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Darf ich‘s wagen, Sie zu fragen?

Ich stamme aus einer Lehrerdynastie. „Frag halt‘, wenn du was nicht weißt!“ gehört zum fest verinnerlichten Repertoire von Kindern solcher Dynastien. Also auch in meins.

Frage, wem Verstand gegeben!

Selbstverständlich soll, kann und darf mir jede* jede Frage stellen. Was ich nicht beantworten kann oder mag, offenbare ich ehrlich. Seit Jahren kämpfe ich darum, meinen Beruf, seine Hintergründe, Möglichkeiten und Grenzen anderen verständlich zu machen. Meinen Mandanten natürlich, am liebsten aber jungen Menschen, denn die fragen gerne und meist ohne Ende, jedenfalls aber, bis ich an meine Erklärungsgrenzen gelange. Irgendwo auf oder hinter diesen Grenzen liegt dann zumeist der sprichwörtliche Hase im Pfeffer, heißt: da liegen die echten, noch zu lösenden Probleme des Rechts. Wunderbar!

Genauso, wie ich die Fragen anderer hinnehme und begrüße, möchte ich meine gerne beantwortet wissen, wenn ich mal etwas nicht weiß. Soll vorkommen – trotz beruflicher „Recht-Haberei“.

Schweigen ist Gold?

Selbstverständlich ist das mit der allgemeinen Frage-Erlaubnis heute nicht (mehr). Weit gefehlt, zu glauben, mit der Bitte auf Auskunft oder gar Hilfe offene Türen einzurennen! Stattdessen zeigen sich immer häufiger real oder verbal hochgezogene Augenbrauen á la „Wie das wissen/können/verstehen … Sie nicht?“

Das Paradebeispiel ist die Technik-Hotline, auch Help-Desk genannt. Wie selbstverständlich werde ich dort zum dauerwartenden Dummie-Bittsteller degradiert. Ich werde von Pontius zu Pilatus verbunden, natürlich in gänzlicher Unkenntnis des/der Durchstellenden, dass dieser qua Ableben vor rund 2.000 Jahren aus dem Mitarbeiterverzeichnis gestrichen wurde. Ich lande, kurz vor dem eigenen wartezeitbedingten Exitus, beim vermeintlich verständnisvollen Endbeantworter. „Danke, dass Sie gewartet haben.“

Ich wiederhole ein letztes Mal mein neuestes Mantra – mein Anliegen. „Das liegt ja wohl auf Ihrer Seite, das Problem.“ Der tiefe Seufzer, der das Auflegen begleitet, kann sprechen. Bände. Ich danke erschüttert ins Nichts. Wo das Problem lag, wusste ich bereits. Ich fragte, um es gelöst zu bekommen.

Werte-Wandel

Wo ein fragender Mensch früher als wissbegierig, offen und lösungsorientiert wahrgenommen wurde, scheint er heute nur eins zu sein – lästig. Der fragende Mandant kostet Arbeitszeit, die – jedenfalls ohne Zeithonorarvereinbarung – nicht vergütet wird. Der fragende Mensch verlangt Erklärung, Rechtfertigung, gar Tätigwerden. Unerträglich im eng getakteten Work-Life-Balance-Milestone-Schedule. Vielleicht können sich viele einfach selbst nicht mehr erklären, warum sie etwas tun und der Fragende ertappt sie dann beim Nichtwissen? Entsprechend wird er abgestraft.

Frag‘ gefälligst das Internet!

Vielfach werden Fragende, insbesondere Nachfragende, aber auch als begriffsstutzig, uninformiert und/oder hilflos wahrgenommen. Suchmaschinen brauchen ja keine Frage, um Antworten zu liefern. Kann der Fragende sich das nicht selbst raussuchen? Sind wir nicht mit einem Mausklick längst alle Schnellexperten in allem? In den Antworten der so Denkenden klingt die Geringschätzung für den Fragenden durch.

„Wer mich fragt, der nicht gewinnt“ scheint ein neues Credo zu werden. Krönung dieser Geisteshaltung ist die schriftlich oder in Textform gefasste Forderung „Von Rückfragen bitten wir Abstand zu nehmen.“ Warum?

FRAG! MICH! DOCH!

Ich sage: Als Anwalt muss ich fragen. Sogar rück-fragen.

Wer nicht fragt, bleibt dumm, wusste schon das Titellied einer Kinderserie. Es hat, im wahrsten Sinne des Wortes, Recht. Denn wenn ein Vorurteil NICHT auf meinen Berufstand passt, dann das des reinen Antwortkonsumenten*, der* Prüfschemata auswendiglernt und Paragrafen abnickt. Stattdessen ist kritisches Hinterfragen von Schilderungen, Interpretationen (Meinungsstreit!) und Verfahrensabläufen selbstverständlich – und die Frage dazu das unerlässliche Handwerkszeug. Denken Sie nur an „Wer will was von wem woraus?“

Die Rück-Frage benötige ich als unersetzbares Medium der Verständniskontrolle. Sie muss ja nicht gleich herabwürdigend klingen á la „Haben Sie das jetzt verstanden?“ Die Lehrerdynastie hat mich bessere Varianten gelehrt. Es ist doch, neben meinem persönlichen Bedürfnis, auch ein Stück Sicherheit, im Mandat richtig verstanden zu werden. Aufgeklärte Entscheider sind nachweislich zufriedener mit dem Ergebnis ihrer Entscheidungen – und kommen wieder, statt die Haftpflichtversicherung anzurufen. Wer mich fragt, WARUM etwas so gemacht wird, wie es gemacht wird, findet vielleicht einen Fehler in meinen Routinen, den ich längst übersehe.

Wenn ich mich nicht hinterfragen lasse – nicht als Mensch und nicht als Berufsträger – verbaue ich mir also den Weg zur Verbesserung. Das ist dann wirklich blöd.

Noch Fragen?

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