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Entziehung der Fahrerlaubnis nach mit Strafbefehl geahndeter Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad

1. Die Fahrerlaubnisbehörde hat nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c FeV nicht nur bei einer Trunkenheitsfahrt (Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr) mit einem Kraftfahrzeug, sondern auch bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen.

2. Nach § 3 Abs. 4 StVG entfalten Strafurteile und Strafbefehle in einem Entziehungsverfahren ausschließlich zugunsten des Betroffenen Bindungswirkung. Allerdings muss ein Fahrzeugführer eine rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung mit dem darin festgestellten Sachverhalt dann gegen sich gelten lassen, wenn sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergeben. (Leitsätze des Gerichts)

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 18.2.202513 S 1513/24

I. Sachverhalt

Entziehung der Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad

Dem Antragsteller ist die Fahrerlaubnis von der Verwaltungsbehörde entzogen worden. Grundlage war ein mit einem Strafbefehl geahndete Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad. Der Antragsteller hat dagegen Klage erhoben und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt (§ 80 Abs. 5 VwGO). Sein Antrag hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Auch betrunkene Radfahrer sind ungeeignet

Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinn von § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV sei u.a., wer – ohne alkoholabhängig zu sein – Alkohol missbräuchlich konsumiert, indem er das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennt. Habe ein Fahrerlaubnisinhaber ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 ng/l oder mehr geführt, könne die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht nur für eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern auch für eine Fahrt mit einem nicht motorisierten Fahrzeug, also auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad anordnen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 und v. 20.6.2013 – 3 B 102.12.; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 6.11.2023 – 13 S 1463/23; Beschl. v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11; BayVGH, Beschl. v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256; OVG Sachsen, Beschl. v. 26.4.2017 – 3 A 239/16).

Gutachtenanforderung rechtmäßig

Hier sei davon auszugehen, dass der Antragsteller das formell und materiell rechtmäßigen angeforderte medizinisch-psychologischen Gutachtens wegen des Führens eines Fahrzeugs im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr (vgl. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c FeV) ohne ausreichenden Grund nicht beigebracht habe. Nach den Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des AG K. vom 13.11.2023 habe der Antragssteller am 3.10.2023 gegen 22.20 Uhr ein Fahrrad geführt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke fahruntüchtig gewesen sei. Die am 3.10.2023 entnommene Blutprobe habe eine Blutalkoholkonzentration von 2,08 Promille ergeben.

„Bindung“ an Strafbefehl

Mit seinem Vorbringen, der im Strafbefehl des AG K. festgestellte Sachverhalt treffe nicht zu, weil er mit dem Fahrrad nicht gefahren sei, sondern es geschoben habe, jedenfalls könne aber ein Beweis, dass er mit dem Fahrrad alkoholisiert gefahren sei, nicht sicher geführt werden, sodass der Beschluss des VG unter Verletzung von Beweisregeln (Grundsatz „in dubio pro reo“) ergangen sei, könne der Antragsteller nicht durchdringen. Zwar kenne das geltende Fahrerlaubnisrecht eine strikte, sich zu Ungunsten des Betroffenen auswirkende Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an rechtskräftige straf- bzw. bußgeldrechtliche Entscheidungen lediglich in besonders geregelten, hier nicht einschlägigen Fällen (vgl. § 2a Abs. 2 Satz 2, § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG). Im Übrigen entfalten Strafurteile, Strafbefehle und Bußgeldbescheide nach § 3 Abs. 4 StVG Bindungswirkung ausschließlich zugunsten des Betroffenen. Hieraus folge im Umkehrschluss, dass es einem Fahrerlaubnisinhaber unbenommen bleibe, in fahrerlaubnisrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geltend zu machen, der Sachverhalt sei für ihn vorteilhafter, als dies das Strafgericht oder die Bußgeldbehörde angenommen habe. Dies übersehe der Antragsgegner, wenn er unter Berufung auf § 3 Abs. 4 StVG pauschal meine, es sei ihm nicht möglich, die Rechtmäßigkeit eines abgeschlossenen Strafverfahrens zu prüfen. Allerdings müsse ein Fahrzeugführer in einem Fahrerlaubnisverfahren eine rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung mit dem darin festgestellten Sachverhalt dann gegen sich gelten lassen, wenn sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergeben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.9.1992 – 11 B 22.92; Urt. v. 12.3.1985 – 7 C 26.83; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.2.2023 – 13 S 2569/22; Beschl. v. 8.10.2015 – 10 S 1491/15; Urt. v. 27.7.2016 – 10 S 77/15). Mit diesem grundsätzlichen Vorrang der strafgerichtlichen vor verwaltungsbehördlichen Feststellungen sollen überflüssige, aufwändige und sich widersprechende Doppelprüfungen möglichst vermieden werden. Im Ergebnis begründe das Vorrangverhältnis eine Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen, substantiierte und gewichtige Hinweise für eine eventuelle Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen vorzubringen, wenn er diese im Verwaltungsverfahren nicht gegen sich gelten lassen will (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 22.2.2023 – 13 S 2569/22; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 8.10.2015 – 10 S 1491/15; vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256).

Vorbringen des Antragstellers wenig plausibel

Dem Antragsteller sei es aber nicht gelungen, substantiierte und gewichtige Hinweise auf eine eventuelle Unrichtigkeit der Feststellungen im Strafbefehl des AG K. vom 13.11.2023 zu geben. Dazu bezieht sich der VGH auf den im Polizeibericht des Polizeireviers K. vom 3.10.2023 dargestellten Geschehensablauf, mit dem sich der Antragsteller nicht realistisch auseinandersetze. Daneben sei das Vorbringen des Antragstellers, warum er das Fahrrad nur geschoben habe, damit aber nicht gefahren sei, wenig plausibel. Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Antragstellers bestanden für den VGH auch deswegen, weil er durchgängig angegeben habe, er trinke selten Alkohol, weswegen er am Tattag die Wirkung seines Alkoholkonsums unterschätzt habe bzw. es für ihn umso ärgerlicher gewesen sei, ausgerechnet mit einer solchen Situation konfrontiert gewesen zu sein. Denn die bei dem Antragsteller festgestellte (hohe) Blutalkoholkonzentration von 2,08 Promille deute auf deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten, eine ungewöhnliche Giftfestigkeit und eine dauerhafte, ausgeprägte Alkoholproblematik hin (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.3.2021 – 3 C 3.20 und v. 21.5.2008 – 3 C 32.07; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 7.2.2024 – 13 S 1495/23; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 14.10.2022 – 1 M 148/22; BayVGH, Beschl. v. 25.6.2019 – 11 ZB 19.187; vgl. auch Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung Kommentar, 3. Aufl., S. 248 ff.), mit denen sich die Angaben des Antragstellers, er trinke selten Alkohol, schwerlich in Einklang bringen lassen. Der VGH hat schließlich darauf abgestellt, dass der Antragsteller gegen den Strafbefehl des AG K. vom 13.11.2023 keinen Einspruch eingelegt hat. Die hierfür Begründung, er habe „wegen Rechtsirrtum“ keinen Einspruch eingelegt, weil er angenommen habe, dass „sich die Angelegenheit durch die Zahlung erledige“, und er sei nicht davon ausgegangen, dass „seine Fahrerlaubnis durch den rechtskräftigen Strafbefehl gefährdet sein könnte“, könne – auch vor dem Hintergrund der im Strafbefehl verhängten Gesamtgeldstrafe von 1.000,– EUR – den Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs für den Fall, dass der Antragsteller das Fahrrad tatsächlich nur geschoben, aber nicht gefahren haben sollte, nicht plausibel zu erklären.

III. Bedeutung für die Praxis

Vorbereitung im Strafverfahren

1. Die Entscheidung zeigt mal wieder deutlich, dass die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis im Verwaltungsrechtsweg häufig, wenn nicht beim Strafgericht entschieden, so aber doch zumindest dort gut vorbereitet werden muss. Es bringt nichts, ein Strafbefehl oder eine Verurteilung hinzunehmen und dann den Kampf um die Fahrerlaubnis erst im Verwaltungsverfahren aufzunehmen.

Haaranalyse nachgereicht

2. Gerettet hat den Antragstelle im Übrigen auch nicht, die Vorlage von Laborwerten einer Haaranalyse eines Labors, aus Januar 2025 (zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit außerhalb der Beschwerdefrist eingetretener und geltend gemachter neuer Umstände vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 26.1.2017 – 5 S 1791/16 m.w.N.; Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 146 Rn 83 m.w.N.). Aus ihnen ließen sich nämlich angesichts der untersuchten Haarlänge allenfalls Schlussfolgerungen für eine Alkoholabstinenz in einem Zeitraum von drei Monaten vor der Haarentnahme am 2.1.2025 entnehmen, sie sagten nach Ansicht des VGH Baden-Württemberg aber nichts über die in der Gutachtensanordnung in Bezug genommene Fahrt mit dem Fahrrad unter einer Blutalkoholkonzentration von 2,08 Promille aus. Auch insoweit gilt also: Wenn schon, denn schon.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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