1. Dem Zustandsverantwortlichen können die Kosten der Abschleppmaßnahme auch im Falle einer sog. Leerfahrt oder eines abgebrochenen Abschleppvorgangs auferlegt werden.
2. Dies gilt jedoch im Falle einer Leerfahrt grundsätzlich dann nicht, wenn unmittelbar danach mit demselben Abschleppfahrzeug ein anderes Fahrzeug abgeschleppt wird und die Kosten hierfür dem anderen Verantwortlichen auferlegt werden.
3. Wurden im Falle eines abgebrochenen Abschleppvorgangs bereits spezifische auf die Entfernung des Fahrzeugs gerichtete Leistungen erbracht, die nicht dem für das ersatzweise abgeschleppte Fahrzeug Verantwortlichen in Rechnung gestellt werden können, ist die Geltendmachung der für diese spezifischen Aufwendungen entstandenen Kosten auch unter Berücksichtigung des Äquivalenzprinzips gerechtfertigt.
4. Für die Frage, ob solche abrechenbaren Leistungen entstanden sind, kommt es nicht in erster Linie auf das Bestehen einer technischen Verbindung zwischen dem abzuschleppenden Fahrzeug und dem Abschleppwagen an (so aber: OVG Hamburg, Urt. v. 28.3.2000, 3 Bf 215/98), sondern darauf, ob bereits so erhebliche Aufwendungen seitens des Abschleppunternehmers getätigt wurden, die eine Abrechnung dieser Leistungen rechtfertigen.
5. Den Ordnungsbehörden und erst recht dem Abschleppunternehmer steht kein Zurückbehaltungsrecht an dem im Abschleppen befindlichen Fahrzeug zu. Ein Zurückbehaltungsrecht wie dies gesetzlich für den Fall der Sicherstellung nach § 25 Abs. 3 Satz 3 POG ausdrücklich geregelt ist, findet für den Fall der unmittelbaren Ausführung nach § 6 Abs. 2 POG in den landesrechtlichen Regelungen weder im POG noch im LVwVG eine Stütze und kann auch nicht aus einer analogen Anwendung des § 273 BGB hergeleitet werden. (Leitsätze des Gerichts)
I. Sachverhalt
Abschleppvorgang abgebrochen, anderen Pkw abgeschleppt
Der Kläger parkte seinen Pkw, obwohl hierdurch eine Restfahrbahnbreite von nur noch 2,65m verblieb. Daraufhin kontaktierte ein Mitarbeiter der Beklagten einen Abschleppdienst, der vor Ort eintraf. Im weiteren Verlauf kam der Kläger hinzu und fuhr sein Fahrzeug persönlich weg, sodass dieses nicht abgeschleppt wurde. Stattdessen schleppte derselbe Abschleppwagen ein hinter dem Fahrzeug des Klägers parkendes Fahrzeug ab. Der Kläger bezahlte die Rechnung des Abschleppunternehmers in Höhe von 297,50 EUR vor Ort. Mit Bescheid legte die Beklagte dem Kläger die Kosten für den abgebrochenen Abschleppvorgang in Höhe von 297,50 EUR zzgl. weiterer Gebühren (insgesamt 371,50 EUR) auf. Auf seine Klage hat das VG den Bescheid aufgehoben, soweit darin Kosten von mehr als 61,56 EUR und Verwaltungsgebühren von mehr als 52,00 EUR festgesetzt wurden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
II. Entscheidung
Kostenpflicht auch bei abgebrochenem Abschleppvorgang
Der Kostenbescheid finde seine Rechtsgrundlage in § 6 Abs. 2 POG. In materieller Hinsicht sei der Bescheid überwiegend rechtswidrig. Die Einleitung des Abschleppvorgangs sei rechtmäßig erfolgt (wird ausgeführt). Die Kostenerstattung des Klägers sei jedoch der Höhe nach unverhältnismäßig. Vorliegend verstoße es gegen das Äquivalenzprinzip, dem Kläger die Kosten in Höhe einer Vollfahrt in Rechnung zu stellen. Obwohl der Kläger zu seinem Fahrzeug zurückkehrte, bevor der Abschleppvorgang beendet war und dieses daher unstreitig nicht abgeschleppt wurde, hindere dies grundsätzlich nicht die Heranziehung des Klägers zu den Kosten. Die Kostenpflicht nach §§ 63, 83 LVwVG erfasse grundsätzlich auch Aufwendungen für abgebrochene Abschleppvorgänge (OVG Münster NJW 2014, 568; VGH München, Beschl. v. 16.5.2013 – 10 ZB 10.3162, juris; VGH Mannheim DÖV 2002, 1002; VG München VRR 5/2023, 28 [Burhoff]).
Anders bei unmittelbar anderweitigem Einsatz
Etwas anderes gelte jedoch wie hier, wenn das Abschleppfahrzeug ohne Einbußen für eine effektive Aufgabenerfüllung auf Kosten eines anderen Pflichtigen unmittelbar anderweitig eingesetzt werden kann (OVG Münster a.a.O.). In einem solchen Fall erweise sich die zusätzliche Berechnung von Kosten für eine Leerfahrt nämlich nachträglich im Einzelfall als nicht mehr erforderlich, weil die Anfahrt des Abschleppfahrzeugs dem Verantwortlichen für das benachbart geparkte, unmittelbar anschließend tatsächlich abgeschleppte Fahrzeug zugutekommen und diesem gegenüber in Rechnung gestellt werden kann. Werden in einer solchen Konstellation die Kosten für die Anfahrt über eine Pauschale für eine Leerfahrt – oder wie hier gar für eine Vollfahrt – ein weiteres Mal in Ansatz gebracht, widerspreche dies dem Gebot der Verhältnismäßigkeit (OVG Münster a.a.O.). Im Rahmen grundsätzlich zulässiger Abschleppmaßnahmen ergebe sich, dass Kostenpflichten – auch hinsichtlich solcher Kosten, die bereits angefallen sind – abgewendet werden müssen, wenn dies offensichtlich ohne nennenswerte Beeinträchtigung praktikabler Verwaltungsabläufe möglich ist. So dürfe etwa für ein abzuschleppendes Fahrzeug kein Abschleppfahrzeug beauftragt werden, wenn an Ort und Stelle bereits ein Schleppwagen vorhanden ist, der zwar für ein anderes Fahrzeug bestellt worden ist, hierfür aber nicht mehr benötigt wird (OVG Münster und VGH Mannheim a.a.O.; OVG Hamburg NJW 2001, 168). Wurden indes im Falle eines abgebrochenen Abschleppvorgangs bereits spezifische auf die Entfernung des Fahrzeugs des Klägers gerichtete Leistungen erbracht, die nicht dem für das ersatzweise abgeschleppte Fahrzeug Verantwortlichen in Rechnung gestellt werden können, sei die Geltendmachung von Kosten auch unter Berücksichtigung des Äquivalenzprinzips gerechtfertigt (OVG Hamburg a.a.O.). Solche abrechenbaren Leistungen entstünden nicht erst, wenn eine technische Verbindung zwischen dem abzuschleppenden Fahrzeug und dem Abschleppwagen besteht (so aber OVG Hamburg a.a.O.). Solche vorbereitenden Maßnahmen habe der Abschleppunternehmer hier getroffen, indem er das Abschleppfahrzeug in Position brachte und das Fahrzeug des Klägers in Augenschein nahm. Darüber hinaus habe er auch die Gabel des Abschleppfahrzeugs bereits unter das Fahrzeug des Klägers geschoben, wenngleich eine feste Verankerung mit dem Fahrzeug des Klägers noch nicht erfolgt war. Diese Aufwendungen seien spezifisch für das Fahrzeug des Klägers entstanden und könnten dem Verantwortlichen des tatsächlich abgeschleppten Fahrzeugs nicht in Rechnung gestellt werden. Da eine Pauschale für die hier vorliegende Konstellation nicht vereinbart ist und die Beteiligten zur Höhe der spezifisch auf das Fahrzeug des Klägers erbrachten Leistungen nichts vorgetragen haben und sich auch aus den AGB hierzu nichts herleiten lässt, schätze das Gericht diese im Interesse der Beteiligten analog § 287 ZPO unter Zugrundelegung der für eine Vollfahrt an Sonntagen vereinbarten Pauschale in Höhe von 205,00 EUR (brutto) und der für eine Leerfahrt von 143,44 EUR auf 61,56 EUR. Zuletzt habe der Beklagte, da die Beauftragung des Abschleppunternehmens rechtmäßig erfolgte, hierfür auch gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 LGebG eine Gebühr verlangen dürfen.
Obiter dictum: Kein Zurückbehaltungsrecht
Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass die hier erfolgte Praxis, die Rückgabe des im Abschleppen begriffenen Fahrzeugs von der Zahlung der Abschleppkosten an den Abschleppunternehmer abhängig zu machen, rechtswidrig sein dürfte (näher Leitsatz 5). Es dürfte in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Verantwortliche noch während des Abschleppvorgangs sein Fahrzeug am Ort des Geschehens zurückverlangt und es ohne weiteres möglich, seine persönlichen Daten zu erfassen, auch kein berechtigtes Interesse des Beklagten an einer sofortigen Eintreibung der Kosten bei dem Kläger bestehen. Vielmehr grenze ein Versagen des berechtigten Wunsches nach Herausgabe unter diesen Umständen an strafrechtlich relevantes Verhalten (vgl. VG Gießen, Urt. v. 12.5.2003 – 10 E 4973/02 –, juris, Rn 30).
III. Bedeutung für die Praxis
Obiter dictum neben der Sache
Zur Kostentragungspflicht des Betroffenen bei einer abgebrochenen Leerfahrt folgt das VG den wohlbegründeten Vorgaben des OVG Münster a.a.O. zu diesem Komplex. Das obiter dictum des Gerichts zum Zurückbehaltungsrecht war hier nicht nur überflüssig, sondern irreführend. In Bundesländern, in denen die PolizeiG es erlauben, die Herausgabe sichergestellter Gegenstände von der Erstattung der Sicherstellungs- und Verwahrungskosten abhängig zu machen (etwa § 46 Abs. 3 Satz 2 PolG NW), besteht ein solches behördliches Zurückbehaltungsrecht, das der Abschleppunternehmer dem Betroffenen im behördlichen Auftrag mitteilen kann (OVG Münster MDR 1984, 519). Dem steht nur ausnahmsweise das Übermaßverbot entgegen (OVG Hamburg NJW 2007, 3513), was in der vorliegenden Konstellation näher zu prüfen wäre. Die pauschale Ablehnung des Zurückbehaltungsrechts ist unzutreffend und es ist weit überzogen, das Interesse an der Zahlung der jedenfalls prima facie durch das Fehlverhalten des Betroffenen verursachten Kosten an der Grenze strafbaren Verhaltens zu verorten.