Drittauskünfte gemäß § 802l ZPO im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung
Kaum eine Vollstreckungsmaßnahme hat es in der Vergangenheit so oft zum Bundesgerichtshof geschafft, wie die Drittauskünfte. Erst jüngst hat der Bundesgerichtshof eine sehr gläubigerfreundliche Entscheidung getroffen (BGH, Beschl. v. 14.1.2021, I ZB 53/20), wobei die praktische Umsetzbarkeit noch nicht ganz klar ist, zumal selbst der Bundesgerichtshof die Angelegenheit zur Durchführung weiterer Feststellungen wieder an das Beschwerdegericht zurückverwiesen hat.
Nach der bisherigen Rechtslage war es so, dass Drittauskünfte gemäß § 802l ZPO nur im Zusammenhang mit einem Antrag auf Abgabe der Vermögensauskunft möglich waren und zwar losgelöst von der Frage, ob es sich dabei um
- den Erstgläubiger handelt, also den Gläubiger, der die Vermögensauskunft erwirkt, oder
- einen Folgegläubiger, der lediglich die bereits abgegebene Vermögensauskunft zugeleitet erhält.
Für beide Gläubiger ist die Einholung von Drittauskünften möglich, im letzteren Fall aufgrund der zweiten Alternative des § 802l ZPO, wonach die im Vermögensverzeichnis enthaltenen Angaben vorrausichtlich nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers führen. Um dies letztlich durch den Gläubiger zu beurteilen und auch vorzutragen sowie glaubhaft zu machen, bedarf es naturgemäß der Übermittlung der Vermögensauskunft.
Noch mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, Beschl. v. 16.5.2019 – I ZB 79/18) wurde dem Gläubiger hinsichtlich der isolierten Einholung von Drittauskünften eine Absage erteilt, wenn er seinen Antrag nur auf die Eintragungsanordnungen im Schuldnerverzeichnis stützt, wonach dort mehrere Eintragungsanordnungen gemäß §§ 882b, 882c ZPO vorhanden wären. Diese Entscheidung war auch insoweit nachvollziehbar, da aus dem Schuldnerverzeichnis ja lediglich der Eintragungsgrund ersichtlich ist, nicht hingegen in welchem Umfang der Zwangsvollstreckung unterliegenden Vermögenswerte des Schuldners, wie Konten, Lohnansprüche etc. ersichtlich sind.
Mit der hoch aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 14.1.2021 wird wiederrum ein anderer Weg eingeschlagen, wonach er bedingungslos einen isolierten Antrag eines Folgegläubigers auf Einholung von Drittauskünften, also ohne Antrag und Übermittlung der Vermögenauskunft, für zulässig erachtet.
Insbesondere im Fall der ersten Alternative des § 802l ZPO bedeutet dies wohl, dass ein Folgegläubiger durch Nachweis aus dem Schuldnerverzeichnis, wonach eine Eintragungsanordnung „Schuldner ist seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nachgekommen“ lautet, berechtigt ist, ohne einen Antrag auf Abgabe der Vermögensauskunft zu stellen, Drittauskünfte einzuholen. In diesem Zusammenhang hat sogar der Bundesgerichtshof deutlich gemacht, dass er den Schuldner bei verweigerter Abgabe der Vermögensauskunft gegenüber einem anderweitigen Gläubiger im Hinblick auf die Einholung von Drittauskünften nicht für schutzwürdig hält, da sich schließlich der Schuldner nicht aussuchen kann, für welchen Gläubiger er eine Vermögensauskunft abgibt.
Gerade diese Sichtweise des Bundesgerichtshofes ist mittlerweile sehr umstritten und in der Kritik, nachdem der Schuldner beispielsweise nach Meinung von Mroß in DGVZ 2021, 111, praktisch rechtelos gestellt wird. Dieser Auffassung kann ich nicht folgen, da der Bundesgerichtshof einen Schuldner endlich als „mündigen“ Schuldner erkennt und auch so behandelt, was in der Vergangenheit zahlreiche Verbraucherschutzverbände, aber auch der Gesetzgeber vielfach unter den Tisch hat fallen lassen.
Der Schuldner weiß doch,
- welche Gläubiger er hat,
- dass er seine offenen Forderungen zu bezahlen hat und
- dass er sich – aus welchen Gründen auch immer – geweigert hat, die Vermögens-auskunft zu leisten.
Er muss also damit rechnen, dass
- entweder der Gläubiger, der die Vermögensauskunft beantragt hat, Haftbefehl zur Erzwingung der Vermögensauskunft beantragt, mit der Folge, dass der Schuldner sodann auch Angaben zu Arbeitgebern, Bankverbindungen, Fahrzeugen etc. machen muss oder
- der Gläubiger den Weg der Drittauskünfte beschreitet, über welche er ebenfalls die zuvor genannten Vermögenswerte in Erfahrung bringt.
Auch bezüglich des antragstellenden Gläubigers muss der Schuldner in Kauf nehmen, dass er eine Lohn- und/oder Kontenpfändung erhält. Weshalb also die isolierte Einholung von Drittauskünften im Falle der ursprünglichen Verweigerung zur Abgabe der Vermögensauskunft bedenklich sein soll, ist nicht recht nachvollziehbar. Zum einen hat der Schuldner vollständige Kenntnis seiner Pflichtverletzung. Zum anderen wurde der Schuldner im Verfahren des Erstgläubigers vollständig über die Folgen der Nichtabgabe durch den Gerichtsvollzieher aufgeklärt. Und auch durch die Vollstreckung des Folgegläubigers ist er wohl nur begrenzt belastet, da davon auszugehen ist, dass bereits der Erstgläubiger die Lohn- und/oder Kontenpfändung betreibt. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dem Schuldner gehe die zweiwöchige Zahlungsfrist des § 802f ZPO verloren, möge man einmal verlässliche Zahlen präsentieren: Wie viele Schuldner (prozentual) nehmen diese Zahlungsfrist für sich überhaupt in Anspruch?
Vielmehr stellt die formale und zwangsweise Einholung eines alten Vermögensverzeichnisses als eine reine Formalität dar, welche nur Kosten produziert, wenn man bedenkt, dass kaum ein Gläubiger aus einem völlig veralteten Vermögensverzeichnis die Zwangsvollstreckung betreibt, sondern fast immer den Weg der aktuellen Drittauskünfte gehen wird.
Seit über 25 Jahren im Vollstreckungsrecht habe ich seit Einführung der Reform der Sachaufklärung im Jahre 2013 kein einziges Erinnerungsverfahren auf Schuldnerseite über die Einholung von Drittauskünften erlebt. Dies zeigt doch, dass es dem Schuldner letztlich völlig egal ist, ob Drittauskünfte eingeholt werden oder nicht. Der Schuldner wird bestenfalls dann aktiv, wenn ihn die nachfolgende Vollstreckungsmaßnahme – so also meist die Kontenpfändung oder Lohnpfändung – nachteilig berührt.
Wenn man allerdings die politische Entwicklung der letzten Jahre betrachtet und zudem das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht, welches ab 1.8.2021 zu einschneidenden Gebührenreduzierungen auf Gläubigerseite führt betrachtet, so kann die Entscheidung des Bundesgerichtshofes mit Beschl. v. 14.1.2021 nur als eine Entscheidung in die richtige Richtung unter Berücksichtigung der Kostenreduktion gewertet werden. Es kann schließlich schwerlich sein, dass die Gläubiger für ihre außergerichtliche Tätigkeit und die Tätigkeit im Rahmen der Ratenzahlungsüberwachung fast 50 % ihrer Gebühren einbüßen, währenddessen der Staat fleißig die Kosten nach oben treibt durch
- Anhebung der Gerichtsgebühren für das gerichtliche Mahnverfahren,
- die Anhebung der Gerichtskosten für den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss,
- des Haftbefehls
- und eben auch die Einforderung der Gerichtsvollzieherkosten für das Verfahren auf Abgabe der Vermögensauskunft, welche im Ergebnis natürlich auch der Schuldner zu tragen hat, der doch vermeintlich vom Gesetzgeber vor zu hohen Kosten geschützt werden soll.
Insoweit begrüße ich ausdrücklich die klare Haltung des Bundesgerichtshofes, wonach dem Schuldner Verantwortung für sein Tun oder eben Nicht-Tun übertragen wird, anstelle ihn – wie in der Vergangenheit – als generell schutzwürdiges Objekt zu behandeln. Es sollte schließlich nicht außer Acht gelassen werden, dass der Schuldner die Verbindlichkeiten begründet hat und der Gläubiger bereits erhebliche Kosten in die Titulierung und Vollstreckung investieren musste, um seine Forderung zu erhalten. Insoweit steht dem Schuldner die Opferrolle nicht zu und nicht immer sind die Gläubiger „dreist und frech“, nur weil sie daran interessiert sind, ihre Forderungen durchzusetzen – im Übrigen für Leistungen, die der Schuldner irgendwann einmal vom Gläubiger ohne Gegenleistung erhalten hat.
Offen lässt der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 14.1.2021, wie der Gläubiger im Falle eines Antrags einer isolierten Drittauskunft die Voraussetzungen des § 802l ZPO in der zweiten Alternative darlegen muss. Insoweit hat der Bundesgerichtshof bereits in der Entscheidung vom 16.5.2019 darauf hingewiesen, dass eben gerade nicht ausreichend ist, pauschal auf die Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zu verweisen.
Deshalb ist nach wie vor die Praxisrelevanz dieser Entscheidung für die zweite Alternative des § 802l ZPO fraglich, da auch nach meiner Auffassung zur Beurteilung, ob die Voraussetzungen in der zweiten Alternative des § 802l ZPO vorliegen, wohl schwerpunktmäßig das bereits abgegebene Vermögensverzeichnis benötigt wird. Alternativ wäre gegebenenfalls denkbar, diese Voraussetzungen des § 802l ZPO in der zweiten Alternative durch Vorlage von Drittschuldnererklärungen mit mehreren Vorpfändungen glaubhaft zu machen. Im Falle der Drittschuldnererklärung wird dann wiederrum nur dieses explizite Vermögen (also z.B. ein Konto) beleuchtet und wohl nicht glaubhaft gemacht werden können, dass insgesamt die Vermögenswerte voraussichtlich nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers führen, weil ohne Vorlage einer Vermögensauskunft gerade zu den übrigen Vermögenswerten gläubigerseits nichts gesagt werden kann.
Vor diesem Hintergrund entfaltet die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 14.1.2021 Praxisrelevanz und Kostenersparnis im Bereich der ersten Alternative des § 802l ZPO, also im Falle der schuldhaften Nichtabgabe der Vermögensauskunft. Es bleibt hingegen offen, wie die Voraussetzungen der zweiten Alternative des § 802l ZPO ohne Einholung der bereits abgegebenen Vermögensauskunft dargelegt und glaubhaft gemacht werden sollen.
Nachdem jedoch der Bundesgerichtshof das Verfahren insoweit zurückverwiesen hat, kann man auf weitere Erkenntnisse hoffen. Wir werden also wieder berichten.
Neben dieser vom Bundesgerichtshof nunmehr entschiedenen Frage, ob ein Gläubiger ohne eigenen Antrag auf Abgabe der Vermögensauskunft isoliert Drittauskünfte beantragen kann ist in der Rechtsprechung umstritten, innerhalb welchem zeitlichen Zusammenhang ein Gläubiger, der selbst einen Antrag auf Abgabe der Vermögensauskunft gestellt hat, nunmehr Drittauskünfte beantragen muss. Dabei ist wiederrum zu unterscheiden, ob Drittauskünfte in der ersten Alternative des § 802l ZPO (Nichtabgabe der VAK) eingeholt werden sollen oder aufgrund der zweiten Alternative des § 802l ZPO (Befriedigung des Gläubigers ist nicht zu erwarten).
Die Drittauskünfte im Hinblick auf den zeitlichen Faktor dürften im Falle der ersten Alternative unproblematisch sein – schlicht und ergreifend deshalb, weil der Gläubiger, wenn sich der Schuldner weigert die Vermögensauskunft zu leisten, ein unmittelbares Interesse daran hat, so schnell wie möglich die Drittauskünfte zu erhalten, um überhaupt Vermögenswerte des Schuldners zu erkennen und kurzfristig in die Forderungsvollstreckung einsteigen zu können. Das Ganze ist in der zweiten Alternative des § 802l ZPO weitaus komplexer.
Taktisch problematischer ist daher die Einholung von Drittauskünften in der zweiten Alternative des § 802l ZPO. Auch in diesem Fall ist nochmals zu differenzieren: Erhält der antragstellende Gläubiger ein Vermögensverzeichnis, das bereits längere Zeit zurückliegt, können wiederrum unmittelbar – also ohne zeitliche Verzögerung – die Drittauskünfte eingeholt werden, da jedenfalls der Gläubiger durch die Drittauskünfte wesentlich aktuellere Informationen über die Vermögenssituation des Schuldners erhält, als er dem veralteten Vermögensverzeichnis entnehmen kann.
Etwas anderes gilt hingegen, wenn der Schuldner für den antragstellenden Gläubiger aktuell die Vermögensauskunft leistet und dem Gläubiger sodann dieses hoch aktuelle Vermögensverzeichnis übermittelt wird. Unterstellt man, dass durch die Einholung der Drittauskünfte die Richtigkeit der abgegebenen Vermögensauskunft nachgeprüft werden soll und man zudem davon ausgehen darf, dass ein Schuldner neue Vermögenswerte, also neue Bankverbindungen, einen neuen Arbeitgeber, etc. mit hoher Wahrscheinlichkeit erst nach Abgabe der Vermögensauskunft begründet, so folgt daraus denklogisch, dass Drittauskünfte erst mit einer zeitlichen Verzögerung eingeholt werden sollten, um dem Schuldner auch Gelegenheit zu geben, diese neuen Vermögenswerte tatsächlich zu begründen.
Während das AG Neuss (Beschl. v. 21.1.2020, 63 M 34/20, DGVZ 2020, 103) keinerlei zeitlichen Zusammenhang zwischen Vermögensauskunft und Antrag auf Einholung von Drittauskünften sieht und lediglich als Höchstfrist die 2 Jahre des § 802d ZPO benennt, unterstellt das LG Stuttgart in der Entscheidung vom 22.2.2019 (10 T 61/19) eine Frist bezüglich des zeitlichen Zusammenhangs von 3 Monaten. Vor allem die letztgenannte Entscheidung dürfte nicht zutreffend sein.
Eine starre Frist bezüglich des zeitlichen Zusammenhangs ist meiner Meinung nach unzulässig. Dies schon deshalb, weil tatsächlich – wie bereits das AG Neuss festgestellt hat – im Gesetz keine Frist genannt ist und zudem, wenn man nunmehr auch die neuerliche Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 14.1.2021 berücksichtigt, der Schuldner auch nicht schutzwürdig ist. Was allerdings für einen gewissen zeitlichen Zusammenhang spricht, ist, dass durch die Drittauskünfte wohl nicht die grundsätzliche Schutzfrist des Schuldners gemäß § 802d ZPO umgangen werden soll. Dagegen muss es aber einem Gläubiger möglich sein, die vom Gesetz genannten Anforderungen des § 802l ZPO in der zweiten Alternative, auch tatsächlich auszuvollstrecken. Das bedeutet womöglich,
- die im Vermögensverzeichnis genannten Vermögenswerte (z.B. Arbeitgeber, Konten, etc.) zu pfänden,
- das Ergebnis dieser Pfändungen abzuwarten,
- die weitere Vorgehensweise mit dem Mandanten zu besprechen und
- sich im Anschluss dafür zu entscheiden, dass nunmehr die Voraussetzungen des § 802l ZPO in der zweiten Alternative (Befriedigung des Gläubigers ist nicht zu erwarten) für gegeben erachtet werden können und daraufhin einen Antrag auf Drittauskünfte zu stellen.
Wenn der Gläubiger diese Maßnahmen in einem angemessen Zeitraum mit den üblichen Bearbeitungszeiten bei Gericht, Fristen für die Abgabe der Drittschuldnererklärung, ggf. nochmalige Aufforderung zur Abgabe der Drittschuldnererklärung, Berücksichtigung der Auszahlungsfristen i.S.d. § 835 ZPO beachtet, ist nicht einzusehen, weshalb dieser Gläubiger sodann auf die vom LG Stuttgart mehr oder weniger willkürlich in den Raum gestellte starre Frist von drei Monaten beschränkt wäre.
Etwas anderes mag gelten, wenn der Gläubiger ohne auch nur ansatzweise Vermögenswerte aus dem Vermögensverzeichnis zu pfänden, die Akte in die „Langzeitüberwachung“ nimmt und urplötzlich beispielsweise nach einem Jahr Drittauskünfte verlangt. Hier könnte tatsächlich eine Umgehung des § 802d ZPO vorliegen, auch wenn dies das AG Neuss anders beurteilt.
Fazit:
Die umfangreichen Erläuterungen nur im Bereich Drittauskünfte machen deutlich, wie individuell die Vollstreckungsstrategien auf den Einzelfall zugeschnitten werden können. Ich hoffe, mit diesem Artikel weiterhin die Gläubiger zur Einholung von Drittauskünften – sowohl in der ersten als auch zweiten Alternative des § 802l ZPO und auch zeitlich versetzt – motiviert zu haben.
Weiterhin viel Erfolg in der Vollstreckung.
Autor: Burkhard Engler, Schmadebeck