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Vorwände im Alltag und in der Verhandlung

Haben Sie schonmal eine Aufgabe abgeben wollen und es wurde Ihnen direkt ein „Keine Zeit“ entgegengeschmettert, gefolgt von allen möglichen „Ja, aber…..!“ zu allen Ihren Lösungsvorschlägen, wann die Sache stattfinden könnte? Sodass Sie und Ihr Gegenüber letztlich beide einfach nur noch genervt waren? Vielleicht sind Sie gegen eine Wand gelaufen. Wenn unsere Mitmenschen auf einen Vorschlag oder eine Bitte nicht eingehen, kann es sich bei dem angebrachten Argument um ein echtes handeln oder eben um ein vorgeschobenes. Und die letzteren machen viel mehr Schwierigkeiten.

 

Einwände und Vorwände

Ein Einwand ist etwas, das uns der Lösung näherbringen kann. Viele Einwände sind bedenkenswert und führen entweder sogar dazu, dass wir unsere Meinung ändern. Oder sie können in der Diskussion ausgeräumt werden, sodass wir mit unserer Ansicht durchkommen.

Ein Vorwand dagegen ist nur eine Ausrede, der wir argumentativ nicht beikommen können. Die wunderbare Kommunikationsexpertin Vera F. Birkenbiehl nannte in ihrem Buch „Psycho-logisch richtig verhandeln“ (mvg Verlag) den Vorwand wirklich eine Wand. Und zwar eine Wand, die jemand vor sich hochzieht, um sich (jedenfalls für den Moment) dahinter zu verstecken. Das macht sofort deutlich, warum unsere Argumentationskünste bei einem Vorwand so wenig nützlich sind – wir laufen damit einfach nur gegen die extra hochgezogene Wand.

 

Klassisches Beispiel aus der Verhandlungspraxis

Im Kündigungsschutzprozess wird diese Nutzlosigkeit häufig deutlich. Manchmal sind bei Geltung des Kündigungsschutzgesetzes die „dringenden betrieblichen Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen“ ein in die Kündigung geschriebener Vorwand. In Wahrheit kann es um etwas ganz Anderes gehen, vielleicht ist die Schwelle der 10 Beschäftigten nur knapp überschritten und der Gekündigte aus Sicht der Arbeitgeberin einfach anstrengend, bietet aber keinen Anlass für eine wirksame verhaltensbedingte Kündigung. So wird aus dringenden betrieblichen Gründen gekündigt, die dann im Falle der Klageerhebung im Kündigungsschutzverfahren mühsam dargelegt werden. Um die geht es aber gar nicht. Umgekehrt wird mit dem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung nicht immer tatsächlich das Ziel der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verfolgt. Wird das Verfahren durchgezogen, kommt es möglicherweise zu dem von beiden Seiten nicht besonders begrüßten Ergebnis, dass die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt wird, für eine weitere Zusammenarbeit aber keine der beiden Seiten wirklich motiviert ist und die nächste Streitigkeit nicht lange auf sich warten lässt. Der Grund, warum so viele Arbeitsrechtssachen durch Vergleiche abgeschlossen werden, häufig mit Beendigung und Zahlung einer Abfindung.

Wenn wir als Anwältinnen und Anwälte die Gründe kennen, die zum Aufbau der Wand, des Vorwandes geführt haben, können wir diese einbeziehen und damit mit ganz anderen Vorschlägen eine Lösung ermöglichen. Seitenlange Ausführungen zu dem Vorwand können dann allen erspart werden. Sowohl in der Verhandlung für die Mandanten als auch in unserem eigenen Alltag spart es somit sehr viel Energie, sich nicht an der Wand des Gegenübers abzuarbeiten.

Das Gleiche gilt bei der Mitarbeiterin, die für die Aufgabe „keine Zeit“ hat.

 

Was Sie nicht machen sollten

Wenig hilfreich ist es, das hinter dem Vorwand verschanzte Gegenüber nach seinem „wahren Grund“ zu fragen. Niemand wird gern dabei ertappt, nicht ganz ehrlich gewesen zu sein und so wird diese Frage eher dazu führen, dass die Wand weiter hochgezogen wird. Die Wand ist schließlich zum Schutz errichtet, es ist eine Art der Verteidigung, eine Flucht vor einer unangenehmen Situation. Wird der Schutz genommen, fühlt sich die Person hilflos und bloßgestellt, es folgen Schleifen von Rechtfertigungen und die Laune wird auch nicht besser. Manche Menschen reagieren verärgert, andere sagen gar nichts mehr und weiter kommen wir nicht.

Auch das Entkräften des Vorwandes führt zum gleichen Ergebnis. Es nimmt die schützende Wand.

 

Gute Frage bei einem Vorwand

Fragen Sie nach weiteren Gründen, die dem Anliegen entgegenstehen. Fragen Sie Ihre Mitarbeiterin zum Beispiel: „Mal angenommen, wir finden eine ruhige Minute, in der Sie die Aufgabe erledigen können. Gäbe es dann noch weitere Schwierigkeiten? Brauchen Sie noch etwas?“ Und dann hören Sie zu.

Achtung: Hier nicht einfach mit einer Lösung die Wand einreißen. „Ach, das können Sie morgen Vormittag machen, ich nehme das Telefon“ wird keine Hilfe sein, wenn das Zeitargument ein Vorwand war.

Ist der eigentliche Grund, dass Ihre Mitarbeiterin nicht weiß, wie Sie die Aufgabe angehen soll, wird ihr die Zeit dafür diese Angst nicht nehmen. Nennt Sie Ihnen diesen weiteren Grund, können Sie ihr eine Hilfestellung anbieten. Vielleicht ist Ihr Alltag aber einfach wirklich sehr durchgetaktet und sie braucht tatsächlich einfach einen ruhigen Moment. Dann war es ein wirklicher Einwand und Sie erkennen es an dem: „Ja gut, dann klappt es“.

 

Und wenn Sie selbst hinter einer Vor-Wand hocken?

Manchmal antworten wie auf irgendein Anliegen ganz spontan und benutzen selbst irgendeinen Vorwand, weil es in dem Moment vielleicht vermeintlich bequemer ist, um unser Gegenüber nicht zu verletzen oder weil wir selbst über die wahre Antwort noch gar keine Klarheit haben. Die Person fängt an, uns wirklich auf den Wecker zu fallen, obwohl sie einfach nur nicht verstanden hat, dass wir einen Vorwand benutzt haben und Argumentieren oder Nachfragen die Sache nur schlimmer machen. Merken wir es selbst, können wir entscheiden: Hinter der Wand hocken bleiben oder nochmal anders über die Sache sprechen. Auch eine Möglichkeit: Unserem Gegenüber sagen, dass wir noch einen Moment brauchen, um selbst nachzudenken.

Den gleichen Trick können wir auch im Gespräch mit uns selbst anwenden, denn auch dort benutzen wir so einige Vorwände. Wenn wir uns selbst immer wieder erzählen, dass wir eigentlich Lust hätten, regelmäßig zu lesen oder die Fristen immer schon ein paar Tage vor Ablauf bearbeiten wollen, aber ja leider keine Zeit haben – naja. Es ist natürlich in Ordnung, nicht permanent allen Dingen des Lebens auf den Grund zu gehen und sie in aller Tiefe auszuleuchten, um die wahren Gründe an die Oberfläche zu bringen. Aber das drüber Ärgern, das sollten wir uns auch an dieser Stelle wirklich sparen.

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