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BAG: Keine Addition der Werte von Kündigungsschutzklage und Annahmeverzugslohn

1. Bei der Berechnung des Streitwerts ist nach § 39 Abs. 1 S. 1 GKG der Wert mehrerer Streitgegenstände zusammenzurechnen. Dieses sog. Additionsprinzip kommt nicht zur Anwendung, wenn und soweit die vom Kläger verfolgten Anträge wirtschaftlich identisch sind.

2. Zwischen einer Bestandsschutzstreitigkeit und einem Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung besteht im Regelfall wirtschaftliche Identität, soweit die Bewertung des Kündigungsschutzantrags reicht. Dies hat zur Folge, dass eine Zusammenrechnung der jeweiligen Streitwerte unterbleibt. Maßgebend ist allein der höhere Streitwert.

[Orientierungssätze der Richter des BAG]

BAG, Beschl. v. 1.3.20229 AZB 38/21

I. Der Fall

befristeter Arbeitsvertrag

Die Klägerin war bei der Beklagten auf der Basis eines befristeten Arbeitsvertrages für die Zeit vom 15.4.2019 bis einschließlich 20.8.2019 beschäftigt. Mit Schreiben vom 29.5.2019 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis fristgerecht zum 30.6.2019.

Kündigungsschutz und Annahmeverzug

Zwischen den Parteien war vereinbart, dass die Klägerin für ihre Tätigkeit eine Wochengage in Höhe von 1.800 EUR brutto erhalten sollte. Mit der Klage macht die Klägerin einerseits die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung und andererseits Annahmeverzugslohnansprüche geltend.

Klageabweisung und Streitwertfestsetzung

Das Arbeitsgericht wies die Klage der Klägerin ab (ArbG Berlin, Urt. v. 28.8.2020 – 6 Ca 7322/19). Die hiergegen eingelegte Berufung blieb ebenfalls ohne Erfolg. Das LAG Berlin-Brandenburg setzte den Streitwert für das Berufungsverfahren zunächst auch 2.622,10 EUR fest (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 3.6.2021 – 10 Sa 1340/20). Auf Hinweis des Bezirksrevisors hob es diese Entscheidung auf und setzte den Streitwert in Höhe der zu erwartenden Vergütung für die Zeit vom 1.7.2019 – 20.8.2019 fest (LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 3.6.2021 – 10 Sa 1340/20).

Verfahrensgang

Das LAG hat in seiner Entscheidung zur Streitwertfestsetzung die Rechtsbeschwerde unter Hinweis auf die notwendige höchstrichterliche Klärung zugelassen. Mit ihrer Beschwerde macht die Klägerin geltend, dass die Werte für den Kündigungsschutzantrag und den geltend gemachten Annahmeverzug zu addieren seien.

II. Die Entscheidung

wirtschaftliche Identität der Streitgegenstände

Das Bundesarbeitsgericht weist die Rechtsbeschwerde der Klägerin zurück. Zur Begründung führt es aus, dass sich die Streitgegenstände eines Kündigungsschutzantrags und der Annahmeverzugslohnansprüche für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist wirtschaftlich decken. Der Anspruch auf den Annahmeverzugslohn könne nur dann gerechtfertigt sein, wenn die Kündigung unwirksam wäre.

keine Addition

Die wirtschaftliche Identität der Streitgegenstände rechtfertige es deshalb nicht, die Werte der Streitgegenstände zu addieren, was für die Parteien des Rechtsstreites zu höheren Gerichts- und Anwaltskosten führe. Anders als bei anderen Rechtsstreitigkeiten führten die Häufung von Streitgegenständen in diesen Fällen nicht zu einem gesteigerten wirtschaftlichen Interesse der Parteien. Dem stehe auch der Wortlaut von § 39 Abs. 1 GKG nicht entgegen. Vielmehr ergebe sich aus den besonderen Regelungen für arbeitsgerichtliche Verfahren (§ 42 Abs. 2 S. 1 GKG) das ein restriktives Verständnis der gesetzlichen Streitwertregelungen gerechtfertigt sei.

mögliche Ausnahmen

Das BAG lässt in seiner Entscheidung ausdrücklich offen, ob von dieser Maßgabe auch dann auszugehen sein, wenn der geltend gemachte Annahmeverzugslohn von weiteren Faktoren, wie bspw. der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers oder der Anrechnung anderweitigen Zwischenverdienst abhängig sei.

III. Der Praxistipp

Bestätigung des Streitwertkatalogs

Die Entscheidung des BAG ist keineswegs überraschend. Bereits der Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit sieht in der überarbeiteten Fassung vom 9.2.2018 vor, dass eine gesonderte Berücksichtigung des Wertes des Annahmeverzugslohns für die Zeit nach dem streitigen Beendigungszeitpunkt eines Beschäftigungsverhältnisses, nicht zusätzlich zum Wert der Kündigungsschutzklage zu berücksichtigen ist. Nachdem der Streitwertkatalog keine verbindliche Wirkung hat, dürfte aufgrund der nunmehrigen Entscheidung des BAG eine abschließende Klärung herbeigeführt sein. Gleichzeitig ist damit aus anwaltlicher Sicht auch offenkundig, dass die Geltendmachung der Annahmeverzugslohnansprüche im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens zu erfolgen haben.

Hinweis auf mögliche Ausnahmen

Zu beachten ist insoweit allerdings der Hinweis des BAG, dass auch weiterhin eine Addition der Werte der Streitgegenstände möglich ist, wenn die geltend gemachten Annahmeverzugslohnansprüche nicht nur aufgrund der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Kündigung, sondern auch aus anderen Gründen streitig sind.

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, pillok@michelspmks.de

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