Scheut das Gericht eine von ihm selbst für erforderlich gehaltene Sachaufklärung und stellt das Verfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG ein, kann das Ermessen hinsichtlich der Auslagenentscheidung willkürfrei regelmäßig nur dahingehend ausgeübt werden, dass es bei der grundsätzlichen Regelung des § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG zu verbleiben hat. (Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Keine Auslagenerstattung nach Einstellung gem. § 47 Abs. 2 OWiG
Das AG hat das Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen nach § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Staatskasse eingestellt und gem. § 467 Abs. 4 StPO, § 46 OWiG davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Dagegen hat der Verteidiger Rechtsmittel eingelegt. Dieses hatte Erfolg.
II. Entscheidung
Außerordentlicher Rechtsbehelf
Der gerichtliche Einstellungsbeschluss nach § 47 Abs. 2 OWiG sei nach § 47 Abs. 2 S. 3 OWiG grundsätzlich unanfechtbar. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 25.2.2025 sei als außerordentlicher Rechtsbehelf der Beschwerde auszulegen. Diese sei im vorliegenden Fall ausnahmsweise zulässig und auch in der Sache begründet.
Grobes prozessuales Unrecht
Nach verfassungsrechtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung sei in Fällen groben prozessualen Unrechts dem Betroffenen ein außerordentlicher Rechtsbehelf in Form einer einfachen Beschwerde zuzugestehen. Das Bundesverfassungsgericht führe dazu in seinem Kammerbeschluss vom 15.8.1996 (2 BvR 662/95) aus: „Bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts war anerkannt, dass gerichtliche Entscheidungen, gegen die ein ordentlicher Rechtsbehelf nicht mehr statthaft ist, ausnahmsweise zurückgenommen werden können, wenn sie auf einer unrichtigen tatsächlichen Grundlage ergangen waren; diese Rechtsprechung galt selbst für der vollen Rechtskraft fähige Beschlüsse, etwa im Revisionsverfahren (vgl. RGSt 59, 420). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesgerichtshof (vgl. BGH MDR 1951, S. 771) und ihm folgend von der obergerichtlichen Rechtsprechung übernommen und fortgesetzt worden (vgl. nur OLG Stuttgart, MDR 1982, S. 341, 342; OLG Celle, NStZ 1983, S. 328, 329; OLG Rostock, NZV 1994, S. 287, 288 jeweils m.w.N.). Geht es um die Beseitigung groben prozessualen Unrechts, ist es danach grundsätzlich zumutbar, Abhilfe zunächst durch Einlegung auch eines außerordentlichen Rechtsbehelfs im fachgerichtlichen Verfahren zu suchen.“ (LG Wiesbaden, Beschl. v. 7.6.2024 – 2 Qs 47/24, AGS 2024, 365 = zfs 2025, 51).
Sachfremde oder offensichtlich unhaltbare Erwägungen
Grobes prozessuales Unrecht liege nicht schon in jeder fehlerhaften Gesetzesanwendung. Ginge man hiervon aus, würde hiermit eine generelle Beschwerdemöglichkeit eingeführt, gleich einem ordentlichen Rechtsbehelf, welcher nach dem Gesetz aber in Fällen wie dem vorliegenden ausdrücklich ausgeschlossen ist. Grobes prozessuales Unrecht liege aber dann vor, wenn eine Entscheidung erkennbar auf sachfremden oder offensichtlich unhaltbaren Erwägungen beruhe, sie sich letztlich als willkürlich erweist.
Konkreter Fall
So liege der Fall hier. Bereits mit Schriftsatz vom 17.10.2024 habe der Verteidiger vorgetragen, dass der Betroffene nicht der Fahrer des Fahrzeugs zum Tatzeitpunkt gewesen sei, es handele sich wohl um einen Familienangehörigen. Mit Schreiben vom 6.11.2024 habe das AG dem Betroffenen und dem Verteidiger mitgeteilt, dass es erwäge, „wegen Unverhältnismäßigkeit einer weiteren Sachaufklärung“, das Verfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG ohne Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen einzustellen. Dem habe der Betroffene durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 14.11.2024 widersprochen, da er unschuldig sei und es nicht angehe, eine Einstellung ohne Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen durchzuführen. In der Folge sei es zu dem angefochtenen Beschluss gekommen.
Gericht scheut Sachaufklärung
Das AG habe mit seinem Schreiben vom 6.11.2024 zu erkennen gegeben, dass der Sachverhalt aus seiner Sicht nicht ausreichend aufgeklärt gewesen sei und entsprechend weitere Sachaufklärung erforderlich gewesen wäre. Dies habe auch auf der Hand gelegen, weil der Betroffene seine Fahrereigenschaft bestritten habe. Scheue das Gericht aber eine von ihm selbst für erforderlich gehaltene Sachaufklärung und stelle daraufhin das Verfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG ein, könne das Ermessen hinsichtlich der Auslagenentscheidung willkürfrei regelmäßig nur dahingehend ausgeübt werden, dass es bei der grundsätzlichen Regelung des § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG zu verbleiben habe. Dass das Amtsgericht hingegen Ermessenserwägungen angestellt habe, die dem Willkürverbot standhalten würden, sei nicht ersichtlich, weil das AG nicht näher begründet habe, warum es davon abgesehen habe, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Deshalb sei die Auslagenentscheidung abzuändern gewesen.
III. Bedeutung für die Praxis
Begrüßenswert deutliche Worte
Die Entscheidung ist zutreffend. Die deutlichen Worte des LG in Richtung AG sind zu begrüßen, zumal sie nicht nur in der vorliegenden Sache Bedeutung habe, sondern darüber hinaus gehen. Denn in der Praxis wird von den Gerichten gern und manchmal auch vorschnell die Flucht in den § 47 Abs. 2 OWiG ergriffen, um sich langwierige Beweisaufnahmen, wie sie hier auch wohl drohten, zu ersparen. Das ist in Zeiten knapper Ressourcen zwar nachvollziehbar, kann aber nicht insofern zu Lasten des Betroffenen gehen, dass er den vom Gericht gewählten Weg der Arbeitserleichterung nun auch noch damit „bezahlen“ soll, dass er auf seinen notwendigen Auslagen „sitzen bleibt“. Denn er hat aufgrund der geltenden Unschuldsvermutung einen Anspruch auf Freispruch oder , wenn er verurteilt werden soll, auf ein ordentliches rechtsstaatliches Verfahren. in dem seine Schuld geprüft und festgestellt wird. Wenn das Gericht die dafür von ihm selbst für erforderlich gehaltene Sachaufklärung „scheut“ und das Verfahren aus Opportunitätsgründen gem. § 47 Abs. 2 OWiG einstellt, dann werden die Betroffenen dies zwar in der Mehrzahl der Fälle auch begrüßen, aber es ist nicht einzusehen, dass sie dann die Arbeitsersparnis für die staatlichen Institutionen bezahlen sollen. Dem schiebt die Entscheidung des LG einen Riegel vor.




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