Leisten sich Anwälte gravierende Schnitzer oder versäumen wichtige Prozesshandlungen, rauschen Haftungsansprüche auf sie und ihre Vermögenshaftpflicht zu. Welche Missgeschicke häufig in einen solchen Konflikt münden und wieso man sich besser ein paar Gedanken macht, bevor man seinen Versicherer informiert, greift dieser Beitrag auf.
Mit dem Anwalt auf Dschungeltour. Welche Fehler häufig Regressfälle auslösen
Genau besehen ist ein Anwalt ein Dschungelführer, hinter ihm der schutzbedürftige Mandant mit skeptischem Blick. Mutig schreitet der Jurist voran und pflügt mit dem von Justitia geborgtem Schwert den Weg frei durchs Dickicht der Juristerei. Dabei hat der Anwalt stets „den sichersten und gefahrlosesten Weg“ vorzuschlagen, selbst wenn der mehr Wendungen hat als eine Anwaltsserie auf irgendeinem Streaming-Dienst. Dabei stets ein souveräner Blick auf alle möglichen Risiken, die hinter dem nächsten Strauch so lauern können.
So hat sich die Dschungeltour für den Anwalt in der Rechtsprechung etabliert: Problem abschreiten, Lösung suchen, Risiken und Erfolgschancen prüfen. Aber auch der beste Reiseführer biegt mal komplett falsch ab und steht plötzlich vor (Regress-)Abgründen. Symbolhaft können diese steilen Abgründe die Hitliste möglicher Anwaltsfehler abbilden: Weit oben stehen versäumte Fristen oder eine übersehene drohende Verjährung. Hinzu kommen klassische Beratungsfehler, beispielsweise juristisch falsch eingeschätzte Probleme, unkorrekt bezifferte Forderungen oder es wurde schlicht einschlägige Rechtsprechung übersehen. Also gleich ein ganzer Schwarm angriffslustiger Regress-Insekten, der den Urwaldpfad entlang braust.
Zuraten oder abraten. Ist eine Sache wirklich erfolgversprechend? Böses Erwachen nach der Deckungszusage möglich
Ein Grund, warum es häufiger zu Regressfällen kommt, liegt darin, dass auch Rechtsschutzversicherer stärker ein Auge darauf haben, wie ein Anwalt die Erfolgsaussicht zu Beginn des Mandats einschätzt. Nur weil bereits eine Deckungszusage des Rechtsschutzes in der Akte steckt, ist der Anwalt nicht auf der sicheren Seite. Solche Zusagen gewähren keinen Vertrauenstatbestand zugunsten von Anwälten, so zuletzt das OLG Zweibrücken (Urt. v. 09.03.2023, Az. 4 U 97/22). Steht die Dschungelexkursion unter einem schlechten Stern, muss ein Anwalt dies klar herausstellen, im Einzelfall unmissverständlich von einer Klage abraten, falls der Prozess praktisch von vornherein aussichtslos ist. Ein Hinweis, dass die Erfolgsaussichten offen seien, genügt nicht. Tut der Anwalt dies nicht, obwohl er die Aussichtslosigkeit hätte erkennen müssen, kann der Rechtsschutz ihn in Regress nehmen und die gezahlten Kosten zurückverlangen. Insoweit hatte zuletzt auch eine Entscheidung des BGH für ordentlich Aufsehen in der Anwaltschaft gesorgt (Urt. v. 16.09.2021, Az. IX ZR 165/19).
Auch wenn der Anwalt versichert ist, kostet ihn ein Regress Geld. Ein „epic fail“ ist professionell zu melden.
Egal, ob nun ein Rechtsschutzversicherer oder der Mandant selbst den Anwalt haften lassen will: Unangenehm wird es allemal, wenn man die Führung durch die Jura-Wildnis vermasselt hat. „Auf die leichte Schulter sollte man so einen Regressprozess sicher nicht nehmen“, sagt Rechtsanwalt Herbert Peter Schons, der schon viele Jahre beobachtet, woran seine Zunft in solchen Fällen scheitert und wie tückisch die Verfahren sein können. „Auch wenn eine Vermögenshaftpflichtversicherung vorhanden ist, fällt eine vertragliche Selbstbeteiligung von in der Regel mindestens 2.500 EUR an. Außerdem ist der eigene Gebührenanspruch des Anwalts, dem der Fehler unterlief, nicht versichert. Er verliert also ordentlich Geld“, so Schons.
Und der finanzielle Aspekt ist nur eine Seite der Verlustmedaille. Schon wenn ein Anwalt seine Vermögenshaftpflicht informiert, dass auf dem Trip etwas schiefgelaufen ist, kann er sich gleich in neue Fallstricke verheddern. Nämlich wenn er voreilig seinen „epic fail“ ebenso episch lang und breit erklärt und alle Verantwortung auf sich nimmt. „Viele Anwälte sind schon daran gescheitert, einen möglichen Haftungsfall korrekt bei der eigenen Vermögenshaftpflicht zu melden“, so Schons. Vorgehen könne man so: „Man teilt dem Versicherer mit, dass der Mandant einen Regress schon angekündigt hat bzw. ein Beratungsfehler im Raume steht und stellt dann den Sachverhalt dar“. Anschließend wartet man ab, wie der Versicherer reagiert. Dieser hat häufig spezielle Abteilungen für Regressfälle mit juristischen Koryphäen, die im Haftungsrecht den perfekten Überblick haben wie ein Tukan, der aus seiner Baumhöhle entlang den Dschungelwipfeln schaut.
Im Zentrum steht bei Regressverfahren die Frage der sogenannten Kausalität. Im Prozess schaut sich das Gericht den Sachverhalt genau an und prüft, ob der Mandant den ursprünglichen Rechtsstreit, in dem der Anwalt sich den Fehler leistete, gewonnen hätte, wenn sein Anwalt das Verfahren korrekt geführt hätte.
Hohe Schäden, kleine Pflichten? Was die BRAO vom Anwalt verlangt und warum das bei manchen juristischen Gewächsen nicht genügt
Ein Blick ins Gesetz zeigt, dass die Pflichtsummen bezüglich Vermögensschäden nicht gerade üppig bemessen sind. § 51 BRAO schreibt eine Mindestsumme von 250.000 EUR pro Versicherungsfall vor, wobei die Leistungen für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden auf den vierfachen Betrag der Summe begrenzt werden können. Manche Schlingpflanzen, die das Anwaltsbein fest umklammern, sind aber richtig große Kaliber. Beispiel: Arzthaftungs- oder Unfallsachen. Dann geht es oft um Schadenersatz, Schmerzensgeld oder gar lebenslange Rentenzahlungen. Wer so ein Mandat schon einmal hatte, der weiß: es geht um keine Kleckersummen.
Nur zum Vergleich: Selbst klassische Haftpflichtversicherungen für Privatpersonen haben oft mehrere Millionen Euro als Deckungssumme. Manche Versicherer empfehlen dann auch je nach Fachgebiet und Tätigkeitsschwerpunkten eine risikogerechte Absicherung, was im Einzelfall deutlich höhere Versicherungssummen bedeutet. Aber schließlich geht es auch darum, erhebliche Risiken für das Privatvermögen der Anwälte zu minimieren. Auch im Familien- oder Erbrecht stellen sich erhebliche Haftungsrisiken, die abgesichert sein wollen.
Ein geradezu wilder Regressfall ging vor vielen Jahren durch die juristischen Gazetten: Ein Unterhaltsprozess, der sich elendig lange über alle Instanzen hingezogen hatte. Immer wieder war es auch zu Rückverweisungen der Gerichte gekommen. Dann stellte sich plötzlich nach zehn Jahren Verfahrensdauer heraus, dass die im Ausland nach deutschem Recht geschlossene Ehe nie wirksam zustande gekommen war. Mit dem Ergebnis, dass der gesamte bisher gezahlte Unterhalt zurückzuzahlen und daher am Ende ein entsprechend hoher Schaden entstanden war.
Vor allem Junganwälte bzw. Kanzleigründer sind gut beraten, sich mit mehreren, erfahrenen Kollegen auszutauschen, wie die es mit der Vermögenshaftpflicht halten. Sie bekommen dann von den „alten“ Dschungel-Haudegen meist nicht nur wertvolle Hinweise, auf welchen Rechtsgebieten sich welche Versicherungssummen empfehlen. Sie profitieren ferner von den oft jahrelangen Erfahrungen der Kollegen mit den im Markt vertretenen Versicherern oder sogar durchgemachten Regress-Odysseen.
Abraten oder zuraten. Veraltete Rechtsprechung eher seltener Anwaltsfehler. Nicht nur höchstrichterliche Entscheidungen gehören ins Anwaltsköpfchen
Im Rahmen seiner Mandatsführung muss ein Anwalt dem Gesetz und der einschlägigen Rechtsprechung folgen. Er hat also die amtlichen Sammlungen und Fachzeitschriften ebenso zu kennen wie die höchstrichterlichen Entscheidungen. Haben die obersten Gerichte noch nicht zu seinem aktuellen Fall entschieden, muss der Anwalt auf seinem verwinkelten Pfad auch in die Instanzen-Höhlen klettern und sich in die obergerichtliche Rechtsprechung einlesen (OLG Frankfurt, Urt. v. 14.07.2021, Az. 17 U 60/20).
Diese Pflicht gilt natürlich auch weiterhin während der fortlaufenden Sachbearbeitung, denn kurzfristig können neue Entscheidungen der oberen oder höchsten Gerichte die ursprüngliche Erfolgsprognose komplett über den Haufen werfen. Was zunächst erfolgversprechend begann, kann später aussichtslos werden.
Allerdings ist es nicht so, dass unbeachtete Rechtsprechung unter den häufigen Regressgründen rangiert. Dieser Fehler entspricht eher einer harmlosen Lichtung auf der Dschungeltour mit weniger Gefahrenpotenzial.