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BAG: Beschäftigungsanspruch in der Zwangsvollstreckung

1. Die Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis ist eine unvertretbare Handlung, zu der der Vollstreckungsschuldner nach § 888 ZPO durch Zwangsgeld und Zwangshaft angehalten werden kann.

2. Der Einwand, die Beschäftigung sei unmöglich geworden, ist grundsätzlich auch im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO zu berücksichtigen.

3. Bei der Prüfung, welche Verpflichtungen durch den Vollstreckungstitel festgelegt werden, können neben der Entscheidungsformel auch der Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Urteils herangezogen werden. Soweit das Gericht auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen hat, können auch diese Texte bei der Auslegung des Titels berücksichtigt werden.

4. Im Vollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO kann ein Zwangsmittel nur festgesetzt werden, wenn der zu vollstreckende Titel hinreichend bestimmt ist.

5. Ein auf Beschäftigung gerichteter Titel muss verdeutlichen, um welche Art von Beschäftigung es geht. Einzelheiten hinsichtlich der Art der Beschäftigung oder der sonstigen Arbeitsbedingungen muss der Titel nicht enthalten. Es genügt, wenn er das Berufsbild bezeichnet, mit dem der Arbeitnehmer beschäftigt werden soll, oder wenn sich in vergleichbarer Weise ergibt, worin die Tätigkeit bestehen soll.

[Redaktionelle Leitsätze]

BAG,Beschl.v.5.2.2020–10 AZB 31/19

I. Der Fall

Die Parteien streiten nach zahlreichen und langjährigen Bestandsschutzstreitigkeiten nun (noch) über ein Zwangsgeld, mit dem die vertragsgemäße Beschäftigung im bestehenden Arbeitsverhältnis erzwungen werden soll.

Der seit 1994 bei der Vollstreckungsschuldnerin, einem weltweit auf dem Gebiet der Informationstechnologie tätigen Konzern, zuletzt auf der Managerebene 3 als „Director Delivery Communication & Media Solutions Deutschland“ und „General Western Europe“ (GWE) beschäftigte Vollstreckungsgläubiger war innerhalb der sog. Subregion „Deutschland“ u. a. zuständig für die Großkunden Deutsche Telekom und Vodafone. Die Subregion „GWE“ umfasste die Länder Österreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande, Finnland und die baltischen Länder, Dänemark, Norwegen, Schweden und die Schweiz. Dem Vollstreckungsgläubiger unterstanden etwa 120 Arbeitnehmer.

Nachdem die Vollstreckungsschuldnerin den Vollstreckungsgläubiger am 5.8.2009 von seinen Aufgaben entbunden hatte, wurde sie durch das Arbeitsgericht verurteilt, den Vollstreckungsgläubiger „zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Direktor Delivery Communication & Media Solutions Deutschland und ‚General Western Europe‘ auf der Managerebene 3 zu beschäftigen“ und ihm dabei mindestens neun im Einzelnen näher beschriebene Tätigkeiten zuzuweisen.

Nach Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung und Einleitung der Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO erhob die Vollstreckungsschuldnerin beim Arbeitsgericht Vollstreckungsabwehrklage und stellte einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Im Zeitraum von April 2010 bis Mai 2013 erklärte die Vollstreckungsschuldnerin gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger drei Änderungskündigungen, eine außerordentliche Beendigungskündigung sowie eine Versetzung. Während sich die erste Änderungsschutzklage durch einvernehmliche Regelung der Parteien erledigte, wurden die außerordentliche Beendigungskündigung, die weiteren Änderungskündigungen und die Versetzung rechtskräftig für unwirksam erklärt.

Im Rahmen einer europaweiten Umstrukturierung des Konzerns im April/Mai 2015 wurde der Organisationsbereich Communication & Media Solutions einem anderen Geschäftsbereich zugeordnet. In diesem Zusammenhang entfiel schließlich der Arbeitsplatz, auf dem der Vollstreckungsgläubiger bis 2009 eingesetzt war.

Mit Urteil v. 21.3.2018 (10 AZR 560/16) wies das BAG die Vollstreckungsabwehrklage ab. Der Vollstreckungsschuldnerin sei es wegen der im April/Mai 2015 vollzogenen konzernweiten Umstrukturierung zwar unmöglich geworden, den Vollstreckungsgläubiger im titulierten Umfang zu beschäftigen. Die Vollstreckungsschuldnerin könne jedoch mit der Einwendung, die Beschäftigung sei unmöglich geworden, wegen des Dolo-agit-Gegenrechts des Vollstreckungsgläubigers nicht durchdringen. Er könne verlangen, dass ihm eine andere vertragsgemäße Beschäftigung zugewiesen werde.

Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat den Zwangsvollstreckungsantrag des Vollstreckungsgläubigers, gegen die Vollstreckungsschuldnerin wegen der Nichtvornahme der arbeitsvertragsgemäßen Beschäftigung als Director Delivery Communication & Media Solutions Deutschland und „General Western Europe“ auf Managerebene 3 ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, festzusetzen, zurückgewiesen und der dagegen eingelegten sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Beschl. v. 15.2.2012 – 7 Ca 6977/09). Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat die sofortige Beschwerde des Vollstreckungsgläubigers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen (Beschl. v. 9.8.2019 – 13 Ta 402/18). Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Vollstreckungsgläubiger weiterhin das Ziel, dass ein Zwangsgeld festgesetzt wird.

II. Die Entscheidung

Das BAG hat die Rechtsbeschwerde des Vollstreckungsgläubigers als unbegründet zurückgewiesen (Beschl. v. 5.2.2020 – 10 AZB 31/19). Das LAG habe die sofortige Beschwerde zu Recht zurückgewiesen; ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, könne vorliegend nicht nach § 888 Abs. 1 ZPO festgesetzt werden.

Bei der begehrten Beschäftigung handele es sich zwar um eine unvertretbare Handlung, zu der der Schuldner nach § 888 ZPO durch Zwangsgeld und Zwangshaft angehalten werden könne und auch die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung seien erfüllt.

Das LAG habe jedoch zutreffend erkannt, dass eine Beschäftigung des Vollstreckungsgläubigers mit der vom Arbeitsgericht titulierten Tätigkeit unmöglich geworden sei. Das Landesarbeitsgericht war gehalten, die Frage der Unmöglichkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO zu prüfen, da materielle Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch nicht ausschließlich im Verfahren der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO zu berücksichtigen seien, sondern auch im Zwangsvollstreckungsverfahren nach §§ 887, 888 ZPO zu beachten sein können. Aufgrund des durch die im April/Mai 2015 vollzogene konzernweite Umstrukturierung sei der Arbeitsplatz unstreitig in Wegfall geraten, wodurch die titulierte Tätigkeit unmöglich geworden sei i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB. Der Vollstreckungsgläubiger könne daher lediglich verlangen, ihm eine andere vertragsgemäße Beschäftigung zuzuweisen.

Das LAG sei weiterhin rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass ein Zwangsgeld auch nicht verhängt werden könne, um eine andere vertragsgemäße Beschäftigung zu erzwingen, da hierfür ein vollstreckbarer Titel fehle. Es könnten zwar neben der Entscheidungsformel auch der Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Urteils herangezogen (BAG, Urt. v. 27.5.2015 – 5 AZR 88/14) sowie auf hierin verwiesene Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen bei der Auslegung des Titels berücksichtigt werden (BAG, Urt. v. 15.4.2009 – 3 AZB 93/08). Die Auslegung des Urteils des Arbeitsgerichts ergebe indes, dass es keine andere als die ausdrücklich vom Vollstreckungsgläubiger begehrte Beschäftigung auf einem im Einzelnen beschriebenen Arbeitsplatz tituliert sei. Der Titel enthalte gerade keine darüberhinausgehende Verpflichtung zu einer anderen vertragsgemäßen Beschäftigung. Die Beschäftigungsklage richtete sich nach den im Urteil in Bezug genommenen Schriftsätzen auf den konkreten Arbeitsplatz, auf dem der Vollstreckungsgläubiger vor seiner Suspendierung zuletzt beschäftigt war. Er habe zur Begründung seines Beschäftigungsantrags darauf abgestellt, dass die Suspendierung rechtswidrig gewesen sei, und verdeutlicht, dass er mit den bisherigen Aufgaben beschäftigt werden wolle. Der Titel halte sich im Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 Abs. 1 S. 1 ZPO). Er lautet entsprechend dem Antrag des Vollstreckungsgläubigers ausdrücklich auf Beschäftigung „zu unveränderten Arbeitsbedingungen“ und bezeichnet den Arbeitsplatz konkret.

Selbst wenn sich aus dem Urteil des Arbeitsgerichts über den Wortlaut der Urteilsformel hinaus eine Verpflichtung zu einer anderen vertragsgemäßen Beschäftigung ergeben sollte, wäre der Titel insoweit jedenfalls nicht hinreichend bestimmt. Die Auslegung des Titels des Arbeitsgerichts zeige, dass er nicht bestimmt, welche andere Art der vertragsgemäßen Beschäftigung der Vollstreckungsgläubiger anstelle der ausdrücklich titulierten Tätigkeit verlangen kann. Aus dem Urteil lasse sich jedoch auch durch Auslegung nicht entnehmen, welche der umschriebenen Tätigkeitsmerkmale erfüllt sein müssen, damit eine Tätigkeit als vertragsgemäß anzusehen ist.

III. Der Praxistipp

Die nach erster Lektüre vor dem Hintergrund des komplexen Sachverhaltes und der langjährigen gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien nicht unbedingt „leicht verdauliche“ Entscheidung zeigt anschaulich die Tücken der Zwangsvollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs nach obsiegendem Urteil auf. Decken sich Antrag bzw. Tenorierung nicht mit der tatsächlich ausgeübten und weiterhin begehrten Beschäftigung, kann die grundsätzlich zulässige Zwangsvollstreckung der Beschäftigung an einem Arbeitsplatz durch Zwangsgeld und ggf. Zwangshaft schnell zu einem stumpfen Schwert werden. Dies ist letztlich die zwangsvollstreckungsrechtliche Konsequenz des im Zivilprozessrecht geltenden Dispositionsgrundsatzes (§ 308 Abs. 1 ZPO). Unter der Überschrift „Bindung an die Parteianträge“ lautete es dort in S. 1: „Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist.“ Es gilt somit nicht nur bei der Stellung der (angekündigten) Anträge in der Klageschrift und den Schriftsätzen, sondern insbesondere auch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung hellwach zu bleiben.

Der Vollstreckungsgläubiger ist aber nicht rechtlos gestellt. Zu Recht hat das BAG darauf hingewiesen, dass der Vollstreckungsgläubiger von der Vollstreckungsschuldnerin verlangen kann, ihm eine andere vertragsgemäße Beschäftigung zuzuweisen, wenn diese sich weiterhin auf die Unmöglichkeit der Zuweisung der titulierten Beschäftigung berufen sollte. Die Vollstreckungsschuldnerin sei durch den eng gefassten Beschäftigungstitel insbesondere nicht daran gehindert, dem Vollstreckungsgläubiger nach §§ 611 Abs. 1, 315 Abs. 1 BGB i.V.m. § 106 GewO eine andere vertragsgemäße Beschäftigung zuzuweisen. Die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen den Parteien könnte also durchaus eine Fortsetzung finden …

Dr.Gunther Mävers, Maître en Droit, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

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