Anwalt B. liebt Tierparks. Ob Urlaub, eine ausfallende Verhandlung oder ein geplatzter Ortstermin – sofort zieht es ihn so magisch in nahe Zoos wie frisch geschlüpfte Meeresschildkröten zielstrebig in den Ozean. Und daran ist nicht die neue Mandantin schuld, die letzte Woche in die Kanzlei schneite. Eine Züchterin, deren Galloway-Rinder ausgerissen waren und die nun durch die Gegend stromern. Indessen trudeln abwechselnd Schreiben von Behörden und Kollegen ein, die Landwirte oder Grundstücksbesitzer der Region vertreten. Zwei Wochen dauert die animalische Tour der mobilen Fellwesen. Ein Scherzkeks dokumentiert auf Instagram deren Route und stellt einzelne Tiere mit kleinen Porträts vor. Rinder mit Followern.
Tier-Passion und Anwaltsalltag: von schlauen Gutachtern und giftigen Mandaten
Wie gesagt: Das Galloway-Mandat war nicht Startschuss seiner Tierpark-Passion, aber B. verknüpft sein Hobby mit dem Spaß daran, Analogien zwischen Tier- und Juristenkosmos zu entdecken oder kleine Sozialstudien zu betreiben. Trotzdem will er die Rinderart mal in Augenschein nehmen und steht heute beim Zoobesuch schließlich vor dem Gatter, dahinter zwei Exemplare mit strengem Blick wie zwei Justizangestellte. Fast erscheint das Gatter wie die Schleuse im lokalen Amtsgericht.
Ihr dichtes Fell erscheint noch mächtiger als auf den Fotos in seiner Akte. „So ein dickes Fell macht auch den ärgsten Strafrechtsfall erträglich“, hört er eine Stimme hinter sich. Sie gehört Tierwärter D., der den Zoo-Enthusiasmus des Juristen kennt. Zwei Menschen in perfekter Symbiose wie Clownfisch und Seeanemone: Zoologische Fachkenntnisse gegen Tipps zum ärgerlichen Bußgeldbescheid. So ungefähr läuft das zwischen den beiden.
Die Bekanntschaft geht zurück auf die Episode mit einem Mandanten, der seine trendige Zuneigung zu exotischen Haustieren auslebte. Tierwärter D. war damals sein Retter in der Not. Denn der erkannte auf einem Foto einen gefährlichen Skorpion im Terrarium, den der Mandant selbst für „harmlos“ hielt. Unglücklicherweise war der Gliederfüßer entwischt. Folge: Durchsuchung des Wohngebäudes. Kann richtig teuer werden. „Der stirbt doch draußen schnell, oder?“, fragte der Anwalt den Tierexperten – in der Hoffnung, den teuren Suchtrupp vermeiden zu können. Antwort: „Nicht unbedingt, manche von denen kommen glatt zwei Jahre ohne Nahrung aus“. Seit dieser Geschichte weiß B., was er an „Zoo-Gutachtern“ hat.
„Auch wieder hier?“, grinst jetzt der D. „Anwälte zieht es in den Zoo wie die Geier zum Kadaver – sie erkennen eine aussichtslose Sache, aber vielleicht ist noch etwas herauszuholen. Die Streifenwiesel haben übrigens Nachwuchs bekommen.“ B. weiß nicht, ob er den Spruch jetzt komisch finden soll, aber den Wieselzuwachs mag er sehen, zum Glück an der frischen Luft.
Affentheater wie bei Gericht: wenn Schimpansen ein Selfie wollen und Diebstahl ein Besucherrisiko sein kann
In Sachen Wieselfamilie denkt er an den Fall seines Kollegen: Ein Geschwisterpärchen hatte damals einen Termin bei ihm gemacht. Ehe seine Kanzleimitarbeiter wussten, woher plötzlich dieser strenge Geruch kam, öffnete das Pärchen eine große Tasche und – zack – reckte ein Frettchen seinen Kopf heraus. Begeistert schien es nicht. Zwei Kanzleimitarbeiter hatten da schon naserümpfend das Weite gesucht.
Auf den dezenten Hinweis, dass das Tier ganz ordentlich dufte, bekam der Anwaltskollege zu hören: „Was meinen Sie, wie das zu Hause manchmal riecht, wir haben doch drei Stück! Aber die sind zusammen groß geworden“. So etwas freut doch jeden Familienrechtler: Generöse Mandanten mit hohem sozialen Empathiefaktor, die keine Frettchen-Familien-Trennung durchgehen lassen. Natürlich war eine Abmahnung des Vermieters der Grund für den Anwaltsbesuch. Das AG Berlin-Neukölln sieht Frettchenhaltung übrigens als Kündigungsgrund, wenn die Tiere nach Lust und Laune durch die ganze Wohnung spazieren (Urt. v. 15.06.2012, Az. 2 C 340/11).
Auf dem Weg zu den Streifenwieseln passiert der Jurist das Affenhaus. Auch so ein Lieblingsort von ihm, weil hier praktisch nie wenig los ist und er in übelgelaunten Stunden das Treiben dort gern mit dem Gerichtssaal vergleicht. Zeugen, die gestenreich ein Geschehen wiedergeben, können glatt was von elegant schwingenden Schimpansen haben. Der gewaltige Orang-Utan mit dem stoischen Blick scheint wie der altgediente Richter, der auch gern mal brüllt.
Seine Kanzleikollegin, schicksalsgeplagt im Strafrecht unterwegs, mag ähnliche Vergleiche. Als sie den B. bei einer Zootour jüngst begleitete, rief sie: „Schau dir den an, das ist meine Klientel: erst stehlen, dann ertappt, dann Unschuldsmiene.“ Hintergrund war der smarte Griff eines Schimpansen zu einer leichtsinnigerweise abgestellten Tasche. Schon war die teure Brille weg, und der Zoo hatte einen zeternden Besucher mehr. Mittendrin zwei Anwälte als Zeugen.
Eine Woche später hatte er ein Mandat mehr, als er für den Zoo Haftungsansprüche abwehren sollte. B frotzelte damals, dass auch Äffchen ein Recht auf Selfies hätten und dachte: Besucherrisiko. Er weiß von dem bekannten Phänomen in Zoos, dass Affen dort den Besuchern in günstigen Momenten die Smartphones stibitzen und später irgendwann ins Gehege oder Becken warfen. Möglicherweise, weil das Datenvolumen aufgebraucht ist. Er sieht die Affen durchaus im Recht: Wer anstatt ihr artistisches Geschick zu bewundern, desinteressiert auf Bildschirme glotzt, muss eben mit Vergeltungsmaßnahmen rechnen. Affengehege können zudem Hotspots der Kriminalität sein.
B. beobachtet interessiert den Fall aktuell vor dem LG Chemnitz, in dem zwei Männer einen Bartaffen aus einem Gehege stahlen. Sogar die Polizei hatte das Affenweibchen zur Fahndung ausgeschrieben. Das Strafmaß steht noch aus.
Warum Prozessgegner wie Schildkröten daherkommen können: ein Tierpark als Spiegel der Anwaltsroutinen
Bevor endlich die Wieselfamilie erreicht ist, geht es bei den Reptilien vorbei und als ihn hinter Glas zwei Schnappschildkröten anglotzen, findet B., dass wie im wahren Leben die kleinsten, harmlosen und langsam daherschlurfenden Prozessgegner sich oft als mächtigste Gegenspieler entpuppen können. Unscheinbar wie Schildkröten eben aussehen, hat gerade diese Spezies im wahrsten Sinne des Wortes genug „Biss“, um einen Menschenfinger abzutrennen. Hochaggressiv ist das Tier auch noch, irgendwie wie die Rechtsabteilung des Spieleherstellers, mit der er sich gerade herumschlägt und die auf seine Schreiben so reagiert, als pralle an ihrem Panzer alles ab.
Die vier Streifenwiesel liegen in der Wurfkiste, als Stammgast darf B. hineinschauen und tut das gern. Idyllisches Familienglück ist angesichts der vier Scheidungsverfahren, die er gerade bearbeitet, immer willkommen. Genug der animalischen Parallelen, sein Zoobesuch endet mit ausgeschütteten Glückshormonen, die Robe darf ihn wiederhaben.
Fast schon am Ausgang trifft er seinen „Gutachter“ wieder. „Eigentlich ist eure Arbeit gar nicht so anders als hier“, meint der. „Wir haben Raubtiere, Trickser, unterschätzte Langsamläufer und klagen tun Besucher hier auch jeden Tag.“
Kann man so unterschreiben, denkt B. Und wünscht sich für nachmittags Mandanten, die (Erd)Männchen machen.