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Höherer Minderwert bei Elektro Kfz

1. Liegt bei einem Elektrofahrzeug ein Heckschaden mit erheblichen Reparaturkosten vor, ist selbst bei einer vollständigen und fachgerechten Reparatur von einer überdurchschnittlich hohen Reduzierung potenzieller Kaufinteressenten auszugehen.

2. Dies ist bei der Bemessung des merkantilen Minderwertes erhöhend zu berücksichtigen, sodass der Minderwert im Vergleich zu einem unfallfreien Fahrzeug um 50 % höher zu schätzen ist.

3. Ob und in welchem Umfang der Geschädigte eine tatsächliche Disposition über den Verkauf des Fahrzeugs trifft und inwieweit dadurch ein Minderwert realisiert wird, ist dabei nicht entscheidend. (Leitsätze des Verfassers)

LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 18.9.20248 O 4990/ 23

I. Sachverhalt

Elektro-Kfz erheblich beschädigt und zum geringeren Wert veräußert

Die beklagte Kraftfahrthaftpflichtversicherung war dem Kläger gegenüber im vollen Umfang für die Folgen eines Verkehrsunfalls eintrittspflichtig, bei dem das Heck des Elektrofahrzeugs der Klägerseite in einem ganz erheblichen Umfang beschädigt worden ist. Das Fahrzeug war bereits zum Kaufpreis von 41.000 EUR veräußert, aber noch nicht übergeben worden. Tatsächlich wurde später für Netto-Reparaturkosten in Höhe von gerundet 19.000 EUR vollständig und fachgerecht repariert, dann aber für lediglich 31.100 EUR an den Kaufinteressenten erneut veräußert. In dem eigenen Gutachten der Klägerseite wurde ein merkantiler Minderwert i.H.v. 1.400 EUR ermittelt. Der Kläger war jedoch der Auffassung, dass der ihm entstandene Minderwert in der Differenz zwischen beiden Beträgen außer dem jeweiligen Kaufvertrag liege und damit 9.900 EUR betragen würde.

II. Entscheidung

Höherer Minderwert bei Elektro-Kfz

Das LG hat zur Bestimmung des merkantilen Minderwertes ein Sachverständigengutachten eingeholt, wobei der Gutachter unter Berücksichtigung der gängigen Modelle der BVSK- und MFM-Methode einen merkantilen Minderwert i.H.v. 2.500 EUR ermittelte. Den so geschätzten Minderwert hat die Kammer aber nach eigener Einschätzung um 50 % auf 3.750 EUR erhöht. Auch wenn nur der Heckbereich des Fahrzeugs betroffen gewesen wäre, führt aus Sicht der Kammer ein solch hoher Schaden zu einer überdurchschnittlichen Reduzierung potenzieller Kaufinteressenten auf dem allgemeinen Automarkt.

Besondere Skepsis zur Reparatur bei Elektro-Kfz zu beachten

Dabei wäre zu beachten, dass das Vertrauen in die Reparaturmöglichkeit bei Fahrzeugen mit elektrischen Antriebssystemen, die seit Jahren am Markt sind, deutlich geringer wäre als bei einem Modell mit einem Verbrennungsmotor. Diese besondere Skepsis eines potenziellen Käufers würde dazu führen, dass das Fahrzeug sich nur für einen deutlich geringeren Preis mit einem geringeren Abschlag als beispielsweise bei einem Verbrenner veräußern ließe. Das Gericht geht dabei von einer um 50 % höheren Wertminderung aus.

Tatsächlich realisierter Minderwert ist unerheblich

Entgegen der Auffassung der Klägerseite würde es jedoch nicht auf den realisierten Wertverlust ankommen, da dieser unter anderem von der Geschicklichkeit des Verkäufers und der allgemeinen Wirtschaftslage abhängen würde.

III. Bedeutung für die Praxis

Gegenmeinung: Höherer Wertverfall bei Elektro-Kfz

Die Bewertung von Schäden an Elektrofahrzeugen wird die Praxis zunehmend besonders beschäftigen. Schaut man sich die Schwacke-Bewertungen zum Zeitwert bei Verbrennern und Elektro-Kfz im Vergleich an, drängt sich die Überlegung auf, dass aufgrund des hohen Wertverfalls bei Elektrofahrzeugen, bei denen die Leistungsfähigkeit innerhalb kürzester Zeit gegenüber anderen Modellen deutlich abnimmt, auch der merkantile Minderwert geringer einzuschätzen sein kann als bei vergleichbaren Verbrennerfahrzeugen.

Bewertung in der Praxis & Kriterien sind abzuwarten

Allerdings dürfte in der Praxis auch zu bedenken sein, dass der Markt unter Umständen bei denkbaren schwerwiegenden strukturellen Schäden und möglichen Auswirkungen auf die Batterie eine deutlich geringere Anzahl an Käufern bei Elektrofahrzeugen aufweist, die nicht nur einen Bagatellschaden erlitten haben. Schade ist bei dem vorliegenden Fall, dass der Tatrichter diesen Gesichtspunkt nicht durch einen Sachverständigen hatte weiter überprüfen lassen. Konkrete Quellen und Belege für die Einschätzung der Kammer werden jedenfalls in dem Urteil nicht genannt, und man darf gespannt sein, ob sich diese Auffassung in der Praxis durchsetzen würde. Unter Umständen kann es sich anbieten, bei dieser Bewertung auch zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Batterie als besonders sicherheitsrelevantes Bauteil zu reparieren war.

Tatsächlich realisierter Minderwert nach h.M. nicht entscheidend

Auf den ersten Blick liegt es im Übrigen auch bei diesem Fall nahe, davon auszugehen, dass sich der in einem Gutachten geschätzte merkantile Minderwert tatsächlich durch den deutlich geringeren Verkaufspreis in einem viel größeren Umfang realisiert hat, als dies ursprünglich der Gutachter bestimmt hat. Dagegen spricht allerdings, dass es nach Auffassung des BGH (VRR 9/2024, 2) für die Bestimmung des merkantilen Minderwertes unerheblich ist, ob und in welchem Umfang der Geschädigte diesen Minderwert tatsächlich realisiert hat. Dies muss dann für beide denkbaren Abweichungen gelten: Wenn es dem Geschädigten nicht zum Nachteil gereicht, wenn er einen solchen Minderwert tatsächlich gar nicht erfahren hat, kann es umgekehrt auch nicht zu seinen Gunsten ausgehen, wenn er bei Verkaufsbemühungen das Fahrzeug tatsächlich sogar nur zu einem späteren Zeitpunkt mit größeren Verlusten verkaufen konnte.

Ansonsten: Schadensminderungspflicht beachten

Wer allerdings diesen Gesichtspunkt anders bewertet, müsste bei dem vorliegenden Einzelfall genau prüfen, ob und in welchem Umfang der Geschädigte nicht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen hat, indem er das Fahrzeug zu einem deutlich geringeren, gut 10.000 EUR niedrigeren Preis veräußert hat, wenn der eigene Gutachter lediglich einen Minderwert i.H.v. 1.400 EUR prognostiziert hat. Insoweit sollten in Vertretung des Geschädigten zumindest weitere Vergleichsangebote und Kaufbemühungen dokumentiert werden, um aufzuzeigen bzw. zu belegen, dass das Fahrzeug nicht zu einem höheren Preis hätte veräußert werden können. Ansonsten liegt eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit auf der Hand.

RA Dr. Michael Nugel, FA für VerkehrsR und VersR, Essen

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