Die letzten drei Wochen waren hart. Immer wieder bekam ich Nachrichten, die mich extrem nachdenklich gemacht haben. Rechtsanwaltskanzleien, in denen das ganze Team kündigt, überlastete und überarbeitete Mitarbeitende an allen Fronten und eine unendliche Anzahl an Stellenanzeigen in den einschlägigen Stellenportalen, die genau diese Geschichte erzählen.
In den Kanzleien muss sich dringend etwas ändern – sehr dringend
Denn sonst, ja was passiert eigentlich, wenn irgendwann keiner mehr den Beruf der Rechtsanwaltsfachangestellten, der Notarfachangestellten und der Patentanwaltsfachangestellten machen möchte? Und die verbliebenen Fachangestellten entweder in Rente gehen, sich kaputt gearbeitet haben oder aus den Kanzleien geflohen sind. Übernimmt dann die KI tatsächlich komplett unseren Job?
Aber ob das gut geht?
Kann die KI auch glaskugelmäßig Ihre Gedanken lesen und aus nur halb ausgesprochenen Gedanken wissen, was Sie wollen? Wer hilft Ihnen dann, wenn die Technik und damit auch die KI spinnt? Oder das Internet mit der KI weg ist und Sie nicht weiterwissen?
Möglicherweise funktioniert das alles und Sie werden die leeren Flure und die Stille genießen. Die Stille, die nur ab und an durch Ihre Berufskollegen gestört wird, die mit Ihnen zu Mittagessen wollen oder von ein paar Anrufen, die irgendwie doch noch zu Ihnen durchdringen, statt von der KI beantwortet zu werden. Eine wunderbare, sterile Welt, in der alles seine Ordnung hat und Sie endlich unter sich sind.
Denn die KI schickt Ihnen dann auch per Roboter genau zur richtigen Zeit einen Kaffee, Milliliter genau abgestimmt auf Ihre Bedürfnisse. Himmlisch! Oder etwa doch nicht? Nun ja, das mag jeder und jede für sich selbst entscheiden. Mir würde der Gedanke Angst machen – Roboter und Maschinen statt Menschen um mich herum zu haben.
Aber bis wir endgültig an diesem Punkt sind, vermute ich mal, wird es noch ein wenig dauern – falls es überhaupt einmal gelingt, Rechtsanwaltsfachangestellte, Notarfachangestellte und Patentanwaltsfachangestellte gänzlich durch KI zu ersetzen. Zumindest diejenigen unter uns, die ihren Beruf lieben, tiefes und fundiertes Wissen haben und Ihnen zurzeit noch den Alltag managen.
Und deswegen ist es an der Zeit
An der Zeit, dass Sie umdenken – in uns Partner und Partnerinnen sehen, die in ihrer Ausbildung nicht nur das Tippen und Kaffee kochen lernen, sondern die von A bis Z lernen, eine ganze Welt zu managen und zu jonglieren. Sie selbst entscheiden, wie Sie uns behandeln, bezahlen und ob Sie bereit sind – soweit es Ihnen möglich ist, eine oder fünf von uns einzustellen.
Hören Sie endlich auf, so zu tun, als wenn wir Bittsteller und Bittstellerinnen sind, die dankbar sein müssen, einen Job von Ihnen zu bekommen. Fangen Sie an im Hier und Jetzt anzukommen. Und fragen Sie sich einmal, warum und woher Ihre Meinung über uns Fachangestellte kommt und wie sinnvoll diese Meinung ist, die sich da so seit einigen Jahrzehnten aufgebaut hat.
Denn das Hier und Jetzt besteht nicht mehr daraus, uns mit Obstkörben, kostenlosen Getränken, Parkplätzen und einem gut ausgerüsteten Arbeitsplatz mit ergonomischen Möbeln und zwei Bildschirmen abzuspeisen.
Das alles sind wunderbare Dinge, die mir alle schon viel Freude bereitet haben und auch weiter bereiten werden, aber wissen Sie, wie Sie viel mehr Mitarbeitende gewinnen können?
Eine Behandlung auf Augenhöhe
Zum Beispiel, in dem Sie Ihre Mitarbeitenden genauso behandeln wie Ihre Partner und Partnerinnen in der Kanzlei. Genauso sollten Sie eine offene und wertschätzende Kommunikation mit Ihren Fachangestellten pflegen, so wie Sie dies tagtäglich auch mit Ihren Mandanten und Mandantinnen tun. Auch eine Einladung in das regelmäßige Team-Meeting und zur Feier des Jubiläums des Dienstältesten sollte selbstverständlich sein und keine besonders großzügige Geste. Und dass Fachangestellte genauso in die Anwaltsrunden gehören, in denen wichtige Kanzleiabläufe besprochen werden – darüber brauche ich nun hoffentlich nicht mehr zu reden. Genauso wenig wie darüber, dass die Fachangestellten in dieser Runde auch ein Mitspracherecht haben sollten.
Denn seien wir mal ehrlich: Von vielen Dinge, die wir tun, haben Sie überhaupt keine Ahnung. Und das müssen Sie auch gar nicht, denn Sie haben Ihre Aufgaben (die können wir wiederum nicht).
Und doch sind wir ein wesentlicher Teil Ihrer Kanzlei. Ein ganz wesentlicher Teil, wie Ihnen möglicherweise mittlerweile dämmert, wo immer weniger von uns bei Ihnen zu finden sind. Und gerade deswegen ist es an der Zeit, die (unsichtbaren) Mauern einzureißen und miteinander zu reden und vor allem miteinander zu arbeiten.
Das werden viele von Ihnen möglicherweise noch nicht sehen. Gerade, wenn Sie noch nie in der Situation waren, wo Sie auf einmal ohne ein funktionierendes Programm, ohne die ganzen Bequemlichkeiten, die Ihnen Ihre Fachangestellte bietet, dagestanden haben. Und auf einmal neben Ihren eigenen Aufgaben noch die Aufgaben übernehmen mussten, die sonst ihre Fachangestellte 40 h und mehr für Sie übernommen hat.
Dann werden Sie spätestens ins Grübeln kommen – doch dann ist der Weg ggf. lang, bis Sie wieder eine passende Fachangestellte haben.
Deswegen überlegen Sie sich einmal, ob Sie nicht Ihre Fachangestellten und auch die angestellten Anwälte und Anwältinnen genauso wertschätzen wollen, wie Ihre Partner und Partnerinnen. Mit dem Ergebnis, eine gut gehende Kanzlei zu haben, in die alle jeden Tag wieder gerne arbeiten kommen. Hören Sie auf, die einzelnen Mitarbeitenden nach Ausbildungen und Positionen zu trennen und fangen Sie an, alle miteinander zu vernetzen.
Eine Win-win Situation für alle
In meinen Augen können Sie dann nur gewinnen, denn viele Ihrer Mitarbeitenden haben Potenziale, die Ihnen jetzt noch nicht bekannt sind, weil Sie sich nicht näher mit Ihren Mitarbeitenden beschäftigen. Denn auch hinter Ihren Fachangestellten und angestellten Anwälten und Anwältinnen stecken oftmals interessante, vielfältige Persönlichkeiten, die Ihnen nützlicher sein können, als Sie auf den ersten Blick vielleicht meinen. Es liegt bei Ihnen, dieses Potenzial zu erkennen und zu nutzen.
Im Übrigen genau in dem Moment, wenn Sie allen die gleichen Chancen, Möglichkeiten und Gelegenheiten bieten zu wachsen und Ihre Positionen bestmöglich auszufüllen, werden die Fachangestellten gerne zu Ihnen zurückkommen und bleiben.
Und dann dürfen Sie ihnen auch gerne den Obstkorb, das kostenlose Wasser, den gut eingerichteten, ergonomischen Arbeitsplatz sowie Firmenevents anbieten und sich freuen, ein Strahlen dafür zu ernten. Denn dann wissen Ihre Angestellten, die Sachen kommen von Herzen und sind ehrliche Wertschätzung und kein Ersatz für eine gute, gleichwertige und gleichrangige Begegnung auf Augenhöhe.
Ich weiß, das klingt verdammt hart und wahrscheinlich schmeckt diese Medizin auch bitter, aber mit Schönrederei haben wir es schon viel zu lange versucht und das Ergebnis? Kennen Sie.
Es gibt immer noch viel zu viele Anwälte und Anwältinnen, die diese Denkweise über Ihre Fachangestellten hegen und pflegen. Und diese machen denjenigen, von Ihnen, die bereits Ihren Kollegen und Kolleginnen voraus sind, das Leben schwer. Denn ja, ich weiß, es gibt unter Ihnen auch einige wenige, die bereits da sind, wo ich die Zukunft für unseren Beruf und auch für die Kanzleien sehe. Diejenigen, die Ihre Fachangestellten schätzen und im Miteinander mit ihnen arbeiten. An genau Sie habe ich eine Bitte – tragen Sie Ihre Einstellung, Ihre Wertschätzung und Ihre Anerkennung uns Fachangestellten gegenüber in die Welt hinaus und sorgen Sie damit dafür, dass es auch in anderen Kanzleien zum Umdenken kommt. Denn dann schaffen wir es vielleicht gemeinsam, ein Aussterben unseres Berufes zu verhindern.