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Fernbleiben in der Hauptverhandlung nach Auskunft des Verteidigers zur Nicht-Erscheinenspflicht

Es liegt nicht in der Entscheidungskompetenz des Verteidigers, dem Betroffenen zu „gestatten“ an einem Hauptverhandlungstermin wegen einer vom Betroffenen für möglich gehaltenen Corona-Infektion ohne objektiven Nachweis fern zu bleiben. Das Vertrauen des Betroffenen auf die Richtigkeit dieser Auskunft des Verteidigers ist nicht geschützt. (Leitsatz des Verfassers)

OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.9.20221 OLG 53 Ss-OWi 378/22

I. Sachverhalt

Mögliche Corona-Infektion führt zum Fernbleiben des Betroffenen

Dem Betroffenen wurde eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen. Nach Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid, der u.a. auch ein Fahrverbot enthielt, bestimmte das AG Termin zur Hauptverhandlung auf den 28.4.2022, 11:15 Uhr. Mit Schriftsatz seines Verteidigers, der per beA am Terminstag um 09:53 Uhr beim AG einging, beantragte der Betroffene die Aufhebung des Termins, weil sich bei ihm am Vortag typische Symptome einer Corona-Erkrankung (Halsbeschwerden, Schnupfen, Fieber) eingestellt hätten. Der Verteidiger fügte seinem Schriftsatz den Ausdruck eines E-Mail-Schriftwechsels mit dem Betroffenen vom selben Tag bei, in dem er ihm u.a. mitgeteilt hatte, dass er nicht an dem Termin teilnehmen könne und dies auch nicht müsse. Das AG führte gleichwohl den Hauptverhandlungstermin durch und hat den Einspruch des Betroffene gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Der Betroffene sei dem Hauptverhandlungstermin ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben. Die behauptete Covid-19-Erkrankung sei nicht durch geeignete Nachweise glaubhaft gemacht worden. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Rechtsbeschwerde schon unzulässig

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig angesehen, weil die gegen das Verwerfungsurteil erhobene Verfahrensrüge nicht in den Erfordernissen der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügender Form ausgeführt worden sei. Es fehle bereits an einer vollständigen Mitteilung der Urteilsgründe.

Keine Nachforschungspflicht

Ungeachtet dessen hätte aber – so das OLG – die Verfahrensrüge auch in der Sache keinen Erfolg (gehabt). Das OLG bezieht sich insoweit auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft, die eine Nachforschungspflicht des Amtsrichters betreffend die geltend gemachten Entschuldigungsgründe verneint hatte, weil dem AG keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht worden seien, die einer Überprüfung durch das Gericht zugänglich gewesen seien. Denn in der Mitteilung an seinen Verteidiger erkläre der Betroffene lediglich, er leide an Symptomen, die er mit einer COVID-19-Erkrankung in Zusammenhang bringe. Er habe jedoch nicht mitgeteilt, dass er sich – was angesichts der zum relevanten Zeitpunkt jedermann problemlos zur Verfügung stehenden und anzuwendenden Testsysteme zu erwarten gewesen wäre – einen Selbsttest mit einem Positivergebnis unterzogen habe. Auch wäre es ihm trotz seiner Symptome offensichtlich möglich gewesen, eine Arztpraxis zum Zwecke der Ausstellung eines seine Infizierung bestätigenden Attestes aufzusuchen. Von dieser Möglichkeit habe er nach seiner Mitteilung nur deshalb keinen Gebrauch gemacht, weil er nicht in einer Arztpraxis „rumsitzen“ wollte. Auf die – letztlich nicht verifizierbare – bloße Behauptung des Betroffenen, er sei erkrankt, musste und durfte sich das AG bei seiner Entscheidung über die Verwerfung des Einspruchs mithin nicht verlassen, sodass die Verwerfung des Einspruchs nicht zu beanstanden ist.

Verteidiger hat seine Entscheidungskompetenz überschritten

Diese Ausführungen hat sich das OLG angeschlossen und den dagegen vorgebrachten Einwänden des Betroffenen eine Absage erteilt. Soweit der Betroffene die Auffassung vertrete, nicht der sichere und attestierte Nachweis einer Corona-Erkrankung habe Priorität, sondern die besondere Selbstverantwortung jedes Einzelnen bei selbst festgestellten Symptomen, könne sich der Senat dem für die Teilnahme des Betroffenen an einem innerhalb eines gegen ihn gerichteten justiziellen Verfahrens angesetzten Termin nicht anschließen. Insoweit seien die Belange der öffentlichen Gesundheitsvorsorge und der Justiz gegeneinander abzuwägen und in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu setzen. Diese Abwägung führe nicht dazu, dass ein gerichtlich angesetzter Termin im Bußgeldverfahren allein auf den Vortrag des Betroffenen zu einer persönlich für möglich gehaltenen Infektion ohne objektiven Nachweis aufzuheben wäre. Dass der Verteidiger in Verkennung der Rechtslage den Betroffenen ausdrücklich angewiesen habe, der Hauptverhandlung fernzubleiben, habe ebenfalls nicht zu einer Entschuldigung dessen Nichterscheinens zu führen. Der Betroffene habe keinerlei Veranlassung gehabt, auf die Richtigkeit dieser Anweisung zu vertrauen – die Entscheidung dieser Frage lag offensichtlich nicht in der Entscheidungskompetenz des Verteidigers.

III. Bedeutung für die Praxis

Vertrauen auf die Auskunft war geschützt

1. Man kann sicherlich über das Vorgehen und das Verhalten des Betroffenen streiten. Man kann sicherlich auch darüber streiten, ob es eine Verpflichtung gibt, im privaten Bereich Corona-Tests einzusetzen. Jedenfalls hätte das OLG darlegen können, wenn nicht müssen, woraus sich die Verpflichtung ergeben soll. Worüber man m.E. aber nicht streiten kann, ist der Umstand, dass der Betroffene der Auskunft seines Verteidigers vertraut hat und u.a. auch deshalb dem Hauptverhandlungstermin fern geblieben ist. Dabei spielt dann auch die knappe Zeit – Mitteilung am Hauptverhandlungstag – eine Rolle. Was soll der Verteidiger denn dann anderes tun, als dem Betroffenen zu raten, dem Hauptverhandlungstermin fern zu bleiben, zumal in Pandemiezeiten. Und was soll der Betroffene anderes tun, als auf diese Auskunft zu vertrauen. Das ist m.E. „offensichtlich“ und nicht die vom OLG verneinte Entscheidungskompetenz des Verteidigers. Alles in allem: Nicht nachvollziehbar (s. auch Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., 2019, Rn 1488 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung).

Sachrüge

2. Nicht nachvollziehbar ist der Hinweis des OLG auf den fehlenden Vortrag der Urteilsgründe. Denn der Betroffene hatte auch die Sachrüge erhoben, die dem OLG den Zugriff auf die Urteilsgründe ermöglicht.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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