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„Stimmt das noch, Herr Anwalt?“ – Müssen bloggende Anwälte ihre Artikel aktuell halten?

Soeben vor Gericht obsiegt, klappt der Rechtsbeistand flott seinen Laptop auf. Der Urteilsverkündung folgt die Erfolgsverkündung. Ein knackiger Text, garniert mit ein paar Krönchen- und Pokal-Emojis – schon steckt das Urteil kommentiert im eigenen Anwaltsblog. Oder in den Social-Media-Kanälen der Kanzlei. Darf der Text dort stehenbleiben, wenn die Entscheidung später aufgehoben wird? Darf er, meint das OLG Frankfurt/Main (Urt. v. 19.01.2023, Az. 16 U 255/21). Allerdings muss der Anwalt seinen Blogartikel entsprechend ergänzen.

Tue Gutes (vor Gericht) und rede darüber

Immer mehr Jurist:innen und Kanzleien bespielen digitale Kanäle, auf denen sie Rechtstipps veröffentlichen oder aktuelle Rechtsprechung kommentieren. Kurzum: Blog, Instagram & Co. sind längst auch für die Robenträger attraktive Plattformen, um eigene Rechtsdienstleistungen und juristische Spezialisierungen zu bewerben. Besonders reizvoll wird das Ganze, wenn man Leser am eigenen Erfolg vor Gericht teilhaben lassen kann.

Manchmal genügen dann aber schon zwei Sätze, damit die Justizmühlen losschnaufen. In einer aktuellen Entscheidung vor dem OLG Frankfurt/Main wandte sich die Klägerin (ein Wirtschaftsunternehmen) gegen fünf Äußerungen in einem Artikel eines Anwaltsblogs. In diesem Artikel ging es um eine einstweilige Verfügung, die gegen die Klägerin erlassen worden war. Überschrift: „Einstweilige Verfügung gegen X AG erlassen; Zwangsmittel beantragt“. Die Verfügung war erfolgreich von dem Anwalt erwirkt worden, der darüber in seinem eigenen Blog berichtete. Jene Verfügung wurde allerdings später aufgehoben. Die Klägerin verlangte nun, dass der Blogartikel entfernt wird, da jeder Leser ansonsten den Eindruck gewinnt, dass die einstweilige Verfügung weiterhin besteht. Während das LG Frankfurt/Main in der Vorinstanz noch bejaht hatte, dass die Äußerungen im Blog zu unterlassen seien, entschied das OLG Frankfurt/Main zugunsten des beklagten Juristen und Blogbetreibers (Urt. v. 19.01.2023, Az. 16 U 255/21).

OLG Frankfurt: Anwalt muss nicht löschen, aber aktualisieren

Hat ein Gericht zunächst für einen Mandanten positiv entschieden, hätten Anwälte ein berechtigtes Interesse, gegenwärtige und potenzielle Mandanten hierüber zu informieren bzw. hierüber zu berichten. Die hier besprochene Entscheidung als auch der vom Anwalt hierzu verfasste Artikel durften daher in dem Blogartikel erwähnt bleiben bzw. zitiert werden. Sonst wäre es auch kaum möglich, dass Jurist:innen auf eine Entscheidung als mögliche und einmal von einem (Unter-)Gericht vertretene Rechtsauffassung hinweisen könnten, so das OLG. Das Gericht stellte insoweit auch auf ein schützenswertes Dokumentationsrecht ab, dass Anwält:innen eine von ihnen erwirkte (und der eigenen Rechtsansicht folgenden) Entscheidung eines Gerichts dokumentieren dürften, selbst wenn diese nicht dauerhaft ist bzw. wie hier erfolgreich angefochten wurde.

Einfach so stehenbleiben durfte sein Artikel allerdings auch nicht. Der Jurist hatte entsprechend zu ergänzen, dass die benannte Entscheidung zwischenzeitlich aufgehoben wurde. „Genauer betrachtet, hat das OLG Frankfurt nur eine Selbstverständlichkeit bestätigt“, sagt die auf IT-Recht und Datenschutz spezialisierte Rechtsanwältin Ulrike Meising. „Gerichtsentscheidungen, auch wenn sie später aufgehoben oder geändert werden, sind Tatsachen, die grundsätzlich veröffentlicht werden dürfen. Da es allgemein bekannt ist, dass es in der Regel mehrere Instanzen gibt, sollte bei veröffentlichten Artikeln die Ergänzung „rechtskräftig“ bzw. „noch nicht rechtskräftig“ gewählt werden“. Ohnehin stehe es mit den digitalen Präsenzen der Kanzleien nicht immer zum Besten. „Online-Auftritte, egal ob Homepage, Blog oder Social-Media-Kanäle, sollten professionell geführt werden. Jedenfalls sollten für die Pflege und damit auch die Aktualität und Relevanz von Beiträgen einige Stunden pro Woche eingeplant werden. Viele Anwaltsblogs und Kanzlei-Websites leiden immer noch unter erschreckender Unprofessionalität und sind daher oft sogar kontraproduktiv, da auf veraltete Rechtsprechung oder sogar überholtes Recht verwiesen wird.”

Anwalt ist kein Journalist, sondern betreibt kommerziell orientierten Blog

Das OLG betonte allerdings, dass Anwälte nicht die Rechte eines Presseorgans hätten. Tatsächlich sind Zeitungen oder Magazine nicht verpflichtet, eine Berichterstattung über ein Thema bei neuen Entwicklungen oder Sachverhalten fortzusetzen. Für Artikel in Juristen- oder Kanzleiblogs gilt dies nicht, denn deren Artikel stellen keine journalistischen Texte dar. Die Inhalte solcher Blogs richten sich vorrangig zu Werbezwecken an aktuelle oder potenzielle Mandanten. Natürlich haben die hier publizierten Beiträge auch einen Informationswert, denn bestenfalls dröseln sie juristische Einzelheiten und deren Folgen für den Rechtsalltag für Laien verständlich auf. Es geht aber nicht darum, mit diesen Artikeln einer breiten Öffentlichkeit Informationen etwa zu Recherchezwecken dauerhaft anzubieten. Eher ginge es um eine geringe Reichweite, wie das OLG meinte.

Zu viel verlangt war es auch nicht: Angesichts der überschaubaren Anzahl der Artikel und dass der Anwalt an dem betroffenen Verfahren selbst beteiligt war, ist es ihm zuzumuten, seine Berichterstattung aktuell zu halten.

Instagram, Facebook & Co.: Gilt die OLG-Entscheidung auch für andere digitale Kanäle?

Kanzleiblogs sind nun nicht die einzige Form, um schnell eine erstrittene Entscheidung zu publizieren. Zudem ist ein interessiertes Publikum häufig besser auf Social-Media-Kanälen wie Facebook oder Instagram zu erreichen. Womit sich gleich die Frage stellt, ob die Entscheidung des OLG auch hier anwendbar ist. “Meiner Meinung nach lässt sich das Urteil nicht problemlos auf Social-Media-Beiträge übertragen“, sagt der Kölner Medienrechtler Christian Solmecke und geht auf die Unterschiede ein. „Zum einen ist hier die Situation eine andere als auf einem Blog, weil Social-Media-Beiträge gerade durch ihre Aktualität und Schnelllebigkeit geprägt sind und es, für Leser erwartbar, zu einem Social-Media-Posting gehört, dass es schnell überholt sein kann. Das ist anders bei einem Blog, der, vor allem über Google, noch Jahre später auffindbar ist und von Lesern für aktuell gehalten werden kann.

Zum anderen lassen sich manche Social-Media-Postings im Nachhinein nicht mehr ändern. Das Urteil besagt aber explizit, dass man nicht dazu verpflichtet ist, einen Inhalt wieder zu löschen. Umgekehrt ergibt sich aus dem Urteil meines Erachtens auch kein Anspruch, über den Fortgang eines Verfahrens in einem neuen Posting zu informieren. Daher glaube ich, dass ein Gericht die Sachlage bezüglich Social Media anders beurteilen würde.”

Fazit

Anwält:innen haben eigene Blogartikel aktuell zu halten, sofern sie Entscheidungen posten oder kommentieren, die rechtsmittelfähig sind bzw. angefochten werden. Grundsätzlich sollte stets schon in der Erstfassung eines Artikels angegeben werden, ob die zitierte bzw. besprochene Entscheidung anfechtbar ist bzw. das Gericht Angriffsmittel zugelassen hat. Ebenso obligatorisch sollten zum einen intervallartige Kontrollen sein, ob die Rechtsinformationen im eigenen Anwaltsblog noch der aktuellen Gesetzeslage und Rechtsprechung folgen. Zum anderen sollten vorausschauende Memos und Aktennotizen die Regel sein, da eine im Blog zitierte Entscheidung ergänzungsbedürftig werden könnte.

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