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LAG Niedersachsen: Schadensersatz wegen Verfalls des Zusatzurlaubes für Schwerbehinderte

Der Arbeitgeber ist gemäß § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, den schwerbehinderten Arbeitnehmer auf dessen Zusatzurlaub gemäß § 125 SGB IX a.F. hinzuweisen. Kommt der Arbeitgeber seinen Informations- und Hinweispflichten gemäß der Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 (– C-684/16) nicht nach, hat der Arbeitnehmer nach §§ 280 Abs. 1 und 3, 283 BGB i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB einen Schadensersatzanspruch im Form des Ersatzurlaubes, der sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 251 Abs. 1 BGB in einen Abgeltungsanspruch umwandelt.

[Amtliche Leitsätze]

LAG Niedersachsen,Urt.v.16.1.2019–2 Sa 567/18

I. Der Fall

Die Parteien, ein Einzelhandelsunternehmen und einer von weniger als 10 Arbeitnehmern, streiten im Nachgang zu einer Kündigung über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses sowie über Zahlungsansprüche, insbesondere wegen Urlaubsabgeltung und Schadensersatz wegen Verfalls von Urlaubsansprüchen.

Die Klägerin ist mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert. Während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses machte die Klägerin gegenüber der Beklagten zu keinem Zeitpunkt ihren Schwerbehindertenzusatzurlaub geltend. Auch wurde sie von der Beklagten weder auf diesen Zusatzurlaub hingewiesen noch aufgefordert, diesen in Anspruch zu nehmen. Es ist zwischen den Parteien streitig, ob die Beklagte bzw. deren Geschäftsführer Kenntnis von der Schwerbehinderung hatte.

Nach Erteilung der Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung durch das Integrationsamt mit Bescheid vom 27.11.2017 kündigte die Beklagte unter dem 30.11.2017 der Klägerin aus betriebsbedingten Gründen zum 31.1.2018. Mit der hiergegen fristgerecht eingelegten Kündigungsschutzklage begehrt die Klägerin den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses sowie Überstundenvergütung, Schadensersatz und Urlaubsabgeltung.

Nachdem das ArbG die Klage abgewiesen hatte (ArbG Hameln, Urt. v. 7.7.2018 – 1 Ca 409/17), hat das LAG die hiergegen eingelegte Berufung als teilweise begründet erachtet und insbesondere festgestellt, dass die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung gem. §§ 7 Abs. 4 BUrlG, 208 SGB IX habe. Die hiergegen eingelegte Revision hat das BAG zwischenzeitlich mit Beschl. v. 4.7.2019 – 2 AZN 286/19 – verworfen.

II. Die Entscheidung

Das LAG hat mit Urt. vom 16.1.2019 festgestellt, dass die gegen das erstinstanzliche Urteil von der Klägerin eingelegte Berufung nur teilweise begründet sei.

Nach Auffassung des LAG ist die Berufung in Bezug auf den Kündigungsschutzantrag unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung habe das Arbeitsgericht den Kündigungsschutzantrag der Klägerin als unbegründet abgewiesen. Die Kündigung sei nicht wegen eines Verstoßes gegen §§ 85 f. SGB IX a.F. unwirksam. Der Bescheid des Integrationsamtes vom 27.11.2017 sei ohne jede Bedingung und Auflage erlassen worden und enthalte entgegen der Auffassung der Klägerin keine Regelung dahingehend, dass die Kündigung erst zum 31.3.2018 hätte erklärt werden dürfen. Im Gegenteil habe das Integrationsamt in dem Bescheid ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kündigungsfrist gemäß § 86 SGB IX a.F. mindestens vier Wochen betrage.

Im Übrigen sei nicht ersichtlich und von der im Rahmen der Berufung insoweit darlegungs- und beweisbelastenden Klägerin auch nicht dargelegt, dass die streitbefangene Kündigung in einem Kleinbetrieb gegen die guten Sitten (§ 242 BGB) verstoße.

Die Berufung hatte indes Erfolg in Bezug auf die von der Klägerin geltend gemachten Urlaubsabgeltungsansprüche sowie Schadensersatzansprüche wegen Verfalls des Zusatzurlaubes für Schwerbehinderte. Während der Urlaubsabgeltungsanspruch sich aus den vertraglichen Vereinbarungen unter Berücksichtigung der sich im Rahmen der Auslegung ergebenden Umrechnung der vereinbarten 36 Werktage auf eine 5-Tage-Woche sowie der Fehlzeiten der Klägerin ergebe, ergebe sich der Zahlungsanspruch wegen Verfalls des Zusatzurlaubes für Schwerbehinderte unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes.

Die Klägerin habe gegenüber der Beklagten gem. §§ 125 IX a.F., 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 280 Abs. 3, 283 BGB i.V.m. §§ 249 Abs. 1, 251 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Abgeltung ihres Schwerbehindertenzusatzurlaubes für die Kalenderjahre 2015 bis 2017 i.H.v. 1.038,45 EUR brutto. Die insoweit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, wonach ein Schadensersatzanspruch auch ohne Urlaubsantrag des Arbeitnehmers bestehe, wenn der Arbeitgeber seinen Informations- und Hinweispflichten im Sinne der Auslegung durch den EuGH (EuGH, Urt. v. 6.11. 2018 – C-684/16 ) nicht nachgekommen ist, seien auf den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte zu übertragen. Diese Voraussetzungen seien vorliegend gegeben.

III. Der Praxistipp

Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer proaktiv dazu zu veranlassen, seinen Urlaub zu nehmen, anderenfalls der Arbeitnehmer weder seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Urlaub noch für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den entsprechenden Anspruch auf Urlaubsabgeltung verliert (EuGH, Urt. v. 6.11.2018 – C-684/16). Dem folgend bzw. sich fügend hat das BAG entschieden (BAG, Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 541/15), dass der Arbeitgeber nach § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet ist, den Arbeitnehmer auf nicht genommenen Urlaub hinzuweisen (vgl. dazu ausführlich Infobrief Arbeitsrecht 8/2019).

Dies überträgt das LAG Niedersachsen nun auch auf den Sonderurlaub für Schwerbehinderte mit der Begründung, dass dieser der Sicherung und Erhaltung der verbliebenen Arbeitskraft des Arbeitnehmers diene und daher ebenso an das rechtliche Schicksal des Mindesturlaubsanspruches gebunden sei (vgl. dazu schon BAG, Urt. v. 23.3.2010 – 9 AZR 128/09). Hierauf hat sich die Praxis einzustellen und Arbeitgeber haben sicherzustellen, dass Arbeitnehmer etwaig bestehende Resturlaubsansprüche nehmen sowie über den drohenden Verfall informiert werden, was für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung auch entsprechend zu dokumentieren ist.

Dr.Gunther Mävers, Maître en Droit, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

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