Beitrag

Bemessung der Rahmengebühren für ein Strafrichterverfahren

Eine Hauptverhandlungsdauer von 2 Stunden und 30 Minuten liegt für ein Verfahren beim Strafrichter deutlich über dem Durchschnitt. Dies rechtfertigt (für den Nebenklägervertreter) die Erhöhung der Terminsgebühr um 50 %. (Leitsatz des Verfassers)

LG Potsdam, Beschl. v. 15.8.202424 Qs 41/24

I. Sachverhalt

Streit um Höhe der Gebühren des Nebenklägervertreters

Der Rechtsanwalt war Nebenklägervertreter. Das AG – Strafrichter – hat den Angeklagten verurteilt und ihm auch die notwendigen Auslagen des Nebenklägers auferlegt. Der Rechtsanwalt hat die gegenüber dem Angeklagten geltend gemacht. Das AG hat die anwaltlichen Gebühren für den Nebenklägervertreter oberhalb der Mittelgebühr festgesetzt. Das dagegen gerichtet Rechtsmittel des Angeklagten hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Allgemeine Bewertungskriterien für Angemessenheit der Rahmengebühren

Die Angemessenheit einer Rahmengebühr für eine anwaltliche Tätigkeit bestimme sich gemäß § 14 RVG nach dem Umfang sowie der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie den Einkommensverhältnissen des Auftraggebers. Ausgehend von diesen Zumessungskriterien ist das LG zu dem Ergebnis gelangt, dass die anwaltliche Tätigkeit des Nebenklägervertreters wegen der Bedeutung der Angelegenheit von den Durchschnittsfällen, die regelmäßig vor dem Strafrichter des Amtsgerichtes verhandelt werden, abweicht, während im Übrigen der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie die Einkommensverhältnisse des Auftraggebers als durchschnittlich anzusehen sind, was dem Angeklagten zuzugestehen ist.

Umfang der anwaltlichen Tätigkeit

Der Umfang einer anwaltlichen Tätigkeit im Sinne des § 14 RVG bemesse sich nach dem tatsächlichen zeitlichen Aufwand des Rechtsanwaltes bei der Bearbeitung des konkreten Mandates. Eine besondere Berücksichtigung sollen dabei dem Aktenumfang, der Auswertung von Beiakten sowie der Anzahl und dem Umfang der gefertigten Schriftsätze zukommen (vgl. a. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1765 ff.).

Von diesen Kriterien ausgehend sei der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hier als durchschnittlich zu betrachten. Der Aktenumfang umfasse 192 Seiten. Beiakten hätten nicht existiert. Zwar habe der Nebenklägervertreter Beschwerde eingelegt, um die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft abzuwenden, und hierdurch die Fortführung des Verfahrens und schließlich die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung auch erreicht. Eine ungewöhnlich aufwendige anwaltliche Tätigkeit sei in der Einlegung des Rechtsmittels jedoch nicht zu erkennen, denn es seien keine schwierigen rechtlichen Fragen zu beurteilen gewesen. Letzteres werde auch daran deutlich, dass die Beschwerdeschrift lediglich anderthalb Seiten umfasst habe.

Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit

Die Schwierigkeit einer anwaltlichen Tätigkeit im Sinne des § 14 RVG bestimme sich demgegenüber nach der Intensität der anwaltlichen Arbeit. Schwierig sei eine Tätigkeit dabei dann, wenn erhebliche, im Normalfall nicht auftretende Probleme auftauchen, seien sie rechtlicher oder tatsächlicher Natur (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A 1771 ff.).

Derartige Probleme seien hier ebenfalls nicht zu erkennen. Zwar sei der Nebenkläger vietnamesischer Staatsangehöriger, er arbeite aber seit vielen Jahren in Deutschland und kommuniziere mit seinen Kollegen in der deutschen Sprache. Er müsse deshalb über Sprachkenntnisse verfügen, die alltagstauglich seien und eine Kommunikation mit ihm erlauben. Aus diesem Grunde könne das Vorbringen des Nebenklägervertreters nicht zu überzeugen, wonach sprachliche Schwierigkeiten, die in der Hauptverhandlung die Hinzuziehung eines Dolmetschers veranlasst hätten, die Schwierigkeiten der anwaltlichen Tätigkeit erheblich erhöht hätten. Deshalb sei auch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit lediglich als durchschnittlich zu beurteilen.

Bedeutung der Angelegenheit

Dagegen war nach Auffassung des LG die Bedeutung der Angelegenheit deutlich erhöht gegenüber den Durchschnittsfällen vor dem Strafrichter des AG.

Für die Beurteilung der Bedeutung der Angelegenheit im Sinne des § 14 RVG sei es demgegenüber entscheidend, welche tatsächliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung die Sache gerade für den Auftraggeber, hier den Nebenkläger, aufweist (vergl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1775 ff.). Hier sei die Bedeutung der Angelegenheit dadurch erhöht gewesen, dass die vom Angeklagten begangene Körperverletzung bei ihm zu einem Rippenbruch geführt hatte, die nach Lage der Akten eine erstaunliche lange, 10-monatige Arbeitsunfähigkeit des Nebenklägers zur Folge hatte. Die tatsächlichen wie auch die wirtschaftlichen Folgen der Tat – der Nebenkläger habe aufgrund der Arbeitsunfähigkeit nach der Lebenserfahrung keinen Lohn, sondern Krankengeld erhalten – weichen – so das LG – deshalb erheblich von den durchschnittlichen Fällen, die beim Strafrichter des AG verhandelt werden, ab.

Konkrete Bewertung

Die vorstehende Bewertung durch das LG hat dazu geführt, dass der Nebenklägervertreter vom Grundsatz her zu Recht eine höhere anwaltliche Vergütung als die Mittelgebühr beansprucht und auch festgesetzt bekommen hat. Dabei gilt hinsichtlich der einzelnen Gebühren Folgendes:

Grundgebühr und Verfahrensgebühr

Die Festsetzung der Grund- und Verfahrensgebühr durch das AG i.H.v. 30 % über der Mittelgebühr sei nicht zu beanstanden. Denn hier sei die Bedeutung der Angelegenheit gegenüber den Durchschnittsfällen aufgrund der tatsächlichen und wirtschaftlichen Tatfolgen deutlich erhöht. Da ein Rechtsanwalt nach § 14 RVG bei der Bemessung seiner Gebühren ein Ermessen habe, billige ihm die Kammer in ständiger Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre (vgl. nur Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1811 m.w.N.) insoweit einen Toleranzspielraum von bis zu 20 % zu. Hiervon ausgehend sie die Geltendmachung von Gebühren in Höhe von 30 % über der Mittelgebühr für die Grund- und Verfahrensgebühr vorliegend nicht zu beanstanden.

Terminsgebühr

Soweit sich der Angeklagte gegen die Festsetzung einer um 50 % erhöhten Terminsgebühr gewendet hat, hatte sein Rechtsmittel ebenfalls keinen Erfolg. Denn:

Bei der Bemessung der Terminsgebühr sei die Dauer der Hauptverhandlung nicht das alleinige Kriterium, jedoch ein wesentlicher Anhaltspunkt. Durch sie solle ausschließlich die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Termin abgegolten werden, während die Vorbereitung des Termines in den Anwendungsbereich der Verfahrensgebühr gehöre (vgl. LG Detmold, Beschl. v. 3.2.2009 – 4 Qs 171/08; LG Potsdam, Beschl. v. 15.8.2013 – 24 Qs 77/13).

Nach überwiegender Meinung im Schrifttum solle dabei die Mittelgebühr einer Terminsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit beim Strafrichter gerechtfertigt sein, wenn die Hauptverhandlung nicht länger als 1 Stunde betragen hat (wie hier Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn 73 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die Strafkammer hat sich dem aufgrund eigener Erfahrungen angeschlossen, da sie den Realitäten strafgerichtlicher Verfahren weiterhin entspricht. Hiervon ausgehend liegt die Dauer der Hauptverhandlung mit 2 Stunden und 30 Minuten hier deutlich über dem Durchschnitt. Dies rechtfertiget die dem Nebenklägervertreter durch den angegriffenen Beschluss zugebilligte 50 %-ige Erhöhung der Terminsgebühr.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffende Bewertung

Der Entscheidung, die sich recht wohltuend von den sonst üblichen Instanzentscheidungen zur Bemessung der Rahmengebühren unterscheidet, ist im Wesentlichen zuzustimmen. Dabei darf man allerdings nicht übersehen, dass um die Höhe der Gebühren des Nebenklägervertreters gestritten worden ist, bei dem die Rechtsprechung m.E. – ein wenig – großzügiger ist als beim Verteidiger (s. auch noch zum Nebenkläger OLG Koblenz NJW 2005, 917, 918; auch OLG Hamm AGS 2013, 254 = StRR 2012, 438 = RVGreport 2013, 71; LG Koblenz, RVGreport 2014, 264 = JurBüro 2014, 302; LG Ravensburg, Beschl. v. 16.5.2022 – 1 Qs 19/22, AGS 2022, 304). Die Bewertung der angeführten Kriterien ist im Wesentlichen nicht zu beanstanden. Ob ggf. noch weitere Kriterien vorgelegen haben, die ein noch weiteres Überschreiten der Mittelgebühren gerechtfertigt hätten, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen.

Vorbereitungstätigkeiten

Unzutreffend ist es m.E. aber, dass das LG die die Vorbereitung des Termines dem Anwendungsbereich der Verfahrensgebühr zuordnet, wobei nicht ganz deutlich wird, ob damit alle Tätigkeiten gemeint sind, also auch die konkrete Vorbereitung des Hauptverhandlungstermins, oder nur die allgemeine Vorbereitung der Hauptverhandlung, was zutreffend wäre (KG, Beschl. v. 7.5.2012 – 1 Ws 31/12; OLG Hamm, AGS 2006, 498 = JurBüro 2006, 591 [für Abfassung eines Beweisantrags]; RVGreport 2009, 309 = StRR 2009, 438; OLG Jena, StV 2006, 204 = RVGreport 2006, 423 = JurBüro 2005, 476; OLG Karlsruhe, StraFo 2008, 439 = NJW 2008, 2935 = RVGreport 2009, 19; OLG Köln, AGS 2008, 447; OLG München, RVGreport 2016, 145 = AGS 2014, 174 Rpfleger 2014, 445; OLG Oldenburg, JurBüro 2007, 528; OLG Saarbrücken, RVGreport 2014, 103 [u.a. Beweisanträge]; OLG Stuttgart, RVGreport 2006, 32 = Rpfleger 2006, 36; zur Abgrenzung Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn 68, 75 jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung der LG).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…