Wird eine Hauptverhandlung ausgesetzt und findet am selben Tag ein neuer Hauptverhandlungstermin statt, entstehen zwei Terminsgebühren. (Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Hauptverhandlung wird wegen Nichterscheinens des Angeklagten ausgesetzt
Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger in einem BtM-Verfahren. In dem ist der Angeklagte zwar zur Hauptverhandlung am 15.3.2022 geladen worden, jedoch ohne Einhaltung der vorgeschriebenen Ladungsfrist. Der Angeklagte war daher nicht anwesend, woraufhin die Hauptverhandlung ausgesetzt wurde. Der Rechtsanwalt, der erschienen war, hat sich wieder in seine Kanzlei begeben.
Am selben Tag dann doch noch Hauptverhandlung
Sodann wurde er kurze Zeit später – nachdem der Angeklagte doch noch erschienen war – telefonisch kontaktiert und gebeten zurückzukommen. Dieser Bitte ist er nachgekommen, sodass das Verfahren wieder aufgenommen und erneut „hauptverhandelt“ wurde. Es kam allerdings zu einer weiteren Aussetzung des Verfahrens, da der Angeklagte seinerseits nicht auf die Einhaltung der Ladungsfristen verzichtete und mit einer Fortführung der Verhandlung nicht einverstanden war. Angesichts dessen später fand am 5.7.2022 ein weiterer Hauptverhandlungstermin statt.
Rechtsanwalt rechnet zweimal die Terminsgebühr ab
Der Kollege hat für den Hauptverhandlungstag am 15.3.2022 zweimal die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG geltend gemacht. Das AG hat nur eine Terminsgebühr gewährt, das LG ist dann auf die Beschwerde dem Ansatz des Rechtsanwalts gefolgt:
II. Entscheidung
Zwei Terminsgebühren an einem Tag …
Nach Auffassung des LG war für den 15.3.2022 zweimal die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG festzusetzen. Zwar sei in Nr. 4108 VV RVG geregelt, dass die Terminsgebühr je „Hauptverhandlungstag“ anfalle, weshalb mehrere Hauptverhandlungstermine in derselben Sache an einem Tag grundsätzlich nur zu einer Terminsgebühr führen (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, VV 4108 Rn 3).
… nach Aussetzung der ersten Hauptverhandlung
Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn eine Hauptverhandlung nach § 228 StPO ausgesetzt werde und noch am selben Tag ein neuer Hauptverhandlungstermin stattfinde, weil der (zum Pflichtverteidiger beigeordnete) Rechtsanwalt auf die Einhaltung der Ladungsfristen verzichtet habe (vgl. AG Cottbus Beschl. v. 4.10.2016 – 72 Ls 1610 Js 19300/12, AGS 2017, 27 = StRR Sonderausgabe 12/2016, 17 = RVGreport 2017, 61). Zu Recht führe das AG Cottbus (a.a.O.) insoweit aus, dass in dieser Konstellation letztlich zwei eigenständige Termine stattfinden, die nur zufällig auf denselben Wochentag gefallen seien. Hätte der neue Hauptverhandlungstermin an einem anderen Tag stattfinden müssen, wäre unzweifelhaft eine weitere Gebühr nach Nr. 4108 VV RVG entstanden. Dem Verteidiger, der zur Beschleunigung des Verfahrens und zur Vermeidung weiterer Kosten (wie z.B. der Fahrtkosten oder Ausfallgeldern) auf die Einhaltung der Ladefristen verzichte und die Durchführung einer erneuten Hauptverhandlung noch am selben Tag ermögliche, hingegen nur eine Terminsgebühr zu erstatten, erscheine unbillig und gebiete es, ausnahmsweise von der Regelung in Nr. 4108 VV RVG (eine Terminsgebühr je Verhandlungstag) abzuweichen.
So auch schon AG Cottbus
Der hier maßgebliche (Verfahrens)Ablauf entspreche in dem entscheidenden Umstand, nämlich dem erneuten Erscheinen des Verteidigers bei Gericht, nachdem die Hauptverhandlung zuvor ausgesetzt worden sei, der Konstellation in der dargelegten Entscheidung des AG Cottbus, mit der dem Verteidiger zu Recht eine weitere Terminsgebühr zuerkannt wurde. Dass (hier) das erneute Erscheinen des Verteidigers am 15.3.2022 vorliegend letztlich nicht dazu geführt habe, dass die Hauptverhandlung an diesem Tag auch beendet werden konnte, sondern erneut ausgesetzt werden musste, ändere an den tragenden Erwägungen nichts Der Verteidiger habe die weitere Aussetzung nicht zu vertreten. Er sei erneut verhandlungsbereit bei Gericht erschienen und das Verfahren sei wieder aufgenommen worden. Die zweite Terminsgebühr sei damit entstanden.
III. Bedeutung für die Praxis
Zutreffend
1. M.E. ist die Entscheidung zutreffend. Zwar scheint – auf den ersten Blick – der Wortlaut der Nr. 4108 VV RVG – „je Hauptverhandlungstag“ – dem entgegen zu stehen. Allerdings lässt sich die hier vom LG Freiburg und früher schon vom AG Cottbus entschiedene Konstellation nicht unter die Formulierung der Nr. 4108 VV RVG fassen. Denn hier handelt es sich nicht (mehr) um einen bzw. gebührenrechtlich um denselben Hauptverhandlungstag, wovon die Nr. 4108 VV RVG ausgeht. Die (erste) Hauptverhandlung war mit der Aussetzung wegen Nichterscheinens des Angeklagten beendet. Später hat dann ein neuer Hauptverhandlungstag mit einem zweiten Hauptverhandlungstermin begonnen (so auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4108 VV Rn 4). Etwas anderes würde gelten, wenn die Hauptverhandlung nur unterbrochen worden wäre. Dann hätte es sich nur um einen Fortsetzungstermin am selben Tag gehandelt, für den die Beschränkung in der Nr. 4108 VV RVG heranzuziehen gewesen wäre. Der dadurch entstandene Mehraufwand hätte der Wahlanwalt über § 14 Abs. 1 Satz RVG geltend machen müssen, der Pflichtverteidiger hätte nur eine Pauschgebühr (§ 51 RVG) beantragen können.
Staatskasse wird nicht belastet
2. Im Übrigen: Die Staatskasse wird durch diese Entscheidung nicht schlechter gestellt bzw. belastet. Denn hätte sich der Rechtsanwalt nicht bereit erklärt, zurückzukommen und erneut zu verhandeln, hätte die Hauptverhandlung an einem anderen Tag neu durchgeführt werden müssen. Dann wäre aber auf jeden Fall eine weitere Terminsgebühr entstanden. Auch das spricht dafür, dass die Entscheidung des LG zutreffend ist. Dass hier dann auch verfahrensimmanenten Gründen ein dritter Hauptverhandlungstermin erforderlich geworden ist, ändert daran nichts.