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BAG: Kein Mindestlohn für ein Pflichtpraktikum

Praktikanten haben keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, wenn sie ein Pflichtpraktikum absolvieren, das nach einer hochschulrechtlichen Bestimmung Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums ist.

[Amtlicher Leitsatz]

BAG, Urt. v. 19.1.2022 – 5 AZR 2017/21

I. Der Fall

Die Parteien streiten über Vergütung nach dem Mindestlohngesetz für die Zeit eines Praktikums vor Aufnahme eines Medizinstudiums. Die Klägerin beabsichtigte, sich an der staatlich anerkannten privaten Universität Witten/Herdecke um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin zu bewerben. Nach der Studienordnung ist ein sechsmonatiger Krankenpflegedienst Zugangsvoraussetzung zu diesem Studiengang. Vor diesem Hintergrund wandte sich die Klägerin an die Beklagte, die ein Krankenhaus betreibt, um dort ein Praktikum durchzuführen. Vor Beginn des Praktikums legte die Klägerin der Beklagten auf deren Aufforderung einen Nachweis der Universität über die Erforderlichkeit eines sechsmonatigen Pflichtpraktikums vor. Aufgrund einer mündlichen Vereinbarung absolvierte die Klägerin dann in der Zeit vom 20.5. bis zum 29.11.2019 ein Praktikum auf der Krankenpflegestation der Beklagten.

Die Zahlung einer Vergütung wurde nicht vereinbart. Für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit erhielt die Klägerin keine Entgeltfortzahlung. Während der Zeit des Praktikums gewährte die Beklagte der Klägerin keinen Urlaub.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung von Vergütung für geleistete Arbeit, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsabgeltung auf Basis des gesetzlichen Mindestlohns von seinerzeit 9,19 EUR brutto verlangt. Sie habe im Rahmen einer 5-Tage-Woche täglich 7,45 Stunden Arbeit geleistet, die sich von der Vor-/Nachbereitung der Mahlzeiten und Hilfestellung bei der Einnahme durch die Patienten über die Begleitung der Patienten zu Untersuchungen, dem Aufräumen und Säubern der Zimmer und Betten, Botengängen im Krankenhaus, dem Aktensortieren, der Unterstützung der Krankenschwerstern bei der Körperhygiene der Patienten bis hin zum Vorbereiten von OP-Betten erstreckt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen (ArbG Trier, Urt. v. 10.6.2020 – 4 Ca 204/20). Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin zurückgewiesen (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.3.2021 – 8 Sa 206/20). Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Zahlungsklage weiter.

II. Die Entscheidung

Das BAG hielt die Revision in Bezug auf die geforderte Zahlung von Urlaubsabgeltung mangels ordnungsgemäßer Begründung der Revision bereits für unzulässig und im Übrigen für unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 i.V.m. § 22 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 MiLoG. Sie unterfalle nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes, weil sie ihr Praktikum verpflichtend aufgrund einer hochschulrechtlichen Bestimmung geleistet habe (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG). Um eine solche handelt es sich bei der Studienordnung der Universität Witten/Herdecke.

Nach § 22 Abs. 1 S. 1 MiLoG erstreckt sich der persönliche Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zwischen den Parteien war jedoch unstreitig, dass die Klägerin nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig geworden ist. Erweitert wird der persönliche Anwendungsbereich durch § 22 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 MiLoG, in dem Praktikantinnen und Praktikanten im Wege einer gesetzlichen Fiktion den Arbeitnehmern gleichgestellt werden. Die Klägerin war somit zwar Praktikantin im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 3 MiLoG.

Der Mindestlohnanspruch der Klägerin war aber dennoch ausgeschlossen, weil es sich bei dem von der Klägerin geleisteten Praktikum um ein aufgrund einer hochschulrechtlichen Bestimmung verpflichtendes Praktikum im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG gehandelt hat. Pflichtpraktika im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 MiLoG sind von der Pflicht zur Zahlung einer Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns ausgenommen. Das von der Klägerin geleistete Praktikum war ein Pflichtpraktikum in Sinne von § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG, weil es obligatorisch aufgrund der hochschulrechtlichen Bestimmung der Studienordnung zu leisten war.

Vorpraktika werden von der Ausnahmeregelung des § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG erfasst. Unter den Begriff der hochschulrechtlichen Bestimmung fallen neben Studien- und Prüfungsordnungen auch Zulassungsordnungen, die die Absolvierung eines Praktikums als Voraussetzung zur Aufnahme des bestimmten Studiums verpflichtend vorschreiben.

Die Klägerin hat das von der Studienordnung vorgeschriebene Pflichtpraktikum auch aufgrund einer Vereinbarung mit der Beklagten erbracht. Eine gesetzlich vorgegebene Notwendigkeit, einen entsprechenden Praktikumsvertrag schriftlich niederzulegen, bestehe nicht.

Das geleistete Vorpraktikum war aufgrund der hochschulrechtlichen Bestimmung auch objektiv verpflichtend. Insofern könne dahinstehen, ob von § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG nur Praktika erfasst würden, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften vorgeschrieben seien, weil die Universität Witten/Herdecke eine staatlich anerkannte Universität sei. Dies habe zur Folge, dass die von ihr normativ geregelten Zugangsvoraussetzungen zum Studium öffentlich-rechtlichen Regelungen gleichzustellen seien.

Schließlich sei das Praktikum nach den von der Klägerin vorgetragenen Tätigkeiten auch tatsächlich entsprechend den Bestimmungen durchgeführt worden.

III. Der Praxistipp

Der klaren und sorgfältig begründeten Entscheidung ist in allen Punkten zuzustimmen. Der Gesetzgeber hat Pflichtpraktika bewusst von der Mindestlohnpflicht ausgenommen. Damit will der Gesetzgeber sicherstellen, dass für obligatorische Praktika hinreichende Praktikumsplätze vorhanden sind. Darüber hinaus geht der Gesetzgeber davon aus, dass ein Missbrauch von Praktikanten als billige Hilfskräfte nicht zu befürchten ist, wenn das Praktikum auf Grundlage einer hochschulrechtlichen Bestimmung absolviert wird. Insofern führt das BAG überzeugend aus, dass auch die Studienordnung einer staatlich anerkannten privaten Universität eine hochschulrechtliche Bestimmung im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG darstellt.

In der Praxis sollte sichergestellt werden, ob die Voraussetzungen für ein vergütungsfreies Pflichtpraktikum vorliegen und deren Vorliegen auch vertraglich hinreichend abgebildet werden.

Dr. Tilman Isenhardt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, isenhardt@michelspmks.de

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