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ArbG Offenbach am Main: Zugang zum Betriebsgelände nur mit negativem Covid-19-Test

1. Die Anordnung der Vorlage eines negativen Corona-Tests zum Zugang zum Betriebsgelände ist während der Covid-19-Pandemie und fortlaufend hoher Inzidenzahlen nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.

2. Mit der Anordnung kommt der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nach § 618 Abs. 1 BGB nach, Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit zu schützen, als die Natur der Dienstleistung es gestattet. Die mit der Durchführung des Corona-Tests einhergehende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität von kurzer Dauer und niederschwelliger Intensität ist demgegenüber nachrangig.

[Redaktionelle Leitsätze]

ArbG Offenbach am Main, Urt. v. 3.2.2021 – 4 Ga 1/21

I. Der Fall

Die Parteien streiten über die Berechtigung der Verfügungsbeklagten (im Folgenden Beklagte), den Zutritt zum Werksgelände davon abhängig zu machen, dass der Verfügungskläger (im Folgenden Kläger) einen negativen Covid-19-Test vorweist.

Der am 1959 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 4.4.1986 als Gabelstaplerfahrer in der Produktionshalle einer Gießerei tätig, wo über mehrere Tage betrachtet jeder Mitarbeiter mit jedem anderen Kollegen Kontakt hat. Alle Mitarbeiter sind daher angewiesen, den Sicherheitsabstand von 1,5 Meter einzuhalten. Sofern dies nicht möglich ist, besteht zudem seit einiger Zeit eine Verpflichtung zum Tragen von medizinischen Mund-Nasen-Schutz.

Mit E-Mail vom 6.1.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass Mitarbeiter sowie Externe nur mit einem negativen Covid-Test Zutritt zum das Firmengelände erhalten.

Am 13.1.2021 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat darüber hinaus eine Betriebsvereinbarung über die Einführung von Corona-Schnelltests. Diese enthält u.a. folgende Regelung:

„2. Corona-Schnelltests

2.1 Besteht ein begründeter Verdacht, dass sich Mitarbeiter mit dem Sars-CoV-2-Virus in dem Betrieb angesteckt haben oder ist das Risiko, dass sich Mitarbeiter mit dem Sars-CoV-2-Virus im Betrieb anstecken könnten deutlich erhöht, kann die Gesellschaft verlangen, dass sich alle oder einzelnen Mitarbeiter vor Arbeitsbeginn einem Corona-Schnelltest unterziehen. Ein erhöhtes Risiko liegt beispielsweise vor, wenn in dem Landkreis, in dem der Betrieb liegt, nach den Veröffentlichungen des RKI im Durchschnitt von sieben Kalendertagen mehr als 200 Personen je 100.000 Einwohner dieses Landkreises mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert wurden. Man kann ebenfalls davon ausgehen, dass aufgrund erhöhter Kontaktfrequenzen während der Weihnachtsfeiertage und Silvester ein erhöhtes Risiko vorliegt. Um ausschließen zu können, dass infizierte Kollegen die Arbeit nach den Weihnachtsfeiertagen aufnehmen und andere Kollegen infizieren haben wir uns entschieden Schnelltests anzubieten. Aufgrund des Risikos wird eine doppelte Testung durchgeführt: der erste Test am ersten Tag der Arbeitsaufnahme nach den Feiertagen und der zweite Test 5 Tage später. Gleiches gilt für Mitarbeiter, die in 2021 aus Urlaub oder Krankenstand (ab 14 Tagen), Elternzeit etc. in den Betrieb zurückkehren.“

Nachdem der Kläger am 18. und 25.1.2021 unentschuldigt von der Arbeit ferngeblieben war, erteilte die Beklagte unter dem 20. und 29.1.2021 Abmahnungen wegen unentschuldigten Fernbleibens von der Arbeit und zahlte für den Zeitraum ab 18.1.2021 kein Entgelt.

Der Kläger hingegen ist der Auffassung, die Beklagte sei verpflichtet, ihm einen vertragsgemäßen Arbeitsplatz anzubieten; sie sei insbesondere nicht berechtigt, den Zutritt zum Werksgelände von einem negativen Covid-Test abhängig zu machen, da die Einhaltung der Maskenpflicht und die Abstandsregelungen ausreichend geeignet, erforderlich und angemessen seien, um einen Schutz vor Ansteckung mit Covid-19 zu gewährleisten.

Der Kläger hat daher beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zum Zwecke der Erbringung seiner vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung den Zutritt zu ihrem Werksgelände zu gestatten, ohne dass der Kläger zuvor an einem Covid-19-Test teilnehmen muss oder einen Test mit negativem Ergebnis vorlegen muss.

II. Die Entscheidung

Das ArbG Offenbach am Main hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Urt. v. 3.2.2021 zurückgewiesen. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei unbegründet, da kein Verfügungsgrund bestehe.

Macht der Arbeitnehmer seinen Beschäftigungsanspruch im Eilrechtsschutz nach einer umstrittenen Ausübung des Direktionsrechts geltend, sei es dem Arbeitnehmer in der Regel nicht unzumutbar, der Anweisung zunächst Folge zu leisten und deren Rechtmäßigkeit sodann im Hauptsacheverfahren überprüfen zu lassen (vgl. LAG Hessen, Urt. v. 15.2.2011 – 13 SaGa 1934/10). Abgesehen von den Fällen einer offenkundigen Rechtswidrigkeit erfordere die Bejahung eines Verfügungsgrundes für eine entsprechende Einstweilige Verfügung ein gesteigertes Abwehrinteresse des Arbeitnehmers, wie es bei erheblichen Gesundheitsgefahren, einer drohenden irreparablen Schädigung des beruflichen Ansehens des Arbeitnehmers oder bei schweren Gewissenkonflikten bestehen könne.

Vorliegend sei die Anordnung, vor Zutritt zum Werksgelände einen negativen Corona-Test vorzulegen, nicht offenkundig rechtswidrig. Mit der Anordnung komme der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nach § 618 Abs. 1 BGB nach, den Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit zu schützen soweit es die Natur der Dienstleistung es gestatte. Die Anordnung der Beklagten diene dem Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer; mit ihr soll vermieden werden, dass sich Mitarbeiter mit dem SARS-CoV-2 Virus im Betrieb anstecken.

Die maßgebliche Regelung – so das Arbeitsgericht weiter – sei ferner nicht offensichtlich unverhältnismäßig. So sei die Durchführung eines Corona-Schnelltests geeignet, um den Nachweis von SARS-CoV-2 zu erbringen. Die Testung sei auch nicht offensichtlich unangemessen. Das Übermaßverbot sei gewahrt, da die Regelung bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe für den Betroffenen noch zumutbar sei.

Auch das gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sei gewahrt. Den Betriebspartnern steht bei der Bewertung und beim Ausgleich der zu berücksichtigenden betrieblichen Belange und der einander widerstreitenden Interessen ein breiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BAG, Urt. v. 19.1.1999, 1 ABR 499/98), von dem sie vorliegend in nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht hätten.

Schließlich gehe auch die gebotene Folgenabwägung zu Lasten des Klägers aus. Ergehe die begehrte einstweilige Verfügung nicht, könne der Kläger gleichwohl seine Arbeitsleistung erbringen, wenn er sich testen lasse. Dies stelle zwar eine Beeinträchtigung der körperlichen Integrität dar, die jedoch von kurzer Dauer und niederschwelliger Intensität sei. Erginge andererseits die einstweilige Verfügung, könnten durch den dadurch ermöglichten Zutritt des Klägers ohne negativen Covid-19 Test auf das Werksgelände hochrangige Rechtsgüter wie Leib und Leben der dort tätigen Personen gefährdet werden.

III. Der Praxistipp

Das ArbG positioniert sich unter zutreffender Abwägung der widerstreitenden Interessen eindeutig. Jedenfalls im einstweiligen Verfügungsverfahren sieht es keine Veranlassung, das berechtigte Interesse (und auch die Pflicht, vgl. §§ 611a, 618, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 3 ff. ArbSchG) des Arbeitgebers, andere Arbeitnehmer vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 zu schützen, hinter das Interesse des Arbeitgebers an einem Zugang zum Betrieb ohne Negativtest zurückzutreten zu lassen. Dies ist bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung mit Blick auf die in Rede stehenden Interessen (körperliche Unversehrtheit vs. Gefährdung von Gesundheit, Leib oder gar Leben) nicht zu beanstanden. Es ist daher auch ernsthaft zu bezweifeln, dass dies im Berufungsverfahren oder dem Hauptsacheverfahren anders gesehen werden würde.

Das Urteil des ArbG Offenbach ist eines der ersten Urteile, welches sich mit der Fragestellung befasst. Es bleibt daher nicht nur der Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, sondern auch die weitere Entwicklung der Rechtsprechung. In Schrifttum findet das Urteil – soweit ersichtlich – überwiegend Zustimmung.

Dr.Gunther Mävers, Maître en Droit, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

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