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Problemkreis Insolvenzanfechtung

Problemkreis Insolvenzanfechtung

Das Schlimmste, was nach einer erfolgreich durchgeführten Zwangsvollstreckung passieren kann, ist der Fall, dass der Gläubiger erhaltene Beträge zurückzahlen muss. Insbesondere die massive Zunahme von Verbraucherinsolvenzen mit der Verkürzung der Laufzeit seit Januar 2021 auf nunmehr lediglich 3 Jahre gibt erheblichen Anlass, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen.

Kongruente oder inkongruente Deckung – das sind die „Schreckensbegriffe“. Eigentlich handelt es sich um Begriffe, die im Bereich der Mathematik zu finden sind. Aber auch im Rahmen des Insolvenzverfahrens haben sie große Bedeutung. Einfach erklärt:

  • Deckung = Zahlung
  • kongruente Deckung = freiwillige Zahlung
  • inkongruente Deckung = unfreiwillige Zahlung

Die Insolvenzverwalter müssen schon aus haftungsrechtlichem Gesichtspunkt Masse, also Vermögen bilden. Nicht zuletzt trägt die Änderung der Insolvenzvergütungsordnung vom 1. Juli 2014 dazu bei, dass der Insolvenzverwalter großes Interesse an der Rückforderung gezahlter Beträge hat. Bis zum 30. Juni 2014 betrug gemäß § 2 InsVV die Vergütung des Insolvenzverwalters für die ersten 25.000,00 EUR 15 %, seit dem 1. Juli 2014 für die ersten 25.000,00 EUR 40 %.

Welcher Zeitraum ist rückzahlungsgefährdet?

Niemand soll sich kurz vor dem Insolvenzantrag (Achtung: nicht Eröffnung!) einen Vorteil beschafft haben. So sagt § 129 InsO:

Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind, und die Insolvenzgläubiger benachteiligen, kann der Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO anfechten.

Mit der Ermöglichung der Anfechtung von Rechtshandlungen, die der Schuldner zu einem Zeitpunkt vorgenommen hat, in dem er noch verfügungsberechtigt war, wird der Tatsache Rechnung getragen, dass im Vorfeld der Insolvenz oftmals versucht wird, Vermögen dem Zugriff anderer Gläubiger zu entziehen oder durch Schleuderverkäufe unsinnige Maßnahmen durchzuführen (Kommentar InsO, Braun, 8. Aufl. 2020, § 129 Rd. Nr. 3).

Was sind Rechtshandlungen des Schuldners?

Z.B.

  • schuldrechtliche Verträge
  • rechtsgeschäftliche Handlungen
  • geschäftsähnliche Handlungen
  • Prozesshandlungen

Welche Fristen gelten hier z.B.:

1 Monat vor dem Insolvenzantrag

Innerhalb eines Monats vor der Insolvenzantragsstellung erfolgte Rechtshandlungen (z.B. aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen erfolgte Zahlungen) sind ohne jede weitere Voraussetzung anfechtbar.

3 Monate vor dem Insolvenzantrag

War der Schuldner zahlungsunfähig oder war dem Gläubiger zum Zeitpunkt der Handlung bekannt, dass der Schuldner zahlungsunfähig ist oder dass durch die Handlung des Schuldners die Insolvenzgläubiger benachteiligt werden, ist die Rechtshandlung anfechtbar.

Während des Insolvenzverfahrens ist nur der Insolvenzverwalter berechtigt, Anfechtungsgründe der Insolvenzgläubiger zu verfolgen.

Nun im Einzelnen:

Eine kongruente Deckung liegt vor, wenn der Gläubiger genau diejenige Sicherheit oder diejenige Befriedigung erhält, die ihm zusteht. Befriedigung bedeutet Erfüllung.

Beispiele:

  • Tilgung durch Barzahlung, durch eigene Schecks, bargeldlose Überweisung, Abbuchung durch Lastschrift;
  • Herstellung einer Aufrechnungslage, z.B. wenn der Gläubiger vom Insolvenzschuldner eine Zahlung fordern kann, selbst jedoch seinerzeit Schuldner einer Gegenforderung des späteren Insolvenzschuldners wurde;
  • Verrechnung von Gutschriften durch die Bank, wenn z.B. die Bank einen entsprechenden Zahlungsanspruch durch Kreditkündigung oder Kontoüberziehung hatte;
  • Bestellung einer konkret geschuldeten Sicherheit;
  • Erwerb eines gesetzlichen Pfandrechts (Verpächter, Vermieter).

Besonderheit bei Arbeitsentgelt:

Für Arbeitnehmer gilt gemäß § 142 Abs. 2 S. 2 InsO? eine Sonderreglung. Hier ist nach Vorgabe des Gesetzgebers ein enger zeitlicher Zusammenhang auch dann gegeben, wenn der Zeitraum zwischen Arbeitsleistung und Gewährung des Arbeitsentgelts drei Monate nicht übersteigt.

Was bedeutet das für den Gläubiger?

Die Zahlungsunfähigkeit bzw. der Eröffnungsantrag sind zwingend Voraussetzung für eine Anfechtung.

Indizien für die bestehende Zahlungsunfähigkeit können sein:

  • Anwachsen von Rückständen;
  • erneutes Entstehen von Rückständen nach vorheriger Zahlung an den Gläubiger;
  • Nichteinhaltung von Zahlungszusagen;
  • Bitte des Schuldners um Ratenzahlung;
  • Rückstand fälliger Sozialversicherungsbeiträge;
  • Nichtzahlung oder schleppende Zahlung von Gehältern und Löhnen;
  • Zahlung erst nach Titulierung;
  • Häufung von ZV-Maßnahmen;
  • Nichteinhaltung getroffener Zahlungsvereinbarungen;
  • Lieferanten holen sich aufgrund bestehenden Eigentumsvorbehalts Ware zurück.

Die Beweislast für die Anfechtungsvoraussetzungen liegen allerdings beim Insolvenzverwalter.

Hat der Gläubiger überhaupt die Möglichkeit, sich vor Rückzahlungen des Insolvenzverwalters zu schützen?

Ja, wenn auch sehr fragil, durch:

1. Barzahlung

Auch wenn die Barzahlung der kongruenten Deckung zuzuordnen ist, sollte sie genutzt werden.

Beispiel:

Der Schuldner fragt, ob er Raten zahlen darf. In der Regel sind Ratenzahlungen in den Anwaltskanzleien möglich. Es gibt allerdings auch Mandanten, die eine Ratenzahlung generell ablehnen. Auch wenn die Gefahr einer Rückzahlung im Raume steht, sollte der Gläubiger dennoch die Möglichkeit nutzen.

2. Die monatlichen Raten zahlt nicht der Schuldner selbst.

Beispiel:

Der Gläubigervertreter erklärt, die Ratenzahlung sei möglich. Die Zahlungen sollen aber durch einen Dritten (Eltern, Geschwister, Freunde) erfolgen.

Restrisiko: Der Dritte geht selbst in die Insolvenz und hier kommt der Insolvenzverwalter und fordert geleistete Zahlungen zurück. Außerdem bleibt das Anfechtungsrisiko gemäß § 131 InsO bestehen.

3. Der Schuldner unterzeichnet einen Teilzahlungsvergleich und der Gläubiger nimmt folgende Formulierung auf:

Der Schuldner erklärt ausdrücklich, dass die Raten aus dem pfändungsfreien Vermögen gezahlt werden, so dass die Voraussetzungen der §§ 130, 131, 132 ff. InsO nicht vorliegen.

Bei den vorgenannten Möglichkeiten handelt es sich nicht um 100 %ige Sicherheiten, aber sie stellen für den Insolvenzverwalter u.U. eine Hürde dar.

§ 131 InsO – inkongruente Deckung

Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er

  • nicht oder
  • nicht in der Art oder
  • nicht zu der Zeit

zu beanspruchen hatte.

Nicht beanspruchen kann ein Gläubiger:

  • Befriedigung trotz Anfechtbarkeit oder Verjährung;
  • Erfüllung aus formnichtigen Verträgen;
  • Verzicht auf Ansprüche, auch bei einem Vergleich;
  • Einräumung einer nicht geschuldeten Sicherheit (z.B. Gefälligkeitstitel).

Nicht in der Art beanspruchen kann ein Gläubiger:

  • Forderungsabtretung statt der vereinbarten Barzahlung;
  • Zahlung durch Dritte nach Anweisung des Schuldners an dessen Gläubiger;
  • Zahlung vom Privatkonto eines Beauftragten, welchem Gelder von Dritten gutgeschrieben werden und dieser Beauftragte diese Gelder dann an den Gläubiger des Schuldners weiterleitet;
  • Zahlung von Arbeitsentgelt durch einen Dritten.

Nicht zu der Zeit beanspruchen kann ein Gläubiger:

  • Befriedigung einer noch nicht fälligen Forderung;
  • Zahlung von Vorschüssen ohne entsprechende Verpflichtung;
  • Erfüllung eines noch nicht fälligen Freistellungsanspruchs;
  • Herstellung der Fälligkeit einer Darlehensforderung durch eigene Kreditkündigung des Schuldners und anschließende Tilgung;
  • vorzeitige Darlehensrückzahlung nach Vertragsänderung innerhalb der 3-Monats-Frist.

Zur vereinfachten Erklärung: Die Befriedigung des Gläubigers aus Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ist immer inkongruent. Auch die Zahlung des Schuldners zur Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung innerhalb der 3-Monats-Frist ist inkongruent. Auch hier trifft die Beweislast den Insolvenzverwalter.

Besteht für den Gläubiger auch bei der inkongruenten Deckung die Möglichkeit, dass er nicht zurückzahlen muss?

In der Tat ist es hier sehr schwierig.

Man könnte versuchen, mit dem Insolvenzverwalter einen Vergleich zu schließen. Rückforderungsverpflichtungen seitens des Insolvenzverwalters und die hohe Vergütung gemäß § 2 InsVV schenken aber wenig Hoffnung.

Kann eine Rückzahlung seitens des Gläubigers nicht erfolgen, bedeutet dies im schlimmsten Fall für den Gläubiger ein eigenes Insolvenzverfahren.

Tipp:

Aus diesem Grund wird in vielen Kanzleien dem Mandanten dringend empfohlen, ausstehende Restbeträge im Falle eines Insolvenzverfahrens nicht anzumelden und zu hoffen, dass der Insolvenzverwalter die bisherigen Zahlungen nicht entdeckt.

Fakt ist, dass der Insolvenzverwalter alles, was zur Insolvenztabelle angemeldet wurde, versucht zurückzuerhalten.

Im Übrigen sollte der Gläubigervertreter auch seiner Aufklärungspflicht nachkommen.

Wird ein Vollstreckungsverfahren erfolgreich beendet, wäre an den Mandanten auch folgender Brief denkbar:

Muster Mandantenbrief:

Sehr geehrte/r Frau/Herr …

in obiger Angelegenheit können wir Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass wir Ihre gesamte Forderung realisieren konnten.

In der Anlage übersenden wir Ihnen einen Verrechnungsscheck über …, der sich wie folgt zusammensetzt: …

Wir müssen jedoch darauf hinweisen, dass, wenn der Schuldner in anderer Sache einen Insolvenzantrag gestellt hat oder stellen wird, Sie unter Umständen mit Rückforderungsansprüchen seitens des Insolvenzverwalters rechnen müssen.

Mit freundlichem Gruß

Gerade durch die Verkürzung der Insolvenzlaufzeit und die rapide Zunahme insbesondere der Verbraucherinsolvenz macht die Kenntnis der angesprochenen Vorschriften unerlässlich.

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