Ein durch § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO verbotenes Verwenden der zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen bestimmten Funktion eines technischen Geräts, das auch zu anderen Nutzungszwecken verwendet werden kann, liegt auch dann vor, wenn ein anderer Fahrzeuginsasse mit Billigung des Fahrzeugführers auf seinem Mobiltelefon eine App geöffnet hat. mit der vor Verkehrsüberwachungsmaßnahmen gewarnt wird. (Leitsatz des Gerichts)
I. Sachverhalt
Smartphone mit Blitzer-App von Beifahrerin aktiviert
Das AG hat den Betroffenen wegen vorsätzlichen Mit-Sich-Führens eines betriebsbereiten technischen Geräts, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen, zu der Geldbuße verurteilt. Er fuhr einen Pkw mit teilweise deutlich überhöhter Geschwindigkeit und unterließ mehrfach den gebotenen Einsatz des Fahrtrichtungsanzeigers. Dabei wusste er, dass auf dem in der Mittelkonsole abgelegten Mobiltelefon seiner Beifahrerin die App „Blitzer.de“ geöffnet war. Nach dem Anhalten schob er bewusst das Mobiltelefon zur Seite geschoben, was das AG als Aufhänger für den Vorsatz des Betroffenen benutzt hat. Die zugelassene Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit der Maßgabe verworfen, dass der Betroffene des vorsätzlichen Verwendens der Funktion eines auch zu anderen Nutzungszwecken verwendeten technischen Geräts zur Anzeige von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen schuldig ist.
II. Entscheidung
§ 23 Abs. 1c Sätze 1 und 2 StVO nicht einschlägig
Die getroffenen Feststellungen tragen allerdings nicht eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1c Sätze 1 und 2 StVO. Bei dem vom Betroffenen verwendeten Geräte, einem Smartphone, auf dem die App „Blitzer.de“ aktiviert war, handele es sich nicht um ein Gerät, dass dazu bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen. Es handele sich vielmehr um ein Gerät, dass neben anderen Nutzungszwecken auch zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen verwendet werden kann. Daher unterfalle das Smartphone mit der aktivierten App „Blitzer.de“ nicht § 23 Abs. 1c Sätze 1 und 2 StVO, sondern § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO (König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 46. Aufl. 2021, § 23 StVO Rn 36). Diese Differenzierung, die erst mit der Änderung von § 23 Abs. 1c StVO durch die 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.4.2020 (BGBl I S. 814) entstand, liege dem „alten“ § 23 Abs. 1b StVO noch nicht zugrunde, weshalb die bisherigen Entscheidungen zu § 23 Abs. 1b StVO a.F. diese Differenzierung noch nicht getroffen hätten (OLG Celle NJW 2015, 3733 = VRR 12/2015, 14 [Burhoff]; OLG Rostock DAR 2017, 718 = VRR 4/2017, 16 [Burhoff]).
Verwenden gem. § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO liegt vor
Es liege allerdings ein vorsätzlicher Verstoß gegen § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO vor. Ein solcher Verstoß setze nicht voraus, dass die Funktion zur Anzeige von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen vom Fahrzeugführer selbst aktiviert worden ist. Die Einführung des § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO sei durch eine Initiative der Bundesministerien für Verkehr und digitale Infrastruktur, für Wirtschaft und Energie und für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit angestoßen worden, die ursprünglich nur vorsah, die Regelung in § 23 Abs. 1c Satz 1 StVO dahin zu ergänzen, dass das verwendete technische Gerät zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen bestimmt ist oder – so der Ergänzungsvorschlag – „verwendet werden kann“. Damit habe klargestellt werden sollen, dass von der Regelung auch Navigationsgeräte oder Mobiltelefone mit sogenannten Blitzer-Apps erfasst sind (BR-Drucks 591/19 S. 5 und 79 f.). Die dann beschlossene Änderung durch Einführung des § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO sei damit begründet, dass mit dem ursprünglichen Vorschlag auch Geräte erfasst gewesen wären, auf denen die entsprechenden Funktionen deaktiviert sind. Der Bundesrat habe in der Begründung zu diesem Änderungsvorschlag abschließend ausgeführt: „Es wird daher vorgeschlagen, das vorgesehene Verbot auf die Nutzung [Hervorhebung durch den Senat] der entsprechenden Gerätefunktionen (zum Beispiel entsprechende Smartphone-Applikationen) zu begrenzen“ (BR-Drucks 591/19 (Beschluss) S. 6). Unter Berücksichtigung dieser Entstehungsgeschichte stehe deshalb außer Zweifel, dass die Tathandlung des „Verwendens“ in § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO kein eigenes aktives Tätigwerden des Fahrzeugführers im Umgang mit dem technischen Gerät bzw. der darin enthaltenen verbotenen Funktion voraussetzt, sondern vielmehr jedes Handeln genüge, mit dem dieser sich die verbotene Funktion zunutze macht. Erfasst werde deshalb auch die Nutzung der auf dem Mobiltelefon eines anderen Fahrzeuginsassen installierten und aktivierten Funktion (ebenso König a.a.O., § 23 StVO Rn 36), wie sie sich aus den vorliegend getroffenen Feststellungen ergebe.
III. Bedeutung für die Praxis
Zutreffend
Zutreffend führt das OLG aus, dass durch die Rechtsänderung mit Wirkung zum 28.4.2020 nunmehr § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO für solche Fälle einschlägig ist und daher auf ältere Rechtsprechung nicht mehr uneingeschränkt zurückgegriffen werden kann. Überzeugend führt das OLG im Rahmen der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstmalig weiter aus, dass es beim Verwenden der Gerätefunktion der „Blitzer-App“ nicht darauf ankommt, wer Eigentümer des Geräts ist, wer die App geöffnet und wer das Gerät in der Mittelkonsole, also für den Fahrer sichtbar, abgelegt hat. Entscheidend ist die Benutzung der sich aus der App ergebenden Daten durch den Fahrer. Indiz für das Verwenden sind wie hier tatsächlich überhöhte Geschwindigkeiten sowie das Beiseiteschieben des Smartphones bei der Kontrolle. In anderen Fällen dürfte der Nachweis des Verwendens weitaus schwieriger sein (näher Burhoff/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahrens, 6. Aufl. 2021, Rn 3004 ff, 3011, 3016).