Als Anwalt/-ältin haben Sie jeden Tag mit anderen Menschen zu tun und sind es gewohnt, vor kleineren oder auch größeren Gruppen zu sprechen. Und nicht nur das: Sie werden regelmäßig Bekanntschaft machen mit zumindest extravertiert scheinenden bis sehr lauten Persönlichkeiten. Können Sie in dieser lauten Welt als introvertierter Mensch dauerhaft bestehen, ohne dabei auszubrennen oder anzufangen eine Rolle zu spielen?
Ich sage ganz klar „Ja“, wenn Sie einige Spielregeln beachten und nicht nur das: Sie haben sogar ein paar ganz entscheidende Vorteile im Verhältnis zu Ihren lauten Kolleg/innen.
Doch was bedeutet Introvertiertheit überhaupt und worin unterscheiden sich introvertierte von extravertierten Menschen?
Introversion und Extraversion sind zwei entgegengesetzte Ausprägungen eines Persönlichkeitsmerkmals, das unser Verhalten innerhalb unseres sozialen Umfeldes bestimmt. Introvertierte Menschen sind im Gegensatz zu extravertierten Menschen meist ruhiger und zurückhaltender und hören lieber zu, als selbst zu sprechen. Häufig fühlen sie sich in großen Gruppen nicht wohl und benötigen nach Partys, Events oder beruflichen Treffen in großer Runde länger, um sich zu erholen und wieder ihre volle Energie zurückzuerlangen.
Grundsätzlich kann die Ausprägung sehr unterschiedlich sein und auch die Merkmale sind nicht immer identisch. Insgesamt kann man aber sagen, dass introvertierte Menschen eher…
- ruhiger
- zurückhaltender
- konzentrierter
- nachdenklicher
- im Job ernster
- konfliktscheuer sind und sich
- in größeren Gruppen eher unauffällig verhalten und beobachten und
- ihre Freizeit lieber alleine oder in kleiner vertrauter Runde verbringen als in größeren Gruppen z.B. zum Feiern.
Vielleicht haben Sie sich hier wiedererkannt und fragen sich:
Was kann ich aber nun tun, um mir den Umgang mit den lauten Kolleg/innen zu erleichtern?
Dafür dürfen Sie sich als erstes der Vorteile bewusst machen, die Sie zu genau diesen Kolleg/innen haben:
- Sie sind ein sehr guter Zuhörer. Das heißt: Ihnen entgeht nichts und Sie achten gleichzeitig auf die nonverbale Kommunikation, die Ihr Gegenüber zeigt und können die Mimik und Körpersprachen anderer sehr gut lesen. Während Sie alle Details mitbekommen, weil sie eben gut zuhören, geht es vielen extravertierten Menschen eher so, dass sie nur darauf warten, selbst wieder zu Wort zu kommen. Sie sehnen die nächste Atempause ihres Gegenübers herbei, weil ihnen längst ein eigener Gedanke im Kopf herumschwirrt, den sie unbedingt teilen möchten. Und dabei entgehen ihnen viele wertvolle Details.
- Introvertierte wissen i.d.R. sehr genau, was sie können und auch, was ihnen eher schwerfällt. Das macht sie unabhängiger von der Meinung anderer Menschen. Sie brauchen daher auch weniger Zustimmung und Bestätigung im Außen als Extravertierte.
- Und zusätzlich reden Introvertierte zwar deutlich weniger. Wenn Sie sich aber zu Wort melden, haben sie ihre Worte vorher sehr sorgfältig gewählt und sind daher kalkulatorische Redner. Das verschafft Ihnen gerade vor Gericht einen guten Vorteil.
Und was können Sie tun, wenn Sie merken, dass es dennoch anstrengend für Sie wird?
- Als erstes dürfen Sie für sich darauf achten die richtige Balance zu finden. Introvertierte benötigen deutlich mehr Ruhe als Extravertierte. D.h. Sie sollten wissen, was Ihnen guttut und was Ihnen hilft, Ihre Batterien regelmäßig wieder aufzuladen. Nicht jede größere Veranstaltung lässt sich vermeiden – vielleicht gibt es auch Zeiten, in denen Sie um mehr Menschenkontakt nicht herum kommen. Planen Sie entsprechende Ruhephasen für sich ein – ob das ein gemütlicher Fernsehabend ist, ein langer Spaziergang oder auch einmal ein ganzes Wochenende irgendwo in der Natur. Hauptsache Sie nehmen sich die Zeit und lassen es nicht so weit kommen, dass die Batterien durch zu viele Kontakte irgendwann gänzlich leer sind.
- Kennen Sie Ihr „Warum“. Warum haben Sie sich entschieden das zu machen, was Sie tun? Warum haben Sie z.B. Jura studiert? Was ist für Sie der größere persönliche Sinn dahinter? Ob Sie angetreten sind, um die Welt ein Stück gerechter zu machen, Menschen in schwierigen Situationen zu helfen oder was auch immer. Je stärker Ihr persönliches „Warum“ ist, desto mehr Energie setzt dieses für Sie frei. Es steigert Ihre intrinsische Motivation und damit auch den Mut und den Willen, wenn es sein muss auch einmal über eigene Grenzen hinaus zu gehen.
- Sie sollten dennoch gleichermaßen ganz klar Ihre Grenzen fixieren. Was möchten Sie nicht (mehr), vielleicht weil Sie dabei in der Vergangenheit bereits die Erfahrung gemacht haben, dass es Ihnen schlicht nicht gutgetan hat – oder Ihnen viel zu viel Energie entzogen hat. Und an diesen Grenzen dürfen Sie festhalten. Wenn Sie sich z.B. bereits durch drei Netzwerkveranstaltungen gequält haben und anschließend kaum wussten, wie Sie die restliche Woche noch überstehen können, lehnen Sie die nächste Veranstaltung dankend ab. Es gibt ausreichend andere Möglichkeiten, Ihre Kontakte zu pflegen und neuen Kontakte zu gewinnen.
- Es kann auch helfen, sich mit den unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen tiefer auseinanderzusetzen, um sie vom Grunde her zu verstehen. Ein tolles Buch, in dem sehr viel Wissen inklusiver neuester Erkenntnisse aus der Hirnforschung vermittelt wird, ist „Still“ von Susan Cain.
- Hören Sie auf Ihre Intuition, die bei vielen Introvertierten besser ausgeprägt ist als bei Extravertierten – dafür braucht es nämlich Ruhe, von denen sich Extravertierten häufig nicht viel gönnen. Diese wird Ihnen sagen, was Ihnen guttut und was Sie als nächstes tun dürfen.
- Seien Sie dankbar für die besondere Gabe der Introvertiertheit. Genießen Sie die Zeit alleine, die ein Extravertierter bereits als Einsamkeit empfinden würde. Lassen Sie diese Zeit zu einem anregenden und aufregenden Teil Ihres Lebens werden.