Beitrag

ArbG Berlin: Home-Office als milderes Mittel zur arbeitsortbezogenen Änderungskündigung

  Bei einer Änderung der Arbeitsbedingungen durch Änderungskündigung aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung muss sich diese auf das Maß beschränken, das für die Durchsetzung der unternehmerischen Entscheidung unabdingbar ist. [Amtlicher Leitsatz]   ArbG Berlin, Urt. v. 10.8.2020 – 19 Ca 13189/19

I. Der Fall

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung sowie für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung über die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin eine Sozialplanabfindung in streitiger Höhe zu zahlen. Die Klägerin war seit dem 1.11.1992 bei der Beklagten als Vertriebsassistentin beschäftigt. Mit Schreiben vom 10.10.2019 sprach die Beklagte die Kündigung aus und bot der Klägerin gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses an einem anderen Arbeitsort an. Zuvor hatte die Beklagte mit dem bei ihr eingerichteten Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan vereinbart. Die Beklagte beabsichtigte, den gesamten Vertriebsdienst zu restrukturieren, und wollte daher die Niederlassung, in welcher die Klägerin beschäftigt wurde, bis zum 31.12.2019 vollständig schließen. Die Klägerin hielt die Änderungskündigung für sozial ungerechtfertigt. Die behauptete unternehmerische Entscheidung zur Restrukturierung des Vertriebsdienstes habe es nie gegeben. Zudem bestünde die Möglichkeit, dass sie ihre Tätigkeit zukünftig aus dem Home-Office heraus erbringe. Eine Weiterbeschäftigung im Home-Office sei in jedem Fall das mildere Mittel zu der streitgegenständlichen Änderungskündigung und außerdem problemlos möglich. Die Beklagte habe die Arbeitsabläufe in den letzten Jahren bereits vollständig digitalisiert. Die Verweigerung sei umso unverständlicher, als dass der Ehemann der Klägerin bereits aus dem gemeinsamen Haushalt heraus für die Beklagte tätig sei. Die Beklagte begründete die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse. Der Klägerin könne ausschließlich die Tätigkeit in einer anderen Niederlassung angeboten werden. Sie könne ihre Tätigkeit nicht von Zuhause aus erbringen, da für Mitarbeiter, die nicht im Außendienst tätig sind, einschließlich der vormaligen Niederlassungsleiter, keine entsprechende Möglichkeit eröffnet sei. Auch die Teamleiter seien nicht aus dem Home-Office tätig. Das Arbeitsgericht Berlin hat der Kündigungsschutzklage stattgeben. Gegen die Entscheidung wurde zwischenzeitlich Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (4 Sa 1243/20) eingelegt.

II. Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht Berlin hielt die streitgegenständliche Änderungskündigung für sozial ungerechtfertigt. Einer Entscheidung über die streitige Sozialplanabfindung bedurfte es daher nicht. Zur Überzeugung des Arbeitsgerichts habe es die behauptete unternehmerische Entscheidung zur Schließung der Niederlassung, in welcher die Klägerin beschäftigt wurde, zwar gegeben. Dies habe auch zu einem Wegfall der der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit geführt. Die Beklagte hätte sich jedoch bei der Änderung der Arbeitsbedingungen auf das Maß beschränken müssen, das für die Durchsetzung der unternehmerischen Entscheidung unabdingbar sei. Vorliegend hätte die Beklagte der Klägerin nach Ansicht des Arbeitsgerichts eine Weiterbeschäftigung im Home-Office anbieten müssen. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Beschäftigung im Home-Office bestehe zwar auch aus Sicht des Arbeitsgerichts Berlin grundsätzlich nicht. Es seien aber stets die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Diese sprächen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Beklagte die Notwendigkeit der zwingenden physischen Präsenz nicht dargelegt hatte – vorliegend für eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Home-Office. Die Tätigkeit der Kläger sei zur Überzeugung des Arbeitsgerichts bereits soweit digitalisiert, dass eine Tätigkeit aus dem Home-Office problemlos möglich sei. Da außerdem bereits der Ehemann der Klägerin von Zuhause aus beschäftigt werde, bestehe bei der Beklagten offensichtlich auch die technische Infrastruktur hierzu. Angesichts der nunmehr deutlich stärker erfolgten Verbreitung elektronischen Arbeitens von Zuhause aus durch die Corona-Krise erscheine das Verhalten der Beklagten nach Ansicht des Arbeitsgerichts als aus der Zeit gefallen und letztlich willkürlich.

III. Der Praxistipp

Das Arbeitsgericht Berlin schließt sich im Grundsatz der oftmals zitierten Entscheidung des Arbeitsgerichts Augsburg an (vgl. Urt. v. 7.5.2020 – 3 Ga 9/20). Einen generellen Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Tätigkeit im Home-Office verneint auch das Arbeitsgericht Berlin. Allerdings kommt das Arbeitsgericht Berlin im Rahmen der Prüfung eines milderen Mittels zur Änderungskündigung – wie auch schon im Jahre 2006 der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 2.3.2006 – 2 AZR 64/05) – zu dem Ergebnis, dass eine Tätigkeit im Home-Office im Einzelfall als Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in Betracht kommen kann. Man muss sich jedoch vor Augen führen, dass es sich bei dieser Entscheidung um eine Einzelfallentscheidung handeln dürfte. Zur Überzeugung des Gerichts war einerseits bereits ein Home-Office-Arbeitsplatz eingerichtet. Erschwerend kam anderseits hinzu, dass die Klägerin vortragen konnte, ihr Ehemann werde bereits aus dem gemeinsamen Haushalt heraus beschäftigt. Eine generelle Rechtsprechungsänderung dahingehend, dass es sich bei einer Tätigkeit im Home-Office stets um ein milderes Mittel zur Änderungskündigung handelt, ist daher vermutlich nicht zu erwarten. Ob die Entscheidung der Kontrolle durch das Landesarbeitsarbeit Berlin-Brandung standhalten wird, bleibt daher insbesondere auch vor dem Hintergrund der aus Art. 2 Abs. 1, Art. 12, 14 GG folgenden Unternehmerfreiheit mit Spannung abzuwarten. Adrian Mrochen, Rechtsanwalt, Köln

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…