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Kraftfahrzeugrennen: Bedingter Verletzungs- und Gefährdungsvorsatz

Zur Beweiswürdigung der maßgeblichen Kriterien für das Vorliegen eines bedingten Verletzungs- und Gefährdungsvorsatzes bei Kraftfahrzeugrennen. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 4.12.20244 StR 246/24

I. Sachverhalt

Kfz-Rennen: Unfall

Das LG hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge und schwerer Körperverletzung verurteilt. Der Angeklagte bewegte am Tatabend einen allradgetriebenen Pkw BMW 740d, besetzt mit vier Passagieren über eine Bundesstraße, die nach dem Ortsausgang mit Mittelleitplanken versehen insgesamt vierspurig verläuft. Wegen eines Starkregens sammelte sich auf der Straße Wasser und bildeten sich auf der Straße Pfützen. Windböen schleuderten zeitweise – vom Angeklagten auch wahrgenommen – Gegenstände wie Mülltonnen und Planschbecken umher. An einer Kreuzung hielt der Angeklagte an einer roten Ampel. Auf der linken Geradeausspur stand an der Haltelinie ein hochmotorisiertes Fahrzeug Audi A8. Bei Grünlicht beschleunigte dessen Fahrer über die nach dem Ortsausgang auf 100 km/h begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit hinaus bis auf eine Geschwindigkeit von etwa 120 km/h. Der Angeklagte gab Vollgas, um hierdurch seine Mitinsassen zu beeindrucken. Der Fahrer des Pkw Audi erkannte das sich nähernde Fahrzeug des Angeklagten und wechselte auf die rechte Fahrspur, um ein Überholen zu ermöglichen. Der Angeklagte beschleunigte den Pkw BMW weiterhin maximal auf der gerade verlaufenden Fahrbahn, auf der er eine Geschwindigkeit von mindestens 179 km/h erreichte. Etwa 962 Meter hinter dem Kreuzungsbereich mündet die Bundesstraße in eine leichte Linkskurve, wo die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 90 km/h begrenzt ist. In der Kurve hatte sich im linken Fahrbahnbereich aufgrund des vorherigen Starkregens, der nunmehr nachgelassen hatte, Wasser angesammelt. Bei Nässe wäre die Kurve mit maximal 139 km/h zu durchfahren gewesen. Unmittelbar vor dem Verkehrsschild verlor der Angeklagte durch seine zu hohe Geschwindigkeit aufgrund Aquaplanings die Kontrolle über das Fahrzeug. Mit einer Geschwindigkeit von 144 bis 177 km/h touchierte der ins Schleudern geratene Pkw zunächst mit dem linken Hinterreifen den linken Randstein. Das Fahrzeug prallte infolge seiner Schleuderbewegung schließlich mit noch 95 km/h im Bereich der linken hinteren Tür gegen einen Baum im Bankett der rechten Fahrbahnseite. Zwei Insassen wurden getötet, ein weiterer und der Angeklagte wurden verletzt. Der BGH hat die Feststellungen zur inneren Tatseite aufgehoben.

II. Entscheidung

Bedingter Verletzungsvorsatz

Die Strafkammer habe einen Körperverletzungsvorsatz des Angeklagten, der zugleich den Gefährdungsvorsatz im Sinne von § 315d Abs. 2 StGB umfassen würde, nicht tragfähig belegt. Ein bedingter Verletzungsvorsatz sei gegeben, wenn der Täter den Eintritt des Schadens als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit seinem Eintritt abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement; BGH NStZ 2018, 37; BGHSt 57, 183, 186 = StRR 2012, 227 = VRR 2012, 226 [jew. Deutscher]). Die Prüfung, ob Vorsatz (oder lediglich [bewusste] Fahrlässigkeit) vorliegt, erfordere insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich sei, dass sich das Tatgericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (BGH NStZ-RR 2016, 79; NStZ 2008, 93 = StRR 2008, 28 [Lübbesmann]). Dabei sei die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes. Gleichwohl komme es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an (BGH NStZ 2015, 516). Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, könne eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafürsprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat. Hierfür könnten sich wesentliche Indizien aus den objektiven Tatumständen ergeben, namentlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und den konkret drohenden Unfallszenarien (näher zum Ganzen BGHSt 63, 88 Rn 17 ff. = StRR 4/2018, 19 = VRR 4/2018, 15 [jew. Hillenbrand]). Das Wissenselement des Körperverletzungsvorsatzes habe die LG nicht rechtsfehlerfrei belegt. Nach ihrer Überzeugung habe der Angeklagte aufgrund der Höchstgefährlichkeit seiner Handlung erkannt, dass es zu einem Verkehrsunfall mit Verletzungsfolgen kommen könne. Diesen Schlussfolgerungen fehle die tatsächliche Grundlage. Die Strafkammer habe sich nicht davon überzeugen können, dass ihm der Unfallort als eine Gefahrenstelle für Aquaplaning aufgrund dortiger Wasseransammlung bekannt war. Welche möglichen Unfallabläufe aufgrund seiner Tathandlung der Angeklagte besorgte, inwiefern er diese also in der Tatsituation für gefährlich hielt, ließen die Urteilsgründe nicht erkennen. Soweit das LG weiter ausgeführt hat, die Geschwindigkeitsbegrenzungen hätten für den Angeklagten ein Warnsignal darstellen müssen, vermöge dies von vornherein allenfalls ein fahrlässiges Handeln zu begründen. Denn dass er sie als ein solches Warnsignal erkannte, sei nicht festgestellt. Welche Bedeutung der Angeklagte den Witterungsbedingungen – auch vor dem Hintergrund der Fahrzeugausstattung – beigemessen hat, führe die Strafkammer ebenfalls nicht aus. Das voluntative Vorsatzelement sei damit ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei belegt. Das LG hat ausgeführt, der Angeklagte möge zwar mit Blick auf die technische Ausstattung des Fahrzeugs auf das Ausbleiben größerer Verletzungen gehofft haben, jedenfalls habe er aber „kleinere Verletzungen“ bei sich und den Mitfahrern billigend in Kauf genommen. Mit diesen Ausführungen sei auch der gegen die Hinnahme eines Unfallgeschehens sprechende Gesichtspunkt der Eigengefährdung nur unzureichend erörtert (vgl. zur Vorsatzprüfung bei risikoaffinen Tätern BGH NStZ-RR 2024, 186 Rn 12, 21).

Bedingter Gefährdungsvorsatz

Die Beweiswürdigung des LG, durch die es bereits für sich genommen einen bedingten Gefährdungsvorsatz des Angeklagten i.S.d. § 315d Abs. 2 StGB als belegt angesehen hat, sei ebenfalls rechtsfehlerhaft. Ein bedingter Gefährdungsvorsatz liege vor, wenn der Täter über die allgemeine Gefährlichkeit des Kraftfahrzeugrennens hinaus auch die Umstände kennt, die den in Rede stehenden Gefahrerfolg i.S. eines Beinaheunfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und er sich mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage zumindest abfindet (BGH NStZ-RR 2024, 186 Rn 28 m.w.N.). Das LG habe es unterlassen festzustellen und zu belegen, dass sich der Angeklagte – wie in den Fällen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Regel ausreichend (BGH NStZ 2023, 108 m.w.N.) – aufgrund seiner Fahrweise und der gegebenen Verhältnisse eine kritische Verkehrssituation vorgestellt hat, die in ihren wesentlichen gefahrbegründenden Umständen dem tatsächlich eingetretenen (Beinahe-)Unfall entsprach. Die Ausführungen des LG verhielten sich nur zu einer mit der Tathandlung verbundenen abstrakten Gefahr.

III. Bedeutung für die Praxis

Konsolidierung

Nichts grundsätzlich Neues, vielmehr eine Konsolidierung der Rechtsprechung des 4. Senats zu den im Rahmen der Beweiswürdigung zu beachtenden Kriterien für einen bedingten Verletzungsvorsatz (§§ 223 ff. StGB) und einen bedingten Gefährdungsvorsatz (§ 315d Abs. 2 StGB) bei Unfällen im Zuge von Kfz-Rennen (zu den Voraussetzungen des § 315d Abs. 2 StGB und dem Gefahrverwirklichungszusammenhang mit § 315d Abs. 5 StGB BGH NZV 2022, 292 m. Anm. Nowrousian = StRR 5/2022, 32 = VRR 2/2022, 13 [jew. Deutscher]; zur widersprüchlichen Beweiswürdigung zum bedingten Tötungsvorsatz und bedingten Gefährdungsvorsatz bei einem Kfz mit Todesfolge BGH NStZ 2023, 546 = StRR 6/2023, 19 = VRR 5/2023, 19 [jew. Deutscher]).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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