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VRR-Kompakt 2023_04

Halterhaftung: In Brand geratener Akku

Der Halter eines Elektrorollers haftet nicht, wenn die bereits ausgebaute Batterie bei einer Inspektion während des Aufladens explodiert und eine Werkstatt in Brand setzt. Denn es kann dann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Erhitzung des Akkus und die nachfolgende Explosion in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung standen.

BGH, Urt. v. 23.1.2023 – VI ZR 1234/20

Passieren eines im Einsatz befindlichen Müllfahrzeugs: Fahrverhalten

Beim Vorbeifahren an Müllfahrzeugen im Einsatz muss nicht stets oder in der Regel Schrittgeschwindigkeit oder ein Sicherheitsabstand von 2 m eingehalten werden; maßgeblich sind vielmehr die jeweiligen Umstände des Einzelfalls, u.a. die örtlichen Gegebenheiten und etwaige Wahrnehmungen des Fahrzeugführers. Die Reduzierung der Geschwindigkeit auf 13 km/h kann ausreichend sein. Die Privilegierung des § 35 Abs. 6 StVO begründet keine Befreiung vom allgemeinen Rücksichtnahmegebot des § 1 StVO. Ein Müllwerker, der auf der Fahrbahn einen großen, schweren Müllrollcontainer hinter dem Müllfahrzeug hervorschiebt, ohne auf den Verkehr zu achten, verstößt gegen § 1 Abs. 2 StVO.

OLG Celle, Urt. v. 15.2.2023 – 14 U 111/22

Zusammenstoß Bahn/Pkw: Haftung

Bei einem Zusammenstoß von Kfz und Bahn infolge geöffneter Schranken haftet der Bahnbetreiber im Grundsatz alleine. Eine Mithaftung auf Seiten des beteiligten Pkws kommt nur dann in Betracht, wenn der herannahende Zug für den Kfz-Fahrer erkennbar gewesen ist. Die Beweislast für die optische und/oder akustische Erkennbarkeit eines herannahenden Schienenfahrzeugs für den Straßenverkehr einschließlich der Wahrnehmbarkeit akustischer Warnsignale, hier für ein rechtzeitiges Betätigen des Makrofons durch den Zugführer, liegt bei den beteiligten Eisenbahnunternehmen. Es liegt grundsätzlich ein erhebliches Organisationsverschulden des für die Bahnstrecke verantwortlichen Unternehmens der Deutschen Bahn vor, wenn es an einem Bahnübergang in weniger als einem Monat zu 15 Störungsfällen und schließlich zu einer Kollision zwischen Bahn und Pkw wegen der defekten Bahnübergangssicherungsanlage (BÜSA) deswegen kommt, weil bis zur Klärung der Ursache der Störungsserie keine zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen für den betroffenen Bahnübergang getroffen worden sind.

OLG Celle, Urt. v. 31.1.2023 – 14 U 133/22

Liebesspiel im Parkhaus: Haftung des Parkhausbetreibers

Hatten Unbekannte Sex auf der Motorhaube eines im Parkhaus abgestellten Autos, muss der Parkhausbetreiber nicht für den entstandene Schäden haften. Der Halter des beim Liebesspiel beschädigten Autos kann kein Schadenersatz vom Parkhausbetreiber verlangen, auch wenn dieser das Parkhaus mit Überwachungskameras ununterbrochen beobachten lässt.

LG Köln, Urt. v. 9.1.2023 – 21 O 302/22

Elektronische Übermittlung: Ersatzeinreichung

Der BGH hat entschieden, dass die Erkrankung des Einreichers, wie andere in der Person liegende Gründe, kein technischer Grund nach § 130d Satz 2 ZPO ist, der eine Ersatzeinreichung statt einer elektronischen Übermittlung rechtfertigt.

BGH, Beschl. v. 25.1.2023 – V ZB 7/22

Besorgnis der Befangenheit: Vorbefassung der Ehefrau

Die Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn der abgelehnte Richter als Mitglied des Revisionsgerichts im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen einen Beschluss zu entscheiden hat, mit dem das Berufungsgericht die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen hat, und an diesem Beschluss die Ehefrau des abgelehnten Richters als Berufungsrichterin mitgewirkt hat.

BGH, Beschl. v. 9.2.2023 – I ZR 142/22

Auslieferung: Trunkenheitsfahrt

Bei einem Auslieferungsersuchen zur Vollstreckung wegen einer allein auf der Grundlage der gemessenen Atemalkoholkonzentration abgeurteilten Trunkenheitsfahrt fehlt es an der nach § 3 Abs. 1 IRG erforderlichen beiderseitigen Strafbarkeit, da die Tat nicht nach deutschem Recht strafbar wäre. Eine Strafbarkeit nach § 316 StGB würde tatbestandlich in objektiver Hinsicht eine absolute Fahruntüchtigkeit voraussetzen, also eine für den Tatzeitpunkt festgestellte Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 o/oo. Die gemessene Atemalkoholkonzentration allein bietet für eine solche Feststellung keine ausreichende Grundlage.

OLG Celle, Beschl. v. 22.2.2023 – 2 AR (Ausl) 45/22

Absehen vom Fahrverbot: Zeitablauf

Bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren zwischen Tat und Urteil bedarf es besonderer Umstände für die Annahme, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist.

OLG Hamm, Beschl. v. 17.1.2023 – III-5 RBs 331/22

Abweichungen von der Bedienungsanleitung: Auswirkungen

Nicht jede Abweichung von der Bedienungsanleitung nimmt einer Messung den Charakter als standardisiertes Messverfahren. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn einer vorgeschriebenen Dokumentation keine eigenständige Bedeutung für die Integrität des Messvorgangs zukommt (hier: Datum der durch die Konformitätserklärung gesondert nachgewiesenen Konformitätsbewertung).

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.2.2023 – 2 ORbs 35 Ss 4/23

Wiedereinsetzung: Ausschöpfung der Frist

Wer eine Rechtsmittelfrist versäumt, weil er am Tag des Fristablaufs erkrankt ist, kann Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand haben. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte erneut, dass einem Betroffenen nicht vorgeworfen werden darf, dass er eine Frist bis zum letzten Tag ausschöpfen wollte. Die Verweigerung der Wiedereinsetzung verletzt ansonsten den Betroffenen in seinen Rechten auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör.

BVerfG, Beschl. v. 14.2.2023 – 2 BvR 653/20

Vertretung des Betroffenen: Unterbevollmächtigter Verteidiger in der Hauptverhandlung

Eine Vertretung des Betroffenen in der Hauptverhandlung im Sinne der §§ 73 Abs. 3, 79 Abs. 4 OWiG setzt den Nachweis der Vertretungsvollmacht voraus. Im Falle einer Untervertretung genügt es hierfür nicht, wenn zwar eine vom Wahlverteidiger dem Untervertreter erteilte Vollmacht zu den Akten gelangt ist, aber keine dem Wahlverteidiger erteilte Vertretungsvollmacht nachgewiesen ist.

BayObLG, Beschl. v. 6.1.2022 – 202 ObOWi 1110/22

Einspruch gegen den Bußgeldbescheid: Einlegung mittels E-Mail

Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid kann nicht mittels einfacher E-Mail eingelegt werden

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.2.2023 – 2 ORbs 35 Ss 4/23

Pflichtverteidiger: Bußgeldverfahren

Dem Betroffenen ist auch im Bußgeldverfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalls das erfordern. Das ist ausnahmsweise dann der Fall, wenn bereits eine erste Verurteilung des Betroffenen ist auf seine Rechtsbeschwerde vom OLG hin aufgehoben worden ist und die durchzuführende Hauptverhandlung sich maßgeblich an den Ausführungen des OLG zu orientieren hat, wobei die insoweit gebotene Auseinandersetzung mit den optischen Fehlerquellen einer Messung namentlich unter Berücksichtigung der Sichtverhältnisse und die juristische Bewertung der Messmethode von einem juristischen Laien nicht erwartet werden kann.

LG Oldenburg, Beschl. v. 3.3.2023 – 6 Qs 61/23

Neuerteilung einer Fahrerlaubnis: MPU

Der durch § 11 Abs. 8 FeV erlaubte Schluss auf die Nichteignung, der zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hat, bedeutet zugleich, dass im Neuerteilungsverfahren ein medizinisch-psychologisches Gutachten angefordert werden darf. Der Rückgriff auf eine bestandskräftige Entziehungsentscheidung stellt auch dann keinen mittelbaren Verstoß gegen das Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG a.F. dar, weil der im Fahreignungsregister gespeicherten Entziehung teilweise derselbe Sachverhalt zugrunde lag, wie der nicht mehr gespeicherten Ordnungswidrigkeit wegen der Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis.

BayVGH, Urt. v. 18.1.2023 – 11 B 22.1153

Abgesprochener Strafbefehl: Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG

Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschl. v. 20.5.2009 – 2 Ws 132/09), fest, dass die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nicht anfällt, wenn der Verteidiger den Verurteilten dahingehend berät, ein den Rechtszug beendendes Urteil oder den erlassenen Strafbefehl hinzunehmen und nicht dagegen vorzugehen. Dabei ist es unerheblich, ob von Anfang an übereinstimmend das Strafbefehlsverfahren gewählt wird oder die Staatsanwaltschaft zunächst Anklage erhoben hat und dann entweder durch Rücknahme der Anklage oder gemäß § 408a StPO zum Strafbefehlsverfahren übergegangen wird.

OLG Nürnberg, Beschl. v. 7.3.2023 – Ws 139/23

Mittelgebühr: Eintragung im FAER

Unabhängig von der Frage, ob Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten generell oder in bestimmten Fällen zu einer geringeren Gebühr führen müssen, weil es sich um unterdurchschnittliche Angelegenheiten handelt, ist das jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister droht.

AG Kaufbeuren, Urt. v. 3.3.2023 – 4 C 1117/22

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