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LAG München: Keine Europarechtswidrigkeit der Ausschlussfristen des § 15 Abs. 4 AGG und § 61b Abs. 1 ArbGG

1. Die Zulässigkeit einer Berufung darf sich nicht auf die Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags beschränken und bedarf einer vertieften Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung, so dass zu erkennen ist, dass mit ihr eine andere rechtliche Wertung als die des Arbeitsgerichts erstrebt wird.

2. Sowohl die die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG als auch die Dreimonatsfrist § 61b Abs. 1 ArbGG sind europarechtskonform.

[Redaktionelle Leitsätze]

LAG München, Urt. v. 7.3.20224 Sa 512/21

I. Der Fall

Anspruch auf Entschädigung wegen Diskriminierung

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung wegen Diskriminierung. Der Kläger war bei der Beklagten aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrags vom 2.5.2019 befristet bis 30.4.2020 als Seminarleiter zu einer Bruttomonatsvergütung von 3.100 EUR tätig. Im Anschluss an die – zwischenzeitlich rechtskräftig festgestellte (ArbG München – 25 Ca 6071/20, LAG München – 2 Sa 16/21) – Beendigung des befristeten Anstellungsverhältnis zum 30.4.2020 machte er mit einem der Beklagten zugegangenen Schreiben vom 4.6.2020 wegen Verstoßes gegen das AGG „Schadensersatzansprüche“ in Höhe eines Betrags von 9.300 EUR geltend, die er mit Schriftsatz vom 1.12.2020, beim Arbeitsgericht München am gleichen Tag eingegangen, zum Gegenstand der Klage gemacht hat.

angebliche Diskriminierung

Erstinstanzlich hat der Kläger dazu geltend gemacht, er sei wegen seiner ethnischen Herkunft und seines Alters diskriminiert worden, indem er – anders als Kolleginnen und Kollegen aus Ägypten, Polen, Nordmazedonien und Albanien, aber wie ein kroatischer Kollege – nicht über den 30.4.2020 hinaus weiter beschäftigt worden sei, obwohl er die Probezeit bestanden und seine Kurse erfolgreich geleitet habe. Ein Kollege habe zudem eine höhere Vergütung als er – Ausgleich zum Kurzarbeitergeld und Coronazulagen – erhalten.

Ausschlussfristen

Die Frist des § 15 Abs. 4 AGG sei gewahrt, da er in dem Moment, in dem er Kenntnis vom Sachverhalt erlangt gehabt habe, mit Schreiben vom 4.6.2020 seine Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend gemacht habe. Außerdem habe er die relevanten Fristen – auch § 61b ArbGG – mit der Erhebung der Entfristungsklage eingehalten. Im Übrigen könne sich die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH nicht auf die Ausschlussfristen berufen; diese seien ihrerseits europarechtswidrig und der Rechtsstreit dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen.

Verfahrensgang

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, da der Kläger weder die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG noch die Dreimonatsfrist § 61b Abs. 1 ArbGG eingehalten habe und die hiergegen erhobenen Einwände nicht verfangen haben (ArbG München, Urt. v. 25.6.2021 – 6 Ca 14377/20).

II. Die Entscheidung

Berufung zurückgewiesen

Die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung hat das LAG München zurückgewiesen.

Berufung so gerade noch zulässig

Die Begründung genüge „gerade noch den Anforderungen des § 520 ZPO“. Auch wenn sie sich über weite Strecken auf die Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags beschränke und keine vertiefte Argumentation auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung hin biete, sei jedoch zu erkennen, dass mit ihr eine andere rechtliche Wertung als die des Arbeitsgerichts erstrebt werde.

Ausschlussfristen nicht gewahrt

Zutreffend habe das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung einen Anspruch des Klägers aus § 15 Abs. 2 AGG verneint und die Klage abgewiesen, da der Kläger die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG nicht eingehalten habe. Der Kläger habe seinen Entschädigungsanspruch mit Schreiben vom 4.6.2020, der Beklagten zugegangen am 6.6.2020, geltend gemacht und die Entschädigungsklage sei erst am 1.12.2020 und damit außerhalb der Dreimonatsfrist beim Arbeitsgericht eingegangen, so dass sie nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 6.9.2020 abgelaufen sei. Das Bundesarbeitsgericht habe zwar festgestellt, dass, dass tarifvertragliche Ausschlussfristen verfassungskonform dahingehend auszulegen seien, dass mit Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die davon abhängigen Ansprüche wegen Annahmeverzugs im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist gerichtlich geltend gemacht seien (BAG, Urt. v. 19.9.2012 – 5 AZR 627/11). Diese Entscheidung sei aber auf die vorliegende Konstellation nicht übertragbar, da es an einer entsprechenden Vorgreiflichkeit der Entscheidung im Entfristungsverfahren fehle. Die Entschädigung – so lautet es in den Entscheidungsgründen – knüpfe nach dem Vortrag des Klägers an eine diskriminierende Handlung, nicht an den Bestand des Arbeitsverhältnisses an bzw. an die mangelnde Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, nicht an eine eventuelle frühere Diskriminierung.

Ausschlussfristen auch nicht europarechtswidrig

Auch der Einwand der Europarechtswidrigkeit der Ausschlussfristen hat das LAG nicht überzeugt. Der EuGH habe die kürzere Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG unter dem Gesichtspunkt des Effektivitätsgrundsatzes nicht für bedenklich gehalten. Hiernach sei nicht ersichtlich, dass die Festlegung dieser Frist auf zwei Monate die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte unmöglich machen oder übermäßig erschweren könne, wenn zum einen diese Frist nicht weniger günstig sei als die für vergleichbare innerstaatliche Rechtsbehelfe im Bereich Arbeitsrecht und zum anderen die Festlegung des Zeitpunkts des Fristbeginns die Ausübung der Rechte nicht unmöglich mache oder übermäßig erschwere; letzteres sei von den nationalen Gerichten zu prüfen. Auch das Bundesarbeitsgericht habe wiederholt die Vereinbarkeit der Ausschlussfristen der §§ 15 Abs. 4 AGG, 61b Abs. 1 ArbGG mit den Vorgaben des Unionsrechts bejaht (BAG, Urt. v. 18.5.2017 – 8 AZR 74/16B; BAG, Urt. v. 24.9.2009 – 8 AZR 705/08); die Fristen wahrten sowohl den unionsrechtlichen Grundsatz der Äquivalenz als auch den der Effektivität und verstießen auch nicht gegen das in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG bestimmte Verbot der Absenkung des von den Mitgliedstaaten bereits garantierten allgemeinen Schutzniveaus.

keine Vorlagepflicht

Schließlich bestehe auch keine Verpflichtung zur Vorlage an den EuGH, da bereits die vom Kläger genannten Fragestellungen nicht vorlagefähig seien, da die Beurteilung der Diskriminierung des Klägers ebenso Anwendung innerstaatlichen Rechts sei wie die Subsumtion unter die (nationalen) Fristtatbestände und die Bewertung der Effektivität des Rechtsschutzes im Hinblick auf die Fristen ausdrücklich den nationalen Gerichten überlassen worden sei (EuGH, Urt. v. 8.7.2010 – C-246/09, Bulicke). Sie – so das LAG weiter – bestehe auch deshalb nicht, da nach Art. 267 Abs. 3 AEUV eine solche Vorlagepflicht nur dann gegeben sei, wenn sich eine zur Vorabentscheidung durch den EuGH berechtigte Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem nationalen Gericht stelle, dessen Entscheidung innerstaatlich nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden kann. Mangels vorlagefähiger Frage wie angesichts der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen des Berufungsgerichts liege ein solcher Fall hier nicht vor.

keine Zulassung der Revision

Die Revision wurde nicht zugelassen, da dem Fall keine besondere über die Klärung der zwischen den Parteien streitigen Rechtsfragen hinausgehende Bedeutung i.S.d. § 72 Abs. II Nr. 1 ArbGG zukomme.

III. Der Praxistipp

sorgfältige Begründung der Berufung

Lehrreich ist das Urteil zunächst in Bezug auf die Anforderungen an die Zulässigkeit einer Berufung. In bemerkenswerter Klarheit hat das LAG in einem deutlichen Seitenhieb festgestellt, dass die Begründung „gerade noch den Anforderungen des § 520 ZPO“ genüge. Das war knapp! Für die Praxis bedeutsam sind die weiteren Ausführungen, wonach die Berufung sich nicht auf die Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags beschränken dürfe und einer vertieften Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung bedürfe, so dass zu erkennen ist, dass mit ihr eine andere rechtliche Wertung als die des Arbeitsgerichts erstrebt wird. Auch wenn dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, sollte hier ein gewisses Mindestmaß an Sorgfalt an den Tag gelegt werden. Selbst wenn man der Auffassung ist, bereits alle Argumente hinreichend vorgetragen zu haben, sollten diese dennoch nochmals – ggf. etwas anders aufbereitet – vorgetragen werden und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den konkreten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils erfolgen.

Bestätigung der Rspr.

In der Sache selbst hat das LAG keinen Zweifel daran gelassen, dass der Einwand der Europarechtswidrigkeit der Ausschlussfristen des § 15 Abs. 4 AGG und § 61b Abs. 1 ArbGG nicht verfängt. Mit sehr deutlichen Worten hat das Gericht dem Kläger zu verstehen gegeben, dass es keinerlei Veranlassung sieht, von der diesbezüglichen „gesicherten“ Rechtsprechung des EuGH wie des BAG abzuweichen. Der geneigte Leser kann gleich mehrere „verbale Watschen“ goutieren, die völlig zurecht erfolgen.

Dr. Gunther Mävers, Maître en Droit, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, maevers@michelspmks.de

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