Beitrag

E-Scooter: Absolute Fahruntüchtigkeit und Entziehung der Fahrerlaubnis

1. Elektrokleinstfahrzeuge mit elektrischem Antrieb, einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h und bestimmten, in § 1 eKFV genannten zusätzlichen Merkmalen (E-Scooter), sind gemäß der Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr (eKFV) als Kraftfahrzeuge einzustufen.

2. Der Mindestwert für die unwiderlegliche Annahme von absoluter Fahruntüchtigkeit liegt für Führer von Elektrokleinstfahrzeugen in diesem Sinne bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰.

3. Die Benutzung eines sog. E-Scooters durch einen alkoholbedingt fahruntüchtigen Fahrer widerlegt für sich genommen nicht die Ungeeignetheit im Sinne des § 69 StGB. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Hamm, Urt. v. 8.1.2025III-1 ORs 70/24

I. Sachverhalt

E-Scooter mit 1,5‰ geführt

Das AG hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt und ihm für die Dauer von vier Monaten untersagt, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. In der Tatnacht gegen 2:20 Uhr befuhr der Angeklagte mit einem zuvor gemieteten E-Scooter gemeinsam mit seiner Freundin in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand öffentliche Straßen, um seine Freundin nach Hause zu bringen. Die entnommene Blutprobe hat eine BAK von 1,51 ‰ ergeben. Auf die Sprungrevision der StA hat das OLG das Urteil aufgehoben und die Sache insoweit zurückverwiesen, als ein Fahrverbot von vier Monaten angeordnet und die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Bestimmung einer Sperrfrist für deren Neuerteilung abgelehnt worden sind.

II. Entscheidung

Zu Leitsätzen 1 und 2

Bei dem vom Angeklagten zur Tatzeit geführten E-Scooter handele es sich um ein Fahrzeug im Sinne von § 316 StGB. Elektrokleinstfahrzeuge wie E-Scooter würden gem. der seit dem 15.6.2019 geltenden Verordnung über die Teilnahme von am Straßenverkehr (eKFV) als Kfz i.S.d. § 1 Abs. 2 StVG eingestuft (BayObLG NStZ 2020, 736 = StRR 1/2021, 35 = VRR 10/2020, 15 [jew. Deutscher]). Zum Tatzeitpunkt sei der Angeklagte absolut fahruntüchtig gewesen. Die Bewertung der Frage der alkoholbedingten absoluten Fahrunsicherheit habe das AG rechtlich zutreffend unter Anwendung der für Kraftfahrer geltenden Promillegrenze von 1,1 ‰ vorgenommen. Der BGH habe bislang offengelassen, ob dieser Grenzwert auch für die Fahrzeugklasse der Elektrokleinstfahrzeuge gilt (vgl. BGH NStZ-RR 2023, 222 = StRR 6/2023, 22 = VRR 7/2023, 21 [jew. Niehaus]. Der Senat schließt sich der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung an, dass dieser Grenzwert, von dem an eine absolute Fahruntüchtigkeit unwiderleglich indiziert ist, auch für die Fahrer von Elektrokleinstfahrzeugen gilt (BayObLG a.a.O.; offengelassen: OLG Braunschweig zfs 2024, 288= StRR 2/2024, 27 = VRR 1/2024, 18 [jew. Deutscher]; wird näher ausgeführt).

Zu Leitsatz 3

Die Begründung, mit der das AG trotz Vorliegens eines Regelfalls nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB und Anordnung einer Sperre gemäß § 69a StGB abgesehen hat, halte dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die im Folgenden vom OLG Hamm zu Leitsatz 3 dargelegten Grundsätze zur Behandlung eines Regelfalls gem. § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB entsprechen im Kern der Darstellung des BayObLG (NStZ 2020, 736 = StRR 1/2021, 35 = VRR 10/2020, 15 [jew. Deutscher], s. näher dort). Danach komme ein Abweichen von der Regelvermutung nur bei besonderen Umständen des Einzelfalles in Betracht. Die Ausführungen des AG ließen jedoch besorgen, dass es Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern hinsichtlich der Anwendung der §§ 69, 69a StGB entgegen der Regelvermutung grundsätzlich anders bewerten will als solche mit anderen Kraftfahrzeugen. Das AG habe an tatbezogenen Umständen berücksichtigt, dass die Fahrt mit einem E-Scooter stattfand und damit die Tat bereits positiv vom Durchschnittsfall abweiche, da übliches Tatmittel der Pkw sein dürfe. Das Gefährdungspotential für Fahrer und andere Verkehrsteilnehmer sei als geringer einzuschätzen. Dieses sei auch im Hinblick auf die Tatzeit äußerst gering, da nur wenige Verkehrsteilnehmer unterwegs seien. Die Benutzung eines E-Scooters durch einen betrunkenen Fahrer widerlege jedoch aus den dargelegten Gründen nicht die Regelvermutung der Ungeeignetheit im Sinne des § 69 StGB. Die Annahme eines fehlenden oder jedenfalls geringeren Gefährdungspotenzials bei Nutzung eines E-Scooters berücksichtige überdies nicht hinreichend, dass durch den Sturz eines Fußgängers oder Radfahrers infolge eines Zusammenstoßes mit dem E-Scooter ganz erhebliche, unter Umständen sogar tödliche Verletzungen verursacht werden können. Auch könnten andere, ggf. stärker motorisierte Verkehrsteilnehmer durch alkoholbedingte Fahrfehler eines E-Scooterfahrers zu Ausweichmanövern, abruptem Bremsen oder Ähnlichem veranlasst werden, was ebenfalls gravierende Folgen haben kann (so auch OLG Frankfurt/Main NJW 2023, 2442 = StRR 7/2023, 27 = VRR 7/2023, 25 [jew. Deutscher]). Auch die Tatzeit rechtfertige nicht das Abweichen von der Regelvermutung. Dies insbesondere auch deshalb, weil das vom AG berücksichtigte geringere Verkehrsaufkommen auf eine fehlende oder jedenfalls geringere konkrete Gefährdung abstellt. Der Umstand, dass Leib oder Leben anderer Menschen oder Sachen von bedeutendem Wert nicht konkret gefährdet wurden, sei jedoch bereits Tatbestandsvoraussetzung des als abstraktem Gefährdungsdelikt ausgestalteten § 316 StGB, im Falle einer konkreten Gefährdung läge die Strafbarkeit im Bereich des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB, gegebenenfalls i.V.m. § 315c Abs. 3 StGB (BayObLG a.a.O.). Dafür, dass nach den Tatumständen bereits der Umfang der abstrakten Gefährdung der Verkehrssicherheit in ungewöhnlicher Weise vom Normalfall abgewichen wäre, ergäben sich aus den Urteilsfeststellungen dagegen keine Anhaltspunkte. Auch besondere Umstände in der Persönlichkeit des Täters seien nicht ersichtlich. Die Tatsache, dass der Angeklagte strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, so dass es sich bei der Anlasstat um einen erstmaligen Verstoß des Täters gegen ein Delikt im Sinne des § 69 Abs. 2 StGB handelt, vermöge die nach § 69 Abs. 2 StGB vermutete Ungeeignetheit in aller Regel nicht zu widerlegen, zumal die Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich vom Gesetzgeber nicht auf Wiederholungsfälle beschränkt sei (BayObLG a.a.O.).

III. Bedeutung für die Praxis

Bekräftigung der obergerichtlichen Rechtsprechung

Das Urteil zeigt keine neuen Erkenntnisse auf. Gleichwohl ist doch von Bedeutung: Es bekräftigt die obergerichtliche Grundhaltung, dass bei der Beurteilung der Entziehung der Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern im Grundsatz keine Sonderregeln gegenüber anderen Kfz gelten, auch wenn die Tatgerichte das vielfach annehmen wollen. Innerhalb dieses Rahmens gelten bei der Widerlegung der Vermutungswirkung nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB die allgemeinen Regeln. Diese Rechtsprechung verfestigt sich. Es bleibt zu hoffen, dass der BGH hier bald das abschließende Wort hat.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…