern.

Besondere Schwierigkeiten können sich bei schwerbehinderten Beschäftigten ergeben. Hierfür ist bekanntlich die Zustimmung des Integrationsamts erforderlich. Nach § 171 Abs. 1 SGB IX „soll“ das Integrationsamt die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags treffen. In der Praxis wird diese Frist jedoch kaum je eingehalten. Ungeklärt ist, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, während des laufenden Zustimmungsverfahrens vor dem Integrationsamt ein weiteres BEM anzubieten, wenn in dieser Zeit erneut sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit aufgetreten sind. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass für diesen Fall kein weiteres BEM während des behördlichen Verfahrens zu fordern sei; analog § 174 Abs. 2 SGB IX genüge es, wenn die Zustimmung vor Eintritt der Voraussetzungen eines neuerlichen BEM beantragt werde und die Kündigung analog § 174 Abs. 6 SGB IX unverzüglich nach Vorliegen der Zustimmung des Integrationsamts ausgesprochen werde (vgl. Salamon/Maaß, NZA 2022, 384). Hiergegen spricht, dass nach Auffassung des BAG das Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt einerseits und das BEM andererseits unterschiedliche Ziele verfolgen und die prozeduralen Abläufe anders sind. Während Ziel des BEM sei, den Ausspruch einer Kündigung gerade zu vermeiden, gehe es bei dem Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt um die Prüfung eines vom Arbeitgeber bereits gefassten Kündigungsentschlusses (BAG, Urt. v. 15.12.2022 – 2 AZR 162/22). Andererseits kann es aus Arbeitgebersicht auch gefährlich sein, während des laufenden Zustimmungsverfahrens noch ein weiteres BEM einzuleiten. Der Arbeitgeber müsste in diesem Fall nämlich, auch wenn das Integrationsamt seine Zustimmung erteilt hat, zunächst den Abschluss dieses weiteren BEM abwarten. In diesem Fall kann er jedoch in Konflikt geraten mit der Frist des § 171 Abs. 3 SGB IX, wonach der Arbeitgeber die Kündigung nach Zustimmung des Integrationsamts nur innerhalb eines Monats erklären kann. Solange keine gerichtliche Klärung erfolgt ist, dürfte es weniger risikoreich sein, in einer derartigen Konstellation kein weiteres BEM einzuleiten.

III.

Einwilligung in die Datenverarbeitung

In einer weiteren Entscheidung vom 15.12.2022 – 2 AZR 162/22 – hat sich das BAG mit der Frage befasst, ob für die Durchführung des BEM eine datenschutzrechtliche Einwilligung erforderlich ist. Der Arbeitgeber hatte den betroffenen Arbeitnehmer zu einem BEM eingeladen und ihm hierbei eine datenschutzrechtliche Einwilligung übermittelt. Der Arbeitnehmer war mit dem BEM einverstanden, wollte jedoch die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht abgeben. Der Arbeitgeber hatte ihm hierauf mitgeteilt, dass ohne seine Unterschrift unter die vorformulierte Datenschutzerklärung ein BEM-Verfahren nicht durchgeführt werden könne. Das BAG ging davon aus, dass der Arbeitgeber pflichtwidrig die Durchführung des BEM unterlassen habe. Der Arbeitnehmer habe seine Bereitschaft zur Teilnahme am BEM ausdrücklich erklärt. Es sei die Arbeitgeberin gewesen, die entgegen den in § 167 Abs. 2 SGB IX enthaltenen Vorgaben die Durchführung des BEM von der Unterzeichnung der von ihr vorformulierten Datenschutzerklärung abhängig gemacht habe. Ein rechtfertigender Grund, von der Durchführung eines BEM abzusehen, lag nicht vor. Es sei der Arbeitgeberin auch ohne die verlangte Einwilligung möglich und zumutbar gewesen, mit dem BEM zu beginnen.

Dem BAG ist in jeder Hinsicht Recht zu geben, dass § 167 Abs. 2 SGB IX ausdrücklich nicht vorsieht, dass das BEM von der Abgabe einer datenschutzrechtlichen Einwilligung abhängt. Andererseits wurde bislang Arbeitgebern im arbeitsrechtlichen Schrifttum empfohlen, wegen der datenschutzrechtlich offenen Frage, ob die Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Rahmen des BEM nur auf Grundlage einer datenschutzrechtlichen Einwilligung zulässig ist, eine solche vor Einleitung des BEM einzuholen (vgl. die Nachweise bei Schmitt/Plote, NZA 2022, 1297). Die jetzige Situation ist für Arbeitgeber sehr unbefriedigend. Der Arbeitgeber, der entsprechend den Vorgaben des BAG im Urt. v. 15.12.2022 im Rahmen des BEM Gesundheitsdaten verarbeitet, ohne die Einwilligung des Arbeitnehmers einzuholen, könnte sich einerseits Bußgeldern, andererseits Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers ausgesetzt sehen. Eine Klärung der Rechtslage dürfte erst im Rahmen einer Entscheidung des EuGH zu erwarten sein.

Ulrich Kortmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

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