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20 Jahre VerkehrsRechtsReport

Es fing schlecht an, ließ in der Mitte etwas nach und über den Schluss schweigen wir besser, aber sonst: toll! (Rowan Atkinson als Black Adder)

Im Jahr 2005 erschien der VerkehrsRechtsReport (VRR) zum ersten Mal und wird damit in diesem Jahr 20 Jahre alt. Mit dieser Zeitschrift wurde bewusst ein von den bis dahin herkömmlichen Publikationsformen abweichender Ansatz (neudeutsch: approach) gewählt. Das Jubiläum gibt Anlass, den Hintergrund für den Start der neuen Zeitschrift zu erläutern und einen Blick auf thematische Dauerbrenner, Vergänglichkeiten, berichtete Peinlichkeiten und Humoristisches zu werfen. Naturgemäß ist es der rein subjektive Blick des Verfassers als Stammautor des VRR ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

I.

Rückblick in die „gute alte“ analoge Zeit

Altwerden ist nichts für Schwächlinge (Bette Davis)

Zu Beginn meines Studiums im Wintersemester 1977/78 lag das gesamte nachschlagbare juristische Wissen nur auf Papier vor. Um es einsehen zu können, musste man sich in große, verwinkelte und zumeist staubige Bibliotheken begeben. Selbst abgehobene Visionäre (man hätte sie damals wohl eher abgedrehte Spinner genannt und frei nach Helmut Schmidt zum Arzt geschickt) hätten sich zu jener Zeit nicht vorstellen können, dass eines Tages dieses Wissen überall und zu jeder Zeit mittels kleiner, technischer Geräte abgerufen werden könnte. Damals war die größte technische Innovation, dass man von den geschriebenen Werken Kopien auf zumeist nahezu schrankkoffergroßen Maschinen erstellen konnte, um diese durch Markierungen bearbeiten und nach Hause mitnehmen zu können. Juristische Texte, seien es Examensarbeiten oder Manuskripte, mussten auf einer Schreibmaschine (für die Jüngeren: bitte bei Wikipedia nachsehen) erstellt werden. Unbefähigte Tipper wie ich etwa mussten wichtige Schreibaufträge an Personen vergeben, die dies professionell betrieben. In der Staatsanwaltschaft Dortmund bewegt man sich noch mit einem Paternoster durch die Etagen, nicht mit einem Aufzug. An Fachzeitschriften gab es damals die Generalisten NJW und MDR und für die einzelnen Fachgebiete Zeitschriften wie etwa DAR für das Verkehrsrecht. Das strafrechtliche Hochreck blieb GA und der ZStW vorbehalten. NStZ und NZV kamen erst in den 1980er-Jahren hinzu, NStZ-RR erst in den 1990er-Jahren. An Kommentaren etwa im Strafrecht gab es den Leipziger Kommentar als Großkommentar sowie Schönke-Schröder, Dreher (heute Fischer), Lackner sowie den SystematischenKommentar. Für Studenten und Referendare gab es zwar schon eine wachsende Anzahl an unterstützender Ausbildungsliteratur. Bücher für die Praxis waren aber eher rar gesät. Auch wenn es die NJW-Schriftenreihe gab, die praxisorientiert war, so lag deren Schwerpunkt letztlich doch auf der Wissensvermittlung.

In den 1990er- und insbesondere in den 00er-Jahren ist jedoch ein Umschwung eingetreten. Durch das Internet war es plötzlich möglich, auf juristisches Wissen ohne Bücher zurückgreifen zu können. Zudem hatte sich die Rechtsanwaltschaft schon zahlenmäßig so vergrößert, dass der Ruf nach praxistauglicher Literatur, die vor allen Dingen bei der Bewältigung des beruflichen Alltags eine Hilfestellung gibt, immer größer wurde. Bahnbrechend waren dabei die beiden Handbücher von Burhoff zum strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und zur strafrechtlichen Hauptverhandlung. Diese gaben erstmals das Postulat der systematischen Darstellung auf, listeten die Themenbereiche alphabetisch auf und legten großen Wert auf Hinweise für die Praxis zur Problemlösung sowie durch entsprechende Formularvorlagen.

II.

Auftritt: VRR

Es gibt keine Probleme, nur Lösungen. (Herkunft unklar, zugeschrieben u.a. Man Ray, John Lennon, Thomas Sowell)

Vor diesem Hintergrund ist das erstmalige Erscheinen des VerkehrsRechtsReport (VRR) im Jahr 2005 zu verstehen, dem später im Jahr 2007 die Einführung des StrafRechtsReports (StRR) als Schwesterzeitschrift gefolgt ist. Detlef Burhoff hat den VRR und auch den StRR initiiert und vom ersten Tag an bis heute als Herausgeber und Schriftleiter mit ruhiger Hand und klarer Ausrichtung geführt. Zusammen mit dem ebenfalls von ihm herausgegebenen, im Jahr 2005 in erster Auflage erschienenen Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWI-Verfahren – mittlerweile in der 7. Auflage erschienen – sollte das immer stärker werdende Bedürfnis der im Bereich des Verkehrsrechts tätigen Anwaltschaft befriedigen werden, ein überschaubares und leicht handhabendes Werkzeug in die Hand zu bekommen, um einerseits über aktuelle Entscheidungen des Verkehrsrechts und deren Auswirkung auf die Tat tägliche Praxis allumfassend informiert zu sein, andererseits Hilfestellungen durch praxisorientierte Aufsätze zu erhalten. Hier sollten und wurden keine schwer verdaulichen Beiträge veröffentlicht, erst recht nicht zu eher theoretisch-akademischen Themen oder Randfragen. Es handelte sich nicht um eine weitere leselästige Zeitschrift, sondern um ein anwaltsspezifisches Arbeitsmedium (Vorwort Burhoff in der ersten Ausgabe, Seite 2). Zu diesem Zweck wurden in bislang nicht gekannter Weise Beiträge von Sachverständigen veröffentlicht, etwa zu vielen praktisch relevanten Fragen der Unfallrekonstruktion oder zur Funktionsweise und zu Fehlern von Messgeräten. Auch sollten sowohl in Aufsätzen als auch bei den Entscheidungen die Fragen der Anwaltsvergütung eine besondere Rolle spielen.

Hinzu kam, dass die Möglichkeiten des Zugriffs auf den Wortlaut von Entscheidungen im Internet über entsprechende Datenbanken die bis dahin bestehende Notwendigkeit entfallen ließ, Entscheidungen jedenfalls in ihren wesentlichen Teilen wortlautgetreu wiederzugeben. Vielmehr ergab sich hierdurch die Möglichkeit, Entscheidungen in indirekter Rede zu fassen und auf den wesentlichen Gehalt zu komprimieren. Wichtiger ist insofern die redaktionelle Aufbereitung der Bedeutung einer solchen Entscheidung für die praktische Tätigkeit. Dieser Ansatz war so erfolgreich, dass er später in Teilbereichen auch von der renommierten NZV in modifizierter Form übernommen wurde.

Ausgerichtet ist der VRR in erster Linie auf den anwaltlichen Benutzer. Aber auch Richter und Staatsanwälte können von der Lektüre profitieren. Dem gelegentlichen Einwand von Richterseite, mit solchen Publikationen helfe man Anwälten, Richtern das Leben schwerer zu machen, ist zu entgegnen: Die Einheit der Rechtsordnung gilt für alle Verfahrensbeteiligten.

III.

Thematische Dauerbrenner

Nächste Woche kann es keine Krise geben. Mein Terminkalender ist bereits voll (Henry Kissinger)

Über die Jahre hat sich in den einschlägigen Rechtsgebieten ein Kanon an Themen herausgebildet, die immer wieder Gegenstand von Beiträgen und Entscheidungen im VRR gewesen sind, wenn auch mit Abwandlungen.

Im Bereich des Zivilrechts sind dabei etwa zu nennen Fragen der Betriebsgefahr (§ 7 StVG) mit der stetigen Ausweitung der engen maschinentechnischen Betrachtung hin zur weiten verkehrstechnischen Auslegung durch den BGH. Auch Probleme der fiktiven Abrechnung waren wiederholt zu behandeln. Ein Dauerbrenner ist ebenfalls immer wieder die Behandlung von Vorschäden im Rahmen der Geltendmachung von Schäden nach Verkehrsunfällen. Zunehmend an Bedeutung gewonnen haben die Ansprüche Dritter nach Verkehrsunfällen wie etwa das Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB.

Stetiger Dauerbrenner im Strafrecht sind die im hohen Maße praxisrelevanten Fragen rund um die vorläufige oder endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69, 69a StGB, 111a StPO). Gleiches gilt für die Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) und den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB). Trotz der klaren und strengen Anforderungen des BGH in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht scheitern die Tatgerichte mit schöner Regelmäßigkeit am Merkmal der „konkreten Gefahr“. Auch die strafrechtlichen Folgen von Kraftfahrzeugrennen waren wiederholt Thema, sei es bei der Frage des bedingten Tötungsvorsatzes oder bei der Auslegung der im Jahr 2017 geschaffenen Vorschrift des § 315d StGB, insbesondere zur Auslegung des Abs. 1 Nr. 3 („Alleinraser“). Dauerthema war auch die strafrechtliche Bewertung von Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern, wobei es um die Eigenschaft als Kraftfahrzeug, den anwendbaren Grenzwert für die Fahruntüchtigkeit und die Frage nach der Entziehung der Fahrerlaubnis geht.

Im Bereich des Verkehrsordnungswidrigkeitenrechts stehen an allererster Stelle die Streitfragen rund um das standardisierte Messverfahren. Einschlägig sind hier zu nennen:

1. Der Anspruch auf Einsichtnahme von relevanten Messunterlagen auch außerhalb des Akteninhalts, um im Rahmen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses beim standardisierten Messverfahren diese Unterlagen zum Zweck der Formulierung von konkreten Einwänden gegen die Messung zu ermöglichen, sowie die Einzelheiten um die Durchführung jener Einsichtnahme.

2. Die Auswirkung auf das gerichtliche Verfahren bei Verweigerung dieses Einsichtsrechts.

3. Der Anspruch auf Speicherung von Rohmessdaten im Messgerät.

4. Der Anspruch auf Einsicht in die gesamte Messreihe der durchgeführten Messung.

Die Punkte 1 und 2 sind durch die Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18, Bespr. Niehaus VRR 1/2021, 4) mittlerweile geklärt und haben zu einer Änderung der Rechtsprechung insbesondere des lange Zeit widerstrebenden BayObLG geführt. Zu Punkt 3 hat das BVerfG (Beschl. v. 20.6.2023 – 2 BvR 1167/20, VRR 8/2023, 29 [abl. Niehaus]) eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, sich in einem obiter dictum aber eher skeptisch zur Speicherungspflicht geäußert (aktuell die Divergenzvorlage des OLG Saarbrücken an den BGH, Beschl. v. 10.4.2025 – 1Ss (OWi) 112/24).. Hinsichtlich des Punktes 4 hat der BGH (Beschl. v. 16.3.2023 – 4 StR 84/22, VRR 7/2023, 26 [Niehaus]; Beschl. v. 30.3.2022 – 4 StR 181/21, VRR 5/2022, 22 [Niehaus]) zwei Divergenzvorlagen des OLG Zweibrücken und des OLG Koblenz als unzulässig betrachtet. Insofern liegt noch keine abschließende Entscheidung vor.

Weiterhin sind Fragen des bußgeldrechtlichen Fahrverbots sowie des Abwesenheitsverfahren (§§ 73, 74 OWiG) durchlaufend behandelte Themen. Die aufgrund der Teillegalisierung des Besitzes von Cannabis und der Änderung des §§ 24aStVG aktuelle Frage nach der Behandlung von Fahrten unter Cannabiseinfluss wurde schon früher immer wieder thematisiert. Bereits in der ersten Ausgabe des VRR findet sich die Besprechung eines Beschlusses des BVerfG zur Einschränkung der Fahrtüchtigkeit bei Fahrten unter Cannabiseinfluss (VRR 2005,34 [Lorenz]).

Schließlich ist Kernthema im Verwaltungsrecht die verwaltungsrechtliche Entziehung der Fahrerlaubnis nach Fahrten unter Drogeneinfluss. Auch hier wird die besagte Gesetzesänderung eine erhebliche Rolle spielen. Ebenfalls ins Zentrum der Aufmerksamkeit ist die aktuelle Rechtsprechung geraten, wonach § 3 StVG keine hinreichende Rechtsgrundlage ist, die Benutzung von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen zu untersagen (aktuell etwa OVG Münster, Beschl. v. 5.12.2024 – 16 B 1300/23, VRR 1/2025, 29 [Burhoff]).

IV.

Vergänglichkeiten

Es ist schon alles gesagt worden, nur noch nicht von allen (Karl Valentin)

Auch gute Juristen sind nicht davor gefeit, bei der alltäglichen Arbeit in Automatismen zu verfallen. Bei der Sachbehandlung geht man routiniert vor, ohne darüber nachzudenken, wo und wie dies im Gesetz vorgegeben ist (Das haben wir schon immer so gemacht). Dann aber taucht urplötzlich eine Problematik auf, die über gewisse Zeit kontrovers diskutiert wird, sodann vom BVerfG oder dem BGH abschließend entschieden oder vom Gesetz- oder Verordnungsgeber geregelt wird und damit wieder Ruhe einkehrt. Einige solcher Beispiele lassen sich im Verlauf der 20 Jahre VRR finden.

Auslöser dieses plötzlichen Problembewusstseins können dabei unterschiedliche Faktoren sein. Ein Faktor kann der Gesetz- und Verordnungsgeber sein, der durch eine Änderung der Rechtsgrundlagen ganze Bibliotheken zur Makulatur macht. Schwierig wird es vor allen Dingen dann, wenn aus einer relativ einfach formulierten Vorschrift ein kompliziertes Regelwerk gemacht wird. Ein Beispiel hierfür ist die Reform des §§ 23 Abs. 1a StVG (Verbot der Benutzung elektronischer Geräte beim Führen eines Kraftfahrzeugs) im Jahr 2017. Dies hat zu einer Vielzahl schwieriger Auslegungsfragen geführt (aktuelle Rechtsprechungsübersicht bei Burhoff VRR 2025, 5).

Ein weiterer Auslöser für ein plötzliches Problembewusstsein kann auch in einer Rechtsprechung des BVerfG liegen. Durch den Beschuss zur verdachtsunabhängigen Videoüberwachung des Straßenverkehrs zur Geschwindigkeitsmessung (Beschl. vom 11.8.2009, VRR 2009, 354 [Burhoff]) wurde aus dem Nichts die Notwendigkeit erkennbar, eine Rechtsgrundlage für die Durchführung von Messungen unter Einsatz von Videoaufnahmen zu finden. Die Obergerichte haben dann nach einer Findungsphase auf §§ 100h Abs. 1 S. 1 Ziff. 1, 46 Abs. 1 OWiG zurückgegriffen, Das BVerfG (VRR 2010, 312 [Burhoff]) hat das nicht beanstandet. Deckel drauf, Problem gelöst! Ähnliches gilt für die lange umstrittene Frage, welche Folgen ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt bei Blutprobenentnahmen (§ 81a Abs. 2 StPO) hat. Die Stichworte lauten hier: Gefahr im Verzug, Beweisverwertungsverbot. Auch hier hatte das BVerfG mehrfach mahnend den Zeigefinger erhoben (VRR 2007, 150 [Burhoff]; VRR 2008, 389 [Burhoff]) und auf diese Weise eine umfangreiche Rechtsprechung der Obergerichte ausgelöst. Durch Einführung des §§ 81a Abs. 2 S. 2 StPO im Jahre 2017, aufgrund dessen eine richterliche Anordnung nicht mehr erforderlich ist, wenn eine strafrechtlich relevante Trunkenheitsfahrt im Raum steht, hat der Gesetzgeber diese Unsicherheit aus der Welt geschafft.

Auch technische Neuerungen können zu rechtlichen Kontroversen führen. So hat die weite Verbreitung von sogenannten Dashcams zu der Frage geführt, ob hierbei gefertigte Videoaufnahmen in Zivil -und Strafverfahren als Beweismittel verwertet werden dürfen. Das dürfte mittlerweile geklärt sein.

Schließlich kann auch höhere Gewalt zu Fragestellungen führen, an die zuvor niemand gedacht hat. Der Ausbruch der Corona-Pandemie im Jahr 2020 hat die Gerichte gezwungen, sich kurzfristig mit den Folgen dieses Phänomens auseinanderzusetzen. Zu nennen ist hier etwa die Frage, ob die Kosten für die Corona-Desinfektion nach einem Verkehrsunfall abgerechnet werden können (BGH VRR 3/2023, 11 [Nugel]). Im Straf- und Bußgeldbereich war von Bedeutung, wie sich die Pandemie und die entsprechenden landesrechtlichen Schutzvorschriften auf die Durchführung der Hauptverhandlung auswirken (Stichworte: Maskenpflicht, Abstände, Schutzgläser) und wie es zu bewerten ist, wenn ein Verfahrensbeteiligter unter Berufung auf die Pandemie nicht zur Hauptverhandlung erscheint.

V.

Peinlichkeiten – And the Oscar goes to …

Jeder Mensch macht Fehler. Das Kunststück liegt darin, sie zu machen, wenn keiner zuschaut (Sir Peter Ustinov).

Es mag unfassbar erscheinen: Aber auch Juristen sind nur Menschen. Daher ist eine Fehleranfälligkeit jedem immanent. Da die in der Praxis tätigen Juristen immer innerhalb einer, wenn auch nur beschränkten Verfahrensöffentlichkeit arbeiten, ist es mit dem besagten Kunststück, Fehler möglichst zu begehen, wenn sie keiner bemerkt, nicht weit her. Auch der Verfasser musste gelegentlich geäußerte Ansichten modifizieren oder gar revidieren, die nicht hinreichend durchdacht waren, von der Rechtsprechung überholt wurden oder schlicht nicht mehrheitsfähig waren. Hier geht es indes nicht um Alltagsfehler, sondern um solche, bei denen sich von Anfang an für das juristisch geschulte Gehirn offenbart, dass es so auf keinen Fall geht. Ein schönes Beispiel dafür ist etwa der Familienrichter, der sich dafür zuständig hielt, einer Schule im Rahmen der Corona-Pandemie Vorgaben für die Durchführung des Unterrichts machen zu können (BGH, Beschl. v. 3.11.2021 – XII ZB 289/21), was zu einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Rechtsbeugung geführt hat (BGH, Beschl. v. 20.11.2024 – 2 StR 54/24). Verkehrsrechtlich ist in jüngster Zeit auf den ehrenwerten, aber offensichtlich untauglichen Versuch eines Bußgeldrichters hinzuweisen, die Regelgeldbuße bei einem Geschwindigkeitsverstoß mit der Begründung zu erhöhen, die Tat sei mit einem SUV begangen worden. Dies geschah ohne hinreichende rechtliche Grundlage und unter Verzicht auf tatsächliche Feststellungen sowie die erforderlichen Differenzierungen zwischen den verschiedenen SUV-Typen (daher aufgehoben von OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 23.9.2022, VRR 12/2022, 21 [Deutscher]).

Betrachtet man die im VRR reflektierte Entwicklung des Verkehrsrechts in den letzten 20 Jahren, so handelt es sich indes nur um Petitessen. Eine Institution hat bei der Fehleranfälligkeit mit großem Abstand den Vogel abgeschossen. And the Oscar goes to … den Gesetz- und Verordnungsgeber. Das beginnt mit der sog. Schilderwaldnovelle durch die 46. ÄnderungsVO vom 5.8.2009 (BGBl I, 2631), die wegen Verstoßes gegen das Zitiergebot in Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG nichtig war (Deutscher VRR 2010, 168). Erst durch den Neuerlass von StVO und BKatV im Jahr 2013 (BGBl I, 367, 498) wurde dieser Fehler ausgebügelt. Durch eine fehlerhafte Formulierung in der 53. ÄnderungsVO vom 6.10.2017 (BGBl I, 3549) war die Wirksamkeit der neuen Regelfahrverbote in Nr. 246.2, 246.3 und 250a BKat zweifelhaft (Deutscher VRR 1/2018, 4). Der Verordnungsgeber sah sich zu einer rechtlich fragwürdigen „Berichtigung“ veranlasst (BGBl I 2018, 53). Die 54. ÄnderungsVO vom 20.4.2020 (BGBl I, 814) senkte die Schwellenwerte für die Anordnung eines Regelfahrverbots bei Geschwindigkeitsüberschreitungen deutlich herab (krit. Deutscher VRR 5/2020, 3, 8, 10), verstieß aber erneut gegen das Zitiergebot und wurde selbst vom damaligen Bundesverkehrsminister hinsichtlich der Verschärfung als unverhältnismäßig betrachtet (Deutscher VRR 7/2020, 4). Der Verstoß führte sogar zu der Überlegung, dass damit wieder die StVO auf dem Stand vom 31.8.2009 (!) gelten sollte, was sich zwar nicht durchgesetzt hat, aber zu weiterer Unsicherheit führte (Deutscher VRR 10/2020, 4; OLG Oldenburg, Beschl. v. 8.10.2020 – 2 Ss (OWI), VRR 11/2020, 16 [Burhoff]). Erst durch die 1. ÄnderungsVO zur BKatV vom 13.10.2021 (BGBl I, 4688) wurde die Absenkung der Schwellenwerte zurückgenommen und wurden stattdessen die Regelgeldbußen bei Geschwindigkeitsverstößen erhöht.

Ein weiteres Beispiel ist die Reform der Winterreifenpflicht in § 2 Abs. 3a StVO vom 3.12.2010 (BGBl I, 1737). Diese war notwendig worden, nachdem das OLG Oldenburg (Beschl. v. 9.7.2010 – 2 SsRs 220/09, VRR 2010, 316 [Burhoff]) bei der zuvor geltenden Regelung einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot angenommen hatte. Dabei hat der Verordnungsgeber ein in der Praxis kaum handhabbares Regelungsmonstrum geschaffen, das gleichwohl inhaltliche Lücken aufwies (Deutscher VRR 2011, 90). Erst Jahre später wurde mit der 52. ÄnderungsVO vom 18.5.2017 (BGBl I, 1282) die Vorschrift erneut reformiert und bietet seitdem im Zusammenwirken mit § 36 Abs. 4 StVZO eine brauchbare Grundlage für die Bestimmung der Pflicht zur Benutzung von Winterreifen (Deutscher VRR 11/2017, 4).

Über die Gründe für solche gesetzgeberischen Fehlleistungen kann letztendlich nur spekulieren werden (absichtliches Desavouieren? Defizite in der Kompetenz?). Jedenfalls wird die Arbeiten für die Rechtsanwender hierdurch deutlich erschwert und damit die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt. Und dabei sind die langfristigen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit durch die politisch gewollte Teillegalisierung des Besitzes von Cannabis, die Einführung des neuen THC-Grenzwertes in § 24a StVG (Deutscher VRR 8/2024,6) und die Angleichung der Regeln bei Cannabiskonsum an diejenigen des Alkoholkonsums im verwaltungsrechtlichen Fahrerlaubnisrecht (Burhoff VRR 5/2024, 8) noch gar nicht seriös abschätzbar.

VI.

Humoriges

Ich habe keine Leibwächter, aber ich habe zwei echt durchtrainierte Rechtsanwälte (frei nach Elvis Presley, dort: Steuerberater)

Humor wird Juristen als Charaktereigenschaft zumal im beruflichen Umfeld eher selten zugeschrieben. Zwar gibt es durchaus in Reimform oder Knittelversen abgefasste Urteile (hierzu OLG Karlsruhe, Urt. v. 26.5.1956 – 2 Ss 27/56, NJW 1990, 2009). Auch der Versuch, dem Zeitgeist durch umfängliches, aber nicht immer konsequentes Gendern nachzueifern, führt durchaus zum Schmunzeln (Deutscher NZV 2023, 140 Ziff. 3). Alleinstellungsmerkmal des VRR ist in diesem Bereich allerdings die in den Jahren 2011 bis 2014 regelmäßig veröffentlichte Reihe „Sandherrs Streifschuss“. Der renommierte Berliner Richter am KG Urban Sandherr hat in kurzen, pointierten Glossen die Absurditäten der Juristerei aufgegriffen und satirisch verarbeitet. Etwa die Satire „WuM! AuA! DöD und BLÖD!“ (VRR 2011, 455) über den Abkürzungswahn bei juristischen Zeitschriften oder das fiktive Interview mit dem Bundesverkehrsministers Ramsauer anlässlich seines 20-jährigen (!) Dienstjubiläums (VRR 2012, 94) waren kleine Prunkstücke des Humors und in einer Fachzeitschrift wahrlich nicht zu erwarten. Es wäre schön, wenn man so etwas auch heutzutage in dem Berg der notwendigen, aber eben auch oft trockenen Lektüre entdecken könnte.

VII.

Ausblick

Que Sera, Sera (1956 gesungen von Doris Day in dem Film „Der Mann, der zuviel wußte“ von Sir Alfred Hitchcock)

Detlef Burhoff hat es seit 20 Jahren bestens verstanden, den VRR auf dem eingangs beschriebenen Kurs des Postulats der Praxistauglichkeit zu halten. Die strukturelle Ausgestaltung hat sich von Anfang an als richtig erwiesen und ist auch heute noch aktuell. Mit der Umstellung von der Druckversion auf mit E-Mail versandten PDF-Ausgaben wurde nicht nur aktiver Resourcenschutz betrieben, sondern auch die Arbeit mit der VRR im digitalen Umfeld deutlich erleichtert und die unmittelbare Verfügbarkeit bei Veröffentlichung sichergestellt, auch wenn dem leider die durchgehende Seitennummerierung zum Opfer gefallen ist. Der oben dargestellte Querschnitt der in 20 Jahren behandelten Themen begründet die Vermutung, dass dem VRR auch in Zukunft die verkehrsrechtlichen Themen nicht ausgehen werden. Im Gegenteil: Es ist schon jetzt absehbar, dass die Gesetzesänderungen rund um die Teillegalisierung von Cannabis noch für längere Zeit Problemfragen im Bußgeld- und Fahrerlaubnisrecht nach sich ziehen werden. Technische Neuerungen und die mal besseren, mal schlechteren Ideen des Gesetz- und Verordnungsgebers werden das Ihre dazu tun. Der VRR wird all dies aufgreifen und in praxistauglicher Form aufbereiten. Ich betrachte es als Privileg, seit der ersten Stunde für den VRR zu schreiben zu dürfen. Auf weitere erfolgreiche 20 Jahre! Mindestens!

Richter am Amtsgericht Dr. Axel Deutscher, Bochum

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