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Verwertung eines Dashcam-Videos bei Beweisnot

1. Auch im Zeitalter der DS-GVO ist die Verwertung eines Dashcam-Videos zur Aufklärung eines Verkehrsunfalls zulässig, wenn sich die dadurch begünstigte Partei in einer Beweisnot befindet, die Aufnahmen nur die sogenannte „Öffentlichkeitssphäre“ betreffen und nur auf diese Weise eine materielle Gerechtigkeit sichergestellt ist.

2. Ergibt diese Auswertung, dass der Unfallgegner beim Durchfahren einer Kurve auf die daneben liegende Fahrbahn der Beklagtenseite gekommen ist, haftet der Unfallverursacher wegen eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 5 StVO alleine.

LG Aachen, Urt. v. 15.6.202312 O 398/22

I. Sachverhalt

Kollision bei Kurvendurchfahrt und Vorwurf des beiderseiten Fahrstreifenwechsels

Der Kläger war während eines Abbiegevorgangs mit seinem Pkw mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) kollidiert und beide Fahrzeugführer hatten dem jeweils anderen vorgeworfen, dass dieser die eigene Fahrbahn verlassen und auf die Fahrspur des Gegners gekommen wäre. Der Beklagte zu 1) hatte das Unfallgeschehen über eine sogenannte Dashcam im Fahrzeug aufgezeichnet und dieses Video wurde zu Beweiszwecken im Gerichtsprozess vorgelegt.

II. Entscheidung

Dashcam Aufnahme bei Beweisnot verwertbar

Das LG hat die entsprechende Videoaufzeichnung im Rahmen der Inaugenscheinnahme verwertet und dargelegt, dass aus Sicht der Kammer kein Verwertungsverbot eingreifen würde. Zum einen hätte keine der Parteien einer Verwertung des Videos widersprochen. Zum anderen könne dahinstehen, ob ein datenschutzrechtlicher Verstoß vorliegen würde, da selbst bei einem solchen unterstellten Verstoß gegen die DSGVO im Rahmen der vorzunehmenden Güterabwägung noch eine Verwertbarkeit im Zivilprozess zu bejahen wäre. Dabei wäre insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich um eine Aufnahme der sogenannten Öffentlichkeitssphäre handelt und der auf der Beklagtenseite beteiligte Fahrzeugführer sich in einer Beweisnot befunden habe, da anders das Unfallgeschehen nicht weiter aufzuklären gewesen wäre und er insbesondere auch nicht über einen eigenen Zeugen verfügt hätte.

Kläger haftet wegen Fahrstreifenwechsel alleine

Der Kläger hatte sich zwar selbst auf einen Zeugen als Fahrzeuginsassen berufen. Dieser Zeuge konnte aber zu dem konkreten Moment der Kollision der Fahrzeuge keine ergiebigen Angaben tätigen und nur Rückschlüsse aus der Unfallendstellung nach der zu diesem Zeitpunkt aber bereits veränderten Position der Fahrzeuge ziehen. Das Gericht konnte allerdings anhand der Videoaufzeichnung gut erkennen, dass nicht der Beklagte zu 1), sondern der Kläger selbst die eigene Fahrspur verlassen und auf die daneben gelegene Fahrspur im Rahmen eines Abbiegevorgangs gefahren ist. Folgerichtig wurde dem Kläger ein Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO entgegengehalten und damit seine alleinige Haftung begründet.

III. Bedeutung für die Praxis

Unfallaufklärung mit Dashcam in diesen Fällen geboten

Das LG hat über eine Konstellation als Verkehrsunfall zu entscheiden, die sich häufig ereignet und die üblicherweise weder durch ein Sachverständigengutachten noch durch Zeugen hinreichend aufgeklärt werden kann. Ein Gutachter kann an solchen Konstellationen im Regelfall nur feststellen, dass die Fahrzeuge mit einem bestimmten Winkel kollidiert sind, aber nicht, welcher die jeweilige Fahrspur verlassen hat. Unbeteiligte Zeugen, die gerade den Moment der Kollision frei von Zweifeln aufklären können, sind eher eine Seltenheit. Folgerichtig ist ein Fahrzeugführer zur weiteren Aufklärung des Unfallgeschehens in diesen Fällen auf eine Videoaufzeichnung aus einer sogenannten „Dashcam“ angewiesen, wenn diese denn tatsächlich das Geschehen aufgezeichnet hat.

Prüfung eines Beweisverwertungsverbots nur bei Rüge

Das Landgericht hätte hier an sich, da keine der beiden Parteien eine entsprechende Rüge mit einem Beweisverwertungsverbot nach § 297 ZPO hat, auch gar nicht über die Verwertbarkeit des Videos im Zivilprozess entscheiden müssen, (vgl. im Überblick Nugel, VRR 2015, S. 4 – 9).

Geringer Eingriff und Beweisnot sprechen für Verwertung

Wenn allerdings wie hier ein Verwertungsverbot geprüft wird, ist in der Tat im Zivilprozess eine Güteabwägung vorzunehmen, da selbst bei einem unterstellten Verstoß gegen die DS-GVO oder andere datenschutzrechtliche Vorschriften auf der Ebene der Beweiserhebung nicht zwingend ein Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess zu bejahen ist. Entscheidend ist vielmehr eine Güteabwägung der betroffenen Interessen bei der Verwertung des Videos zur Unfallaufklärung einerseits und dem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen aufgenommenen Fahrzeugführers anderseits (BGH, Urt. v. 15.5.2018 – VI ZR 233/17, BGHZ 2018, 348 = VRR 2018, 7 – 8). Bei der Güteabwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich um eine Aufnahme handelt, die im Bereich der sogenannten Öffentlichkeitssphäre stattgefunden hat und sich hier in der Tat der Fahrzeugführer der Beklagtenseite in einer Beweisnot befunden hat, der nur mit diesem Beweismittel das Unfallgeschehen zu seinen Gunsten zweifelfrei aufgeklärt und der Sachvortrag der Klägerseite als unzutreffend widerlegt werden kann – also nur auf diese Art und Weise auch letztendlich dem Gebot der materiellen Gerechtigkeit Genüge getan werden konnte.

Unterschiedlichen Rechtsprechung im Anwendungsbereich der DS-GVO

Auffallend an der Entscheidung des Landgerichts Aachen ist allerdings, dass hier im Wesentlichen die schon bekannten Vorgaben aus der oben genannten Entscheidung des BGH aus dem Fahr 2018 wiederholt und konsequent umgesetzt werden, ohne dass allerdings dem gestiegenen Bedeutungsgehalt des Datenschutzes mit der Möglichkeit weiterreichender Sanktionen nach der DS-GVO eine besondere Bedeutung zukommt. Gerade im Zeitalter der DS-GVO kann die Verwertbarkeit eines solchen Videos auch kontrovers erörtert werden – wenn denn eine Partei der Verwertung im Zivilprozess tatsächlich widerspricht (vgl. LG Mülhausen, Urt. v. 12.5.2020 – 6 O 486/18: Keine Verwertung im Zivilprozess).

RA/FAVerkR M. Nugel, Essen

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