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„Wir haben jetzt viel mehr mit Spielplagiaten zu tun“

Ein paar Brettspiele, Holzfiguren und klickernde Becher im Würfel. Klingt nostalgisch? Ist es auch. Wer auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken durch Spielwarenabteilungen bummelt, entdeckt längst eine moderne Spielewelt, die bildgewaltig, vielfältig und digital daherkommt. Dahinter steckt jede Menge Arbeit, nicht nur von Spieleautoren und Ingenieuren, die sich Fantasiewelten, raffinierte Strategien und technische Überraschungen ausdenken, sondern auch von Anwälten. Deren Job ist es, dass das Produkt auch juristisch korrekt „durchgespielt“ wird, bevor es im Laden steht. Christoph Sperlich kennt sich aus damit, denn er ist seit rund zehn Jahren beim Spielehersteller Ravensburger als Jurist dabei. Ein Gespräch über komplexe Verträge mit Spieleautoren und Influencern, lästige Plagiate und den Augenblick, wenn man eine Lagerhalle betritt und das Werkzeug von Fälschern beschlagnahmt wird.

Das derzeit größte Puzzle von Ravensburger hat rund 40.000 Teile. Steht das auch bei Ihnen im Regal direkt neben dem ZPO-Kommentar? Müssen Sie alle Ihre Produkte kennen?

(lacht) Ich habe gerade keines unserer Puzzles hier im Büro. Es macht aber natürlich immer Sinn, wenn man sich als Anwalt mit der Materie beschäftigt, mit der man juristisch zu tun hat. Ich würde jedoch sagen, man muss nicht der klassische Gamer sein oder viele Spiele daheim im Schrank stehen haben, wie es vielleicht bei einigen Mitarbeitern unserer Redaktion der Fall ist. Aber eine gewisse Kenntnis der Materie, natürlich auch über den Spielemarkt, ein Gespür für das Umfeld und eben nicht nur der Jurist zu sein, das hilft natürlich.

Wenn Sie schon nicht puzzeln: Welche Aufgaben gehören zu einem klassischen Arbeitstag?

Ein klassischer Arbeitstag hat tatsächlich den Reiz, dass ich eben nicht weiß, wie er genau ablaufen wird. Ein Hauptteil ist neben den Verträgen die Pflege und Verwaltung von Intellectual Property, also das geistige Eigentum. Ich schaue mir an, welche Marken wir schützen oder neu anmelden müssen. Oder es liegen vielleicht neue Designs und Spieleverpackungen für neue Produkte von uns vor, die ich anmelden möchte oder es wurden Rechte von Ravensburger verletzt, so dass wir aktiv werden müssen. Diese Vorgänge sind ein wesentlicher Bestandteil im Job.

Und das oft unter Zeitdruck?

Es sind gar nicht mal die üblichen prozessualen Fristen zum Jahresende, aber wenn wir beispielsweise ein Design für ein Spiel anmelden, müssen wir das vor der nächsten Spielwarenmesse erledigen, auf der wir unser Produkt präsentieren wollen.

Plagiate haben massiv zugenommen. Existieren insoweit spezialisierte Gerichtsbarkeiten?

Klassischerweise bewegen wir uns in der Rechtsabteilung im Urheberrecht, auch bei Nachahmungen von unseren Produkten, das ist der klassische Aufhänger. Also wenn jemand das Design oder Illustrationen eines Brettspiels so gestaltet, dass sich schon aufdrängt, dass man sich bei uns bedient hat, gehen wir aus dem Urheber- oder Designrecht vor. Eine spezielle Fachgerichtsbarkeit gibt es hier nicht, am Ende ist man im Urheber- und Markenrecht und damit bei deren Spezialzuständigkeiten. Global betrachtet hat sich tatsächlich geändert, dass wir mit solchen Plagiaten immer stärker konfrontiert sind und darauf reagieren müssen.

Wie agieren Sie in solchen Fällen?

Wir arbeiten zum Beispiel mit einer Software, die verschiedene Plattformen scannt, auf der fast eins zu eins oder relativ nahe davon die Designs und Gestaltungsformen von Produkten übernommen werden. Das gab es früher zwar auch, aber nicht so aggressiv und das sind nun auch meist nicht konkurrierende Spielehersteller.

Sondern?

Zuletzt hat Corona seinen Teil dazu beigetragen. Einige haben gesehen, dass die Nachfrage nach Spielen oder Puzzles während der Pandemie stieg. Zeigt sich, dass sich ein bestimmtes Spielprodukt oder Motive gut verkaufen, wittern auch Dritte ein Geschäft, die gar nicht zwingend aus der Spielwarenbranche kommen müssen, aber nun einfach das Produkt kopieren und auf den Markt werfen. Wir agieren allerdings nicht in einer Branche, in der man sich regelmäßig im Rahmen von einstweiligen Verfügungsverfahren vor Gericht trifft. Hin und wieder sind gerichtliche Auseinandersetzungen nicht zu vermeiden, aber Sie werden keine Fülle an Entscheidungen finden, bei denen Spielwarenhersteller beteiligt waren.

Man ist natürlich klug genug, nicht gleich unser Logo zu verwenden. Plagiate löschen oder von Plattformen entfernen zu lassen, wenn ganz offensichtlich eine Markenverletzung vorliegt, das ist einfach. Aber eben dieser Fall liegt meist nicht vor. Schwieriger ist es, Ansprüche aus dem Urheberrecht geltend zu machen. Dies liegt auch daran, dass wir häufiger mit externen Autoren und Illustratoren zusammenarbeiten. Es sind dann also nicht originär Ansprüche von Ravensburger, sondern solche der Autoren oder Grafiker, mit denen wir zusammenarbeiten.

Sie landen auch schon einmal direkt in einer Werkshalle, wenn sich jemand an geschützten Inhalten bedient.

Genau, es kommt immer ein wenig darauf an, welchen Weg man geht. In der Vergangenheit hatten wir in einem Fall schon mal versucht, die Quelle auszutrocknen, wo Plagiate hergestellt wurden. Das war ein sehr langer Prozess, ging über ein Jahr, bis wir dann in die jeweilige Fabrik gehen und dort auch das Werkzeug beschlagnahmen lassen konnten, mit denen dort Plagiate produziert wurden. Im Vorfeld war eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Behörden erforderlich, die sehr gut funktionierte, aber dennoch Zeit kostete. Wenn wir Plattformbetreiber informieren, dass potenziell rechtsverletzende Produkte auf deren Plattform angeboten werden, dann läuft das in der Regel sehr schnell.

Einen weiteren Schwerpunkt Ihrer Arbeit bildet die Erstellung von Verträgen.

Das stimmt, allerdings gehen nicht wir direkt mit unseren Geschäftspartnern in die Verhandlung, sondern stellen Vertragsmuster zur Verfügung. Diese werden dann von unseren Fachabteilungen verwendet und wir beraten bei Rückfragen. Letztlich geht es darum, dass unsere Produkte auch im Ausland vertrieben werden können. In diesem Zusammenhang spielt auch die Verkehrsfähigkeit der Produkte eine wichtige Rolle, also dass sie jeweils gesetzeskonform sind und verkauft werden können. So hatten wir schon Fälle, in denen ein Produkt bzw. einzelne Komponenten in vielen Ländern verkehrsfähig waren, aber in einem bestimmten Land ein Gesetz anders ausgelegt wurde. Wir haben dann landesspezifische Anpassungen vorgenommen. Es werden grundsätzlich keine unterschiedlichen Ausgaben eines Spiels konzipiert, es soll universell hergestellt und überall vertrieben werden können, allerdings mit verschiedenen, in den jeweiligen Ländern anfallenden, Sicherheitshinweisen beispielsweise.

Welche Kontakte knüpfen Juristen wie Sie? Ist die Spielwarenbranche doch eher eine Nische oder ein Arbeitsbereich wie jeder andere?

Dadurch dass wir global aktiv sind, haben wir auch internationale Kontakte mit externen Anwälten. Das geht dann in verschiedene Richtungen. Unser Job ist es beispielsweise bei der Namensfindung von neuen Produkten zu unterstützen, uns marken- oder designrechtlich von der Konkurrenz zu unterscheiden. Wir schauen, ob es schon etwas Ähnliches auf dem Markt gibt und wir keine Rechte verletzen. Das sind dann Dinge, die wir intern oder mit externen Anwälten in den Ländern klären, in denen das Produkt vertrieben werden soll.

Aber dass wir jetzt die Produkte auf dem Markt so gut wie unsere Redakteure oder die Vertriebs- und Marketingkollegen kennen, stimmt nicht. Deshalb brauchen wir auch deren Expertise.

Früher waren Spielwarenunternehmen nicht derart breit aufgestellt. Heute finden sich wie bei Ravensburger mehrere Marken unter einem Dach, werden unterschiedlichste Erlebnis- und Gestaltungswelten bedient, Spiele personalisiert oder an digitale Spieleplattformen gebunden. Richtet sich dann auch die juristische Arbeit neu aus?

Gar nicht mal so sehr, wie man vielleicht vermutet. Natürlich, wenn Sie eine App anbieten wollen, müssen Sie sich mit den Anbietern von App-Plattformen einigen. Bei personalisierten Produkten, also wenn jemand zum Beispiel Bilder hochlädt und daraus ein Puzzle produzieren lassen möchte, sind die Bilder zu prüfen und durchlaufen Vorauswahlprozesse. Welche Bilder senden die Kunden, sind die mit unserem Markenimage vereinbar? Verletzen die Bilder vielleicht Rechte Dritter oder sind deren Inhalte möglicherweise strafbar? Da sind dann auch die entsprechenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu erstellen oder entsprechend anzupassen. Das war früher nicht sehr anders.

Immer häufiger wird auf Lizenzmarken zurückgegriffen. Spiele und Figuren mit Bezügen zu popkulturellen Dauerbrennern wie „Star Wars“ oder „Harry Potter“ durchdringen die Spiele- und Basteluniversen. Sind die Verhandlungen mit Lizenzgebern aufwendig?

Bei uns in der Rechtsabteilung schlagen letztendlich die Verträge mit den verschiedenen Lizenzgebern zur Prüfung auf. Mit denen wird vereinbart, wie wir Motive oder sonstiges verwenden dürfen, um zum Beispiel ein Harry-Potter-Puzzle zu vertreiben. Die Verhandlungen mit den Lizenzgebern selbst führen wir nicht, das machen die zuständigen Lizenzmanager. Dass die Verhandlungen schwierig sein können, zeigt sich daran, dass der jeweilige Vertrag mehrere Male bei uns auf dem Tisch landet. Das geschieht aber regelmäßig und ist nicht nur bei Lizenzprodukten der Fall. Also wenn Grafiker gewisse Vorstellungen haben, wie Bilder des Spiels vermarktet werden sollen, was grafisch auf keinen Fall geht, in welchen Ländern und in welchen das Produkt nicht vertrieben werden soll usw. Da geht es dann auch um Mitspracherechte. Der Umfang der Lizenzverträge schwankt, manche sind sehr umfangreich, andere wiederum relativ schlank. In Verträgen mit US-Bezug ist es häufig so, dass in ihnen all die Dinge geregelt werden, die eben nicht gewünscht oder zulässig sind, das macht die Vertragswerke umfangreicher.

Juristisch gesehen macht es also grundsätzlich gleich viel Arbeit, ob Sie nun ein kleines Spiel oder einen technisch ausgeklügelten Stift juristisch überprüfen?

Viele denken, es hängt von der Komplexität eines Spiels ab, vielleicht der smarten Technik, die darin steckt, oder von aufwendigen Bestandteilen. Grundsätzlich ist es immer derselbe Prozess. Am Anfang steht die Auswahl der Autoren und Illustratoren: Wer kann ein Spiel machen, wer kann es illustrieren? In welche Märkte wollen wir damit? Da spielt es keine Rolle, ob es sich um ein kleines Brettspiel handelt oder eine neue technische Entwicklung wie einen Stift oder eine Kugelbahn mit untereinander kommunizierenden elektronischen Elementen. Gegebenenfalls müssen neue Technologien, die entwickelt und im Spiel eingesetzt werden, entsprechend geschützt werden, aber das ist dann ähnlich wie wir es bei Marken und Designs tun.

Influencer spielen eine immer größere Rolle bei der Vermarktung und Popularisierung von Produkten. Ist diese Gruppe zwischenzeitlich wichtiger als Spielemessen, Testspieler oder Rezensionen in klassischen Medien?

Verträge mit Influencern sind eine ganz andere Sache als mit Spieleautoren, da gibt es natürlich andere Merkmale, auf die wir achten. Wie soll die- oder derjenige das Produkt präsentieren, gibt es überhaupt eine Möglichkeit darauf Einfluss zu nehmen? Welche Reichweite hat ein Influencer, welche Vorgaben kann man da machen, muss man ein bisschen darauf hoffen, dass unser Produkt ausreichend lange gezeigt wird? Solche Fragen stellen sich dann. Die Situation ist am ehesten damit vergleichbar, wenn wir eine Werbeagentur beauftragen, unser Produkt bestmöglich zu platzieren.

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