Eine Szene, die Anwälte nur zu gut kennen und bei ihnen Alarm läuten lässt, so gewaltig wie die 24.000 kg schwere Kölner Petersglocke: Ein zartes Tippen auf die Schulter, ein mit flötender Stimme intoniertes „Du, hör mal, ich hab’ da eine Frage …“. Sicher ist man vor solchen Attacken nie, wenn man Jurastudium und begehrtes Fachwissen in petto hat, das irgendwann im Leben jeder einmal braucht.
Irritiert sind viele Robenträger aber oft über Ort und Klang der überfallartigen Offensiven. „Vorsicht bei Partys – auf eine Einladung zum Dinner folgen dort fünf Einladungen zum Rechtsgespräch irgendwo zwischen Umtrunk und Dessert“, raunte mir zynisch mal ein Anwalt zu, der gern hilft, aber eigentlich eher hilflos ist angesichts manch dreister Annäherungsversuche, die spontan überall geschehen können. Ein hartnäckiger Kandidat folgte ihm auf einer Veranstaltung glatt einmal bis zum Besucher-WC, weil er Probleme mit „einem krass ungünstigen Kaufvertrag habe“. Bei mancher Klientel habe er den Eindruck, sie habe ihre Unterlagen stets dabei, um sie einer wandelnden Auskunftsquelle kurzerhand zwischen Arm und Oberkörper zu klemmen, argwöhnte der Anwalt.
Auch wenn sonst nichts für Latein übrig, den Begriff „pro bono“ hat die Gratis-Rat-Fraktion so verinnerlicht wie der Anwalt den Blick in den Habersack. Non solvo, ergo sum. Und das, obwohl pro bono zunächst eher den guten Zweck, die Unterstützung von Stiftungen oder gemeinnütziger Organisationen meint, und kein all-inclusive-Rechtspaket für lau, nur weil man einen Juristen näher kennt oder kennenlernt.
Schmeicheln, herunterspielen, über die grüne Robe loben: die Taktiken der Auskunftsjäger
Dass es wie ein Lauffeuer die Runde machen kann, wenn man sich bereitwillig einen Brief vom Amt oder vom Gericht anschaut, merken Anwälte recht schnell. Wer in Gesprächen zudem arglos mal sein Lieblingscafé oder Hobbys nennt, könnte auch dort mit auflauernden RVG-Piraten rechnen. Apropos rechnen: Subtile Hinweise, dass Preissteigerungen und höhere Mieten auch am Juristenleben nicht spurlos vorbeigehen, werden routiniert mit Anekdoten gekontert, in denen Anwälte verdiensttechnisch wahlweise als Bankvorstand oder Tech-Milliardär wahrgenommen werden, die praktisch allen ökonomischen Zwängen enthoben sind.
Lässt sich der gütige Jurist einmal breitschlagen, entwickelt sich, gleich einem langsam ins Schwingen kommender Glockenklöppel, ein verhängnisvolles Gespräch. Zuerst leise und gemächlich, bis es im Ohr richtig nach Arbeit dröhnt. Eigentlich geht es ja immer um „Kleinigkeiten“. Verharmlosen können sie gut, diese Non-paying-Rechtsucher mit ihren glockenhell antrainierten Schmeichel-Salven, die geschickt verschossen werden. „Eine Lappalie für Dich“, oder: „Erzähl ich Dir in einer Minute. Bevor ich fertig bin, hast Du schon die Antwort. Einen Schluck Kaffee nehmen dauert länger.“ Wer sich unüberlegt einlullen lässt, hat schon verloren. Denn die „Lappalie“ entpuppt sich auf einmal als Streit mit dem Vermieter, der zwei üppige Ordner füllt. Oder als eine Kündigung, die natürlich schon zwei Wochen auf dem Schreibtisch schimmelt und eine epische Vorgeschichte wie aus einem langen Bronzeguss hat. So sehen die Kleinigkeiten der Gratis-Rat-Jäger aus.
Ebenfalls beliebt, der Megastar-Spruch: Also den Anwalt geschickt umgarnen und auf der Kompetenzskala ganz nach oben schubsen, wo die Juristenkrone glänzt.
„Für einen Jura-Crack wie Dich ein Klacks“, „Ein Fall wie damals, den Du so souverän gewonnen hast. Interviews wollten sie mit Dir damals, weißt Du noch?“ Ja, der Anwalt erinnert sich, auch wenn es tatsächlich nur ein Interview war, für das jemand vom Lokalblatt antanzte und es auch nur um die Haftung ausgerissener Alpakas ging. Juristisch bravourös war das weniger.
Dritter im Bunde: Der klamme Verständnis-Heischer. „Für die kurze Beratung zahl’ ich bei einem anderen Anwalt gleich wieder ordentlich, und Du weißt doch, mein mickriges Gehalt.“, streng kombiniert mit einem Ich-hab-Leid-Gesicht. Dass sein mickriges Gehalt dann gar nicht so mickrig ist und überhaupt das Verständnis von viel und wenig Verdienen bei manchen Jura-for-free-Kandidaten sehr relativ ist, erfährt Anwalt dann oft erst später. Nach der pro-bono-Gefälligkeit natürlich.
Finale des Kontakts: Die Fragesteller schieben einen jovialen Lacher hinterher oder geben den unvermeidlichen, menschelnden Klaps auf den Juristenrücken, kombiniert mit treuem Dackelblick, der signalisiert: Du schaust Dir die Sache doch an, oder?
Umsonst ist keine Option, aber …
Kein Wunder: Mancher Anwalt, der sein Ohr freigiebig leiht, empfindet dies im Nachhinein eher als Ohrfeige, vor allem wenn er noch ein grenzwertiges „War doch einfach, oder?“ zu hören bekommt. Dass Anwälte grundsätzlich nicht kostenlos Mandate führen könnten, interessiert viele Gratis-Gesetzesreiter ohnehin nicht. Weist der Anwalt gelegentlich dezent darauf hin, dass es zudem Beratungs- und Prozesshilfe gibt, manche Städte kostenlose Erstberatungen anbieten und auch Mietervereine und Rechtsschutzversicherungen eine sinnvolle Sache sein können, wird er rasch wie der Glöckner von Notre-Dame angeblickt. Dauert zu lange, kostet Zeit, die ganze Rumsucherei von Unterlagen. Es geht doch schließlich nur – Sie ahnen es – um eine Mini-Jurafrage. Stell dich nicht an, Advokat. Unverständnis gepaart mit Ungeduld, das gibt’s dann pro bono für den Anwalt. Zum Wohle.
Wie im Kindergarten
Bei einem anderen Anwalt war es die Kindergärtnerin aus dem Hort im Stadtviertel. Die Frau entdeckte den vorbeilaufenden Juristen aus dem Fenster, landete mit flotten Sprüngen am Tor und blickte ihn an, als habe sie in eine Zitrone gebissen. Ein Kind hatte irgendwas beschädigt, Aufsichtspflicht, Versicherung. Unstrukturierter Wortschwall trifft eiligen Anwalt, der leider auf dem Weg zu einem Termin ist. Er weist auf seine Eile hin, gibt grob aber ein paar Hinweise und empfiehlt sich. Von dem Tage an galt er als sozial engagiert, selbstlos und kinderlieb.
„Wer unseren Nachwuchs und unterbezahlte Hortkräfte so unterstützt, der weiß, worauf es ankommt.“ So klang das nur eine Woche später, als derselbe Anwalt spontan im Treppenhaus angesprochen wurde, als er seine Kanzlei aufschloss. Gefolgt von dem Satz: „Ich hab‘ da so ein Schreiben vom Vermieter bekommen“. Und schon hatte Anwalt sie wieder im Ohr, die bekannten Alarmglocken.