Der Geschädigte kann einen adäquat kausal unfallbedingten und nach § 842 BGB, § 11 StVG zu ersetzenden Verdienstausfallschaden erleiden, wenn er berechtigterweise auf die ihm ärztlicherseits bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb nicht zur Arbeit geht. (Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Der Kläger wurde durch das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug während seiner Tätigkeit in einer Waschstraße verletzt. Zwischen den Parteien war dabei unstreitig, dass er durch den Verkehrsunfall eine Wunde am linken Unterschenkel erlitten hat. Kläger wurde aufgrund einer fachärztlichen Bescheinigung wegen einer offenen Wunde des Unterschenkels seit dem Unfalldatum für eigene Jahr, vier Monate rund eine Woche als voraussichtlich arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Beklagte ist für unstreitige Primärverletzung eintrittspflichtig
Im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme hat sich nach einem medizinischen Gutachten herausgestellt, dass der Kläger allerdings bereits schon nach gut drei Monaten nach dem Verkehrsunfall wieder arbeitsfähig gewesen ist. Der Kläger vertrat jedoch die Auffassung, er habe auf die Krankschreibung seines Arztes vertrauen dürfen und ihm wäre daher ein Verdienstausfall für den gesamten Zeitraum der Krankschreibung entstanden, den die Beklagte zu ersetzen hätte.
Revision erfolgreich
Der Tatrichter beim Berufungsgericht hatte dem Kläger einen Verdienstausfall nur für den Zeitraum zugesprochen, bei dem er objektiv nach dem eingeholten medizinischen Gutachten nicht arbeitsfähig gewesen ist. Diese Entscheidung hat der BGH aufgehoben
II. Entscheidung
Längere Krankschreibung als tatsächliche Arbeitsunfähigkeit
Nach Ansicht des BGH liegt eine Arbeitsunfähigkeit im schadensersatzrechtlichen Sinne nicht nur dann vor, wenn es dem Arbeitnehmer infolge der Krankheit aus tatsächlichen rechtlichen Gründen unmöglich ist, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit auszuüben. Sie konnte vielmehr auch dann bestehen, wenn die Ausübung der geschuldeten Tätigkeit aus medizinischer Sicht nicht vertretbar gewesen ist, etwa weil die Heilung nach einer ärztlichen Prognose hierdurch verhindert oder verzögert wurde oder die gesundheitliche Belastung bei der Ausübung der geschuldeten Tätigkeit aus medizinischer Sicht unzumutbar erscheint.
Weit gefasster Begriff der Arbeitsunfähigkeit
Bei der Beurteilung, ob eine solche verletzungsbedingte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit vorliegt, ist nach Auffassung des Senats auf die subjektive Schadensbetrachtung im Rahmen des § 249 BGB unter besonderer Berücksichtigung der speziellen Situation des Geschädigten, insbesondere seine Erkenntnisse und Handlungsmöglichkeiten, abzustellen. Denn der geschädigte Arbeitnehmer wäre bei seiner Entscheidung, ob er trotz seiner ihm vom Schädiger zugefügte Verletzung seine verbleibende Arbeitskraft dem Arbeitgeber anbietet oder hier von Interesse seiner Gesundheit absehen soll, in vielen Fällen auf die Einschätzung des ihn behandelnden Arztes angewiesen. Dies würde insbesondere gelten, wenn zu entscheiden ist, ob durch die Aufnahme der Arbeitstätigkeit die Heilung nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert werden könnte.
Subjektiver Schadensbegriff zu beachten
Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht des Senats für einen Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls nicht zwingend erforderlich, dass objektiv eine verletzungsbedingte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit tatsächlich vorlag. Ein Anspruch würde vielmehr auch dann Betracht kommen, wenn der Geschädigte aufgrund einer ärztlichen Beratung von einer solchen Einschränkung ausgehen muss. Er kann also auch einen schadensersatzrechtlich zu ersetzenden Verdienstausfall erleiden, wenn er berechtigterweise auf die ihm ärztlicherseits bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb seine Arbeitstätigkeit nicht wieder aufnimmt.
Schadensersatz auch bei berechtigtem Vertrauen auf AU-Bescheinigung
Um zu verhindern, dass dies allerdings zu einer uferlosen Ausdehnung von Schadensersatzpflichten führte, sind weitere Voraussetzungen hierfür erforderlich. Allein aus der Tatsache, dass eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt wird, könnte ein solcher Anspruch noch nicht abgeleitet werden. Vielmehr müsse der medizinische Grund, auf die die Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung des ausstellenden Arztes beruhte, unfallbedingt sein. Dies hat der Geschädigte darzulegen und zu beweisen. Demgegenüber könne das berechtigte Vertrauen nur die Arbeitsunfähigkeit als solche betreffen, nicht aber deren Ursache.
Geschädigte muss aber unfallbedingte Verletzung beweisen
Darüber hinaus sind an die Feststellung des berechtigten Vertrauens, für das der Geschädigte ebenfalls die Beweislast trägt, nicht zu geringe Anforderungen zu stellen. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass der Geschädigte den Arzt vollständig und zutreffend informiert hat. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der von ihm empfundenen gesundheitlichen Beeinträchtigung, die Grundlage einer Beurteilung und Empfehlung ist. Dabei können die Grundsätze der sogenannten Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie zu beachten sein. Auch muss das ärztliche Verfahren zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit so gestaltet sein, dass der Geschädigte zu Recht annehmen darf, dass die Feststellung inhaltlich zutreffend ist und auch einer späteren Überprüfung standhalten würde. Ob ein solches berechtigtes Vertrauen vorliegt, ist dabei immer vom Einzelfall abhängig. Da der Tatrichter diese Erwägung nicht berücksichtigt hat, wurde die Entscheidung aufgehoben und zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen.
III. Bedeutung für die Praxis
Vertrauensschutz gewinnt an Bedeutung
Mit dieser Grundsatzentscheidung kommt dem Begriff der subjektbezogenen Schadensbetrachtung auch bei Personenschäden eine größere Bedeutung zu. Für den Geschädigten ist dies insbesondere hilfreich, wenn zwar tatsächlich in objektiver Hinsicht eine Arbeitsunfähigkeit nicht nachgewiesen werden kann, er aber aufgrund eines Vertrauensschutzes im Rahmen einer ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung berechtigterweise davon ausgehen darf, weiterhin nicht arbeitsfähig zu sein bzw. zur Gefährdung eines Heilungserfolges nicht zu früh eine Arbeit wieder aufgenommen werden sollte.
Beweislast beim Geschädigten
Dabei ist insbesondere zu beachten, dass dieses berechtigte Vertrauen insoweit nur die Arbeitsunfähigkeit als solche betreffen kann, nicht aber die Ursache, die der behandelnde Arzt im Rahmen seiner rein therapeutischen Tätigkeit auch nicht sicher feststellen oder wie ein Gutachter überprüfen muss. Insbesondere für den Eintritt der sog. Primärverletzung ist der Geschädigte weiterhin darlegungs- und beweisbelastet und ohne eine solche unfallbedingte Verletzung besteht keine Schadensersatzpflicht.
Geschädigte muss wahrheitsgemäße Angaben tätigen
Aber auch wenn eine solche unfallbedingte Verletzung nachgewiesen ist, besteht ein berechtigtes Vertrauen des Geschädigten nur unter Einhaltung weiterer Voraussetzung. Insbesondere muss er zutreffende Angaben zu den bestehenden Beeinträchtigungen und den empfundenen Schmerzen gegenüber dem behandelnden Arzt getätigt haben. Ist dies nicht der Fall, darf auch nicht auf die Richtigkeit einer aufgrund falscher Angaben erstellter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vertraut werden. Auch kann im Einzelfall darauf abzustellen sein, ob bei der Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit die entwickelten Grundsätze nach der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie eingehalten worden sind, die sich einem Geschädigten aufdrängen können. Dazu gehört insbesondere, dass der behandelnde Arzt sich aufgrund der Eigenbehandlung selber ein Bild über die Beeinträchtigung des Geschädigten verschaffte, diesen auch zu seiner beruflichen Tätigkeit den damit verbundenen Belastungen und Anforderungen befragt und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Regelfall nur für einen Zeitraum von max. 14 Tagen erstellt wird.