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Mittelgebühr im Bußgeldverfahren und Verbindlichkeit der Gebührenbestimmung

1. Durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einfachen Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und wenigen Punkten im Fahreignungsregister sind grundsätzlich als unterdurchschnittliche Bußgeldsache anzusehen.

2. Eine vom Gericht zu tolerierende Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts liegt nur vor, wenn sie aufgrund der Umstände des Einzelfalls in Verbindung mit den Bemessungskriterien getroffen worden ist. (Leitsatz des Verfassers)

LG Dresden, Beschl. v. 14.9.20235 Qs 56/23

I. Sachverhalt

Rotlichtverstoß mit 90 EUR Geldbuße

Dem Betroffenen ist in dem Verfahren ein Rotlichtverstoß (§ 37 StVO) mit einem Bußgeld in Höhe von 90,00 EUR zur Last gelegt worden; außerdem drohte die Eintragung von einem Punkt in das Fahreignungsregister. Der Betroffene hat durch seinen Verteidiger gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Die Hauptverhandlung beim AG hat dann 27 Minuten gedauert. Der Betroffene ist freigesprochen worden.

Festsetzung nur in Höhe von 70 % der Mittelgebühr

Der Verteidiger macht dann seine Gebühren geltend, wobei er bezüglich der Grund- und Verfahrensgebühren jeweils 90 % der Mittelgebühr und betreffend der Terminsgebühr 96 % der Mittelgebühr ansetzt. Der Bezirksrevisor hat die Festsetzung der Gebühren jeweils in Höhe von 70 % der jeweiligen Mittelgebühr beantragt. In der Höhe hat das AG dann festgesetzt. Dagegen hat der Verteidiger sofortige Beschwerde eingelegt, die keinen Erfolg hatte:

II. Entscheidung

Gebührenhöhe in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren

Das LG verweist darauf, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeiten mit einfachen Sach- und Rechtsfragen, niedrigen Geldbußen und wenigen Punkten im Fahreignungsregister grundsätzlich als unterdurchschnittliche Bußgeldsache anzusehen, (vgl. LG Dresden RVGreport 2010, 454; Beschl. v. 5.10.2020 – 5 Qs 77/20, AGS 2021, 67; im Ergebnis ebenso LG Hanau RVGreport 2020, 420; LG Osnabrück JurBüro 2020, 246; LG Halle RVGreport 2020, 91; LG Kassel JurBüro 2019, 527). Als angemessene Vergütung in derlei Fällen komme grundsätzlich nicht die Mittelgebühr, sondern eine niedrigere Gebühr in Betracht.

Gebührenbestimmung

Der Verteidiger des Betroffenen habe in Kenntnis dieser ständigen Rechtsprechung der Kammer, die in vergleichbaren Fällen eine Gebührenerstattung in einem Umfang von 70 % der Mittelgebühr vorsehe, 20 % bzw. 26 % hinzuaddiert und vorgetragen, dass bei der Gebührenbemessung das Ermessen in dieser Bußgeldsache berücksichtigt worden sei, indem er gerade nicht die Mittelgebühr in Ansatz gebracht habe. Dabei übersehe der Verteidiger, dass der Toleranzrahmen von 20 % bei der anwaltlichen Bestimmung der billigen Gebühr nach § 14 RVG nicht den Zweck hat, die eindeutig angemessene Gebühr einfach um 20 % zu erhöhen. Eine vom Gericht zu tolerierende Gebührenbestimmung in diesem Sinne liege nur vor, wenn sie aufgrund der Umstände des Einzelfalls in Verbindung mit den Bemessungskriterien getroffen worden ist, (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 26. Aufl. 2023, § 14 Rn 12).

Daran fehle es. Bereits aus dem Verteidigervorbringen ergebe sich, dass sich die Entscheidung nicht mit den Umständen des Einzelfalls, der Bedeutung der Angelegenheit, der Schwierigkeit und des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Betroffenen auseinandergesetzt hat, sondern lediglich unter Berufung auf die Toleranzgrenze ein Aufschlag auf die angemessene Gebühr um 20 % bzw. 26 % vorgenommen worden sei. Eine solche ohne das gebotene Ermessen getroffene Bestimmung sei ermessensfehlerhaft und damit unbillig und nicht verbindlich, auch wenn die geltend gemachten Gebühren die Toleranzgrenze von 20 % teilweise nicht überschreiten sollten.

III. Bedeutung für die Praxis

Hinzuweisen ist auf zwei Punkte:

Ausführungen zur Mittelgebühr falsch

1. Das, was das LG zur Rahmengebühr und zur Mittelgebühr schreibt, ist falsch und wird auch nicht dadurch richtig(er), dass man auf eine falsche ständige Rechtsprechung verweist. Wenn man es liest, möchte man schreien: ich mag nicht mehr. Wegen der Einzelheiten zur richtigen Bemessung u.a. LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 4.5.2023 – 6 Qs 56/23, AGS 2023, 398 und die dortige Anmerkung (s.a. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 54 m.w.N.).

Gebührenbestimmung

2. Zutreffend ist allerdings das, was das LG zur Gebührenbestimmung schreibt. Da muss die Ausübung des Ermessens des Rechtsanwalts erkennbar sein, was hier aber nicht der Fall war. Also bestand keine Bindungswirkung des LG an die vom Verteidiger bestimmten Gebühren, obwohl die Toleranzgrenze zum Teil nicht verletzt war (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1807 ff. m.w.N.).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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