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Urlaub bis in alle Ewigkeit? – Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen

Bereits seit einigen Jahren ist das Urlaubsrecht immer wieder Gegenstand der Rechtsprechung, auch befeuert durch unterschiedliche Auffassungen des Bundesarbeitsgerichts einerseits und des Europäischen Gerichtshof andererseits, der immer wieder zu verschiedenen Fragestellungen Stellung genommen hatte.

Mit gleich drei Entscheidungen in kurzer Folge hat das Bundesarbeitsgericht sich nun mit der Frage des Verfalls von Urlaubsansprüchen auseinandergesetzt. Nachdem es zunächst unklar war, ob Urlaubs(abgeltungs)ansprüche, auf die nicht durch den Arbeitgeber ordnungsgemäß hingewiesen wurde, überhaupt noch verjähren, hat das Bundesarbeitsgericht nun in zwei weiteren Entscheidungen diese Befürchtungen abmildern können. Zumindest hinsichtlich der Urlaubsabgeltungsansprüche ist damit nun weitgehende Klarheit geschaffen. Gleichwohl müssen Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis nunmehr jährlich auf noch bestehende Ansprüche und deren Verfall hinweisen, da ansonsten am Ende des Arbeitsverhältnisses größere Abgeltungen drohen können.

In diesem sachlichen Zusammenhang möchte ich auch noch einmal auf § 17 BEEG hinweisen. Versäumt der Arbeitgeber, die Anrechnung der Elternzeit zu erklären, können bei längerer Abwesenheit hier ganz erhebliche Urlaubs- und Abgeltungsansprüche auflaufen. Die Anrechnung kann nur bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklärt werden, da sie nur auf den Urlaubs-, nicht aber auf einen Abgeltungsanspruch wirkt. Da sich ein Urlaubsanspruch aber mit dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses unumkehrbar in einen Abgeltungsanspruch wandelt, ist die Anrechnung damit gesperrt.

I.

Entscheidung aus Dezember 2022: Beginn der Verjährung erst nach Information

Mit seiner Entscheidung vom 20.12.2022 (9 AZR 266/20) entschied das Bundesarbeitsgericht, dass Urlaubsansprüche zwar der gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegen. Allerdings beginne diese erst am Ende des Kalenderjahres zu laufen, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe. Dies ergebe sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB, so dass die Verjährungsfrist nicht zwangsläufig mit dem Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres beginne, in dem der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber korrekt und vollständig über die bestehenden Urlaubsansprüche und die Verfallfristen belehrt worden sei.

Die Klägerin hatte nach Ende ihres Arbeitsverhältnisses im Jahr 2017 von ihrem Arbeitgeber Abgeltung für 14 Urlaubstage erhalten. In einem Bestätigungsschreiben aus dem Jahr 2012 war der Klägerin zudem bestätigt worden, sie habe weitere 76 Urlaubstage, die sie wegen betrieblicher Umstände nicht habe nehmen können. Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses verlangte sie dann innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist Abgeltung dieser bis dato nicht genommenen Urlaubstage. Die Beklagte hatte hiergegen die Einrede der Verjährung erhoben. Das Arbeitsgericht hatte die Klage zunächst abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hatte ihr hingegen in dem hier beschriebenen Umfang stattgegeben (LAG Düsseldorf, Urt. v. 21.2.2020 – 10 Sa 180/19).

Mit dieser Entscheidung setzte das Bundesarbeitsgericht eine Vorgabe des EuGH vom 22.9.2022 (C-120/21) um, nach welcher das Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen, die durch eine Verjährung bezweckte Rechtssicherheit überwiege. Der Arbeitgeber müsse selbst dafür sorgen, dass die Rechtssicherheit eintrete, indem er die Arbeitnehmer auf die bestehenden Urlaubsansprüche hinweise, um die Verjährungsfrist in Gang zu setzen.

Nach dieser eindeutigen Vorgabe des EuGH hatte das Bundesarbeitsgericht im Grunde keine Wahl mehr, als die beschriebene Entscheidung zu treffen.

Das Vorstehende gilt jedenfalls eindeutig im noch laufenden Arbeitsverhältnis, denn hier handelt es sich auch nach vielen Jahren noch um Urlaubs- und nicht um Urlaubsabgeltungsansprüche. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses wandeln sich jedoch Urlaubs- in Urlaubsabgeltungsansprüche. In der Entscheidung vom 20.12.2022 musste das BAG sich nicht mit der Frage befassen, ob die von ihm für die Urlaubsansprüche aufgestellten Grundsätze auch für Ansprüche auf Urlaubsabgeltung nach Ende des Arbeitsverhältnisses gelten mit der Folge, dass befürchtet wurde, diese würden bei nicht ordnungsgemäßer Information ebenfalls nicht mehr verjähren.

II.

Erste Entscheidung vom 31.1.2023: Verjährung der Urlaubsabgeltung

Am 31.1.2023 musste sich das Bundesarbeitsgericht (9 AZR 456/20) nun mit genau dieser Frage befassen. Der Kläger war von 2010 bis 2015 bei der Beklagten beschäftigt und machte mit seiner im August 2019 erhobenen Klage Abgeltung von Urlaub aus seiner Beschäftigungszeit geltend. Die Beklagte erhob hiergegen die Einrede der Verjährung.

Das BAG entschied, dass der Kläger für seine Urlaubsansprüche aus den Jahren 2010 bis 2014 Abgeltung verlangen konnte, nicht hingegen für die Ansprüche aus dem Jahr 2015.

Es machte deutlich, dass Urlaubsabgeltungsansprüche der dreijährigen Verjährung unterliegen. Diese Verjährungsfrist beginnt in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet. Das BAG bezog auch Stellung dazu, in welcher Beziehung diese Entscheidung zu der vorstehend besprochenen aus Dezember 2022 steht. Es stellte im Hinblick auf die Urlaubsabgeltungsansprüche nämlich klar, dass es für den Beginn der Verjährung nicht auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers (gemeint ist damit die vorstehend beschriebene Information über die Urlaubsansprüche und deren Verfall) ankomme. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bilde eine zeitliche Zäsur, da der Urlaubsabgeltungsanspruch – anders als der Urlaubsanspruch – nicht der Erholung und damit der Gesundheit diene, sondern lediglich der finanziellen Kompensation. Die strukturell schwächere Position des Arbeitnehmers, aus welcher der EuGH in seiner Entscheidung vom 22.9.2022 (C-120/21) die Möglichkeit der längeren Inanspruchnahme ableite, ende mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Damit ist klargestellt, dass zumindest die Urlaubsabgeltungsansprüche drei Jahre nach Ende des Jahres verjähren, in dem das Arbeitsverhältnis geendet hat.

Auf den ersten Blick verwundert natürlich, dass die älteren Ansprüche aus den Jahren 2010 bis 2014 noch nicht verjährt waren, während die Ansprüche aus dem Jahr 2015 der Verjährung unterlagen.

Grund für diese Differenzierung ist die Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 (C 684/16). Mit dieser Entscheidung hatte der EuGH bereits festgestellt, dass Urlaubsansprüche bei Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten nicht mehr verfallen.

Das BAG argumentierte nun, dass der Kläger erst ab diesem Zeitpunkt gehalten war, Abgeltung für die Urlaubsjahre von 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen. Vor diesem Zeitpunkt durfte der Kläger vermutlich zunächst davon ausgehen, dass seine Ansprüche ohnehin am Jahresende oder spätestens im März des Folgejahres verfallen waren. Erst die Entscheidung des EuGH brachte dahingehend die Wende und führte dazu, dass die Ansprüche auch am Ende des Arbeitsverhältnisses noch bestanden und sich in Abgeltungsansprüche wandelten. Mit seiner im Jahr 2019 erhobenen Klage hatte er diese Ansprüche noch rechtzeitig geltend gemacht, so dass diese Ansprüche daher nicht der Verjährung unterlagen.

Anders beurteilte das BAG die Ansprüche aus dem Jahr 2015. Hierbei handelte es sich um das Jahr, in welchem das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien geendet hatte. Schon auf Grundlage der früher (also vor der Entscheidung des EuGH) geltenden Rechtsprechung habe dem Kläger klar sein müssen, dass Urlaubsansprüche aus dem Jahr, in dem das Arbeitsverhältnis endet, abgegolten werden müssten. Daher habe die dreijährige Verjährungsfrist bereits Ende 2015 begonnen und Ende 2018 geendet. Die erst im Jahr 2019 erfolgte Klage komme daher für diese Ansprüche zu spät.

III.

Zweite Entscheidung vom 31.1.2023: Tarifvertragliche Ausschlussfrist und Urlaubsabgeltung

Auch in dieser Entscheidung (9 AZR 244/20) ging es um einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Der Kläger war seit 2007 als Redakteur bei der Beklagten beschäftigt und unterlag der Geltung des Manteltarifvertrages für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen (MTV). Dort ist eine dreimonatige Ausschlussfrist für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis enthalten, diese sind drei Monate nach Fälligkeit geltend zu machen. Das Arbeitsverhältnis endete am 30.9.2014, im August 2018 forderte der Kläger die Beklagte auf, 65 Urlaubstage aus den Jahren 2007 bis 2010 abzugelten.

Das BAG stellte grundsätzlich fest, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch tariflichen Ausschlussfristen unterfalle und der Senat hieran auch festhalte. Auch hier bezog sich das BAG auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als zeitliche Zäsur und die Tatsache, dass der Abgeltungsanspruch nicht mehr der Gesundheit, sondern lediglich der finanziellen Kompensation diene.

Zudem gelte auch hier die weitere Zäsur durch die Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 (C 684/16), wonach die Verjährung der Ansprüche nicht vor Ende 2018 zu laufen begonnen habe. Diesen Grundsatz wandte das BAG hier offensichtlich auch auf den Beginn der tariflichen Ausschlussfrist an. Ob das BAG auch eine Aussage dazu getroffen hat, ob arbeitsvertragliche Ausschlussfristen Urlaubsabgeltungsansprüche erfassen, geht aus der Pressemitteilung des BAG nicht hervor.

IV.

Bedeutung für die Praxis

Ohne einen Hinweis des Arbeitgebers auf die Höhe der Urlaubsansprüche und die anzuwendenden Verfallfristen folgt aus der Entscheidung des BAG aus Dezember 2022, dass Urlaubsansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis auch nach vielen Jahren noch geltend gemacht werden können. Arbeitgeber sollten also im laufenden Arbeitsverhältnis einen Standardprozess einrichten, damit Arbeitnehmer jedes Jahr über ihre bestehenden Urlaubsansprüche und die anzuwendenden Verfallfristen informiert werden.

Die auf diese Entscheidung befürchtete Klagewelle in den ersten Wochen des Jahres 2023 ist bislang ausgeblieben.

Arbeitgeber können sich zumindest dahingehend etwas entspannen, dass Urlaubsabgeltungsansprüche aus dem beendeten Arbeitsverhältnis immerhin auch ohne die jährliche Information jedenfalls mit Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endete, zu verjähren beginnen. Tarifliche Ausschlussfristen finden hierauf ebenfalls Anwendung. Es ist davon auszugehen, dass auch wirksam vereinbarte arbeitsvertragliche Ausschlussfristen weiterhin Urlaubsabgeltungsansprüche erfassen.

„Altfälle“, die noch mit der zeitlichen Zäsur der Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2018 kollidieren, treten nicht mehr auf, die oben beschriebene, damit zusammenhängende Problematik stellt sich somit für jetzt neu geltend gemachte Ansprüche nicht mehr.

Jan Schiller, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Düsseldorf, schiller@michelspmks.de

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