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VRR-Kompakt 2023_01

Unfallschadenregulierung: Zumutbare ersatzweise Nutzung

Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der vorübergehenden Entziehung der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs besteht nicht, wenn dem Geschädigten ein weiteres Fahrzeug zur Verfügung steht, dessen ersatzweise Nutzung ihm zumutbar ist. Die Unzumutbarkeit der Nutzung des weiteren Fahrzeugs lässt sich nicht mit dem Argument begründen, dass das Fahrzeug, dessen Nutzung vorübergehend entzogen ist, gegenüber dem Zweitfahrzeug eine höhere Wertschätzung des Geschädigten erfahre, etwa weil ihm ein höheres Prestige zukomme, es ein anderes Fahrgefühl vermittle oder den individuellen Genuss erhöhe.

BGH, Urt. v. 11.10.2022 – VI ZR 35/22

Straßenbauarbeiter: Verkehrsteilnehmer

Ein Straßenbauarbeiter, der auf der für den fließenden Verkehr freigegebenen Fahrbahn Markierungsarbeiten ausführt, ist als Verkehrsteilnehmer i.S.v. § 1 StVO anzusehen. Ein Straßenbauarbeiter, der Markierungsarbeiten verrichtet, ist kein Fußgänger i.S.v. § 25 StVO.

OLG Celle, Urt. v. 16.11.2022 – 14 U 87/22

Räum- und Streupflicht: Ernsthafte lokale Glättegefahr

Eine winterliche Räum- und Streupflicht kann nicht nur bei allgemeiner Glätte, sondern auch bei einer ernsthaften lokalen Glättegefahr bestehen. Ob eine ernsthafte lokale Glättegefahr besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei kommt es stets auf den Pflichtenmaßstab an, der an den primär Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen ist, der den Verkehr auf der in Rede stehenden Fläche eröffnet hat. Dieser Maßstab gilt auch für einen Dritten, auf den der primär Verkehrssicherungspflichtige die Räum- und Streupflicht übertragen hat.

KG, Urt. v. 6.12.2022 – 21 U 56/22

Vorteilsausgleich: Schätzung der Nutzungsentschädigung

Die auf den Schaden des nach § 826 BGB geschädigten Fahrzeugkäufers im Wege des Vorteilsausgleichs für den Gebrauch des Fahrzeugs anzurechnende Nutzungsentschädigung kann im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO ermittelt werden, indem der für das Fahrzeug gezahlte Bruttokaufpreis durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt geteilt und dieser Wert mit den gefahrenen Kilometern multipliziert wird. Von dem Bruttokaufpreis ist im Rahmen dieser Berechnungsmethode auch dann auszugehen, wenn der Käufer vorsteuerabzugsberechtigt ist (entgegen OLG Köln, Urt. v. 8.12.2021 – 11 U 73/21 und OLG Hamm, Urt. v. 5.7.2021 – 8 U 201/20).

OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.12.2022 – 8 U 282/21

Anspruchsübergang gemäß § 116 SGB X: Zeitpunkt des Übergangs

Hinsichtlich des Zeitpunkts des Anspruchsübergangs gemäß § 116 SGB X ist zu differenzieren. Maßgeblich für die Differenzierung ist der Grund der Leistungserbringung und nicht der Träger der Leistung. Bei Sozialleistungen, die aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses zu erbringen sind, findet der in § 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang in aller Regel bereits im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses statt, sofern das Versicherungsverhältnis schon zu diesem Zeitpunkt besteht. Bei Sozialleistungen, deren Gewährung nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses, sondern an andere Voraussetzungen gebunden ist, ist für den Rechtsübergang erforderlich, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist.

BGH, Urt. v. 18.10.2022 – VI ZR 1177/20

Rettungskostenersatz: Ausweichen eines Motorradfahrers vor Rehwild

Hat ein Motorradfahrer beim Einfahren in eine Rechtskurve aus geringer Entfernung Rehe wahrgenommen, die sich in unmittelbarer Nähe des rechten Straßenrandes hinter einem Busch befinden, und gerät er beim anschließenden Versuch, nach links auszuweichen, von der Straße ab, kann eine objektiv gebotene Rettungshandlung vorliegen und der Teilkaskoversicherer gehalten sein, dadurch entstandene Schäden am Fahrzeug und an der Kleidung des Fahrers als Aufwendungen zur Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles zu ersetzen.

OLG Saarbrücken, Urt. v. 23.11.2022 – 5 U 120/21

Verbotenes Kraftfahrzeugrennen: Polizeiflucht

In sog. Polizeiflucht-Fällen verwirklicht der verfolgte Kraftfahrzeugführer zwar möglicherweise den Tatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens in der Alternative des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB (Einzelrennen), eine Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen i.S.d. § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt jedoch mangels Wettbewerbscharakters und konkludenter Rennabsprache nicht vor.

OLG Oldenburg, Urt. v. 14.11.2022 – 1 Ss 199/22

Verbotenes Rennen: Begriff des Rennens

Demonstrationen individuellen Fahrkönnens werden bereits begrifflich nicht als Rennen im Sinn des § 315d StGB erfasst, es sei denn, es geht auch hier um die Erzielung von Bestzeiten, Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten.

AG Hamburg-Bergedorf, Beschl. v. 29.11.2022 – 419a S 17/22

Zustellung des Strafbefehls: Zustellungsbevollmächtigter in der EU

Die Zustellung eines Strafbefehls an einen Zustellungsbevollmächtigten kann die Frist zur Einlegung eines Einspruchs nach § 410 Abs. 1 StPO nicht in Gang setzten, wenn der Adressat seinen Wohnsitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union hat. Bei der Zustellung eines Strafbefehls an einen Zustellungsbevollmächtigten kommt es für die Frist des § 410 Abs. 1 StPO auf den tatsächlichen Zugang des Strafbefehls beim Empfänger an, wenn dieser seinen Wohnsitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union hat.

LG Heilbronn, Beschl. v. 14.11.2022 – 2 Qs 91/22

Fahrerlaubniserteilung: Rückgängigmachung

Auch in einem Fall, in dem die Fahrerlaubnisbehörde annimmt, dass schon bei Erteilung der Fahrerlaubnis die Eignung oder Befähigung des Fahrerlaubnisbewerbers fehlten, beurteilt sich die Frage der Rückgängigmachung der Fahrerlaubniserteilung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG. Allgemeine verwaltungsrechtliche Grundsätze sind in einem solchen Fall dagegen nicht anwendbar.

VG Schleswig, Beschl. v. 17.10.2022 – 3 B 90/22

Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG: Gebührenhöhe

Die Befriedungsgebühr bemisst sich bei einer Beendigung des Verfahrens im vorbereitenden Verfahren nicht nach Nr. 4104 VV RVG, sondern danach, welches Gericht mit dem Verfahren befasst worden wäre, wenn sich das Verfahren nicht erledigt hätte.

AG Oldenburg (Oldb), Beschl. v. 17.11.2022 – 28 Gs 1204 Js 38031/20 (3373/21)

Aktenversendungspauschale: Übersendung von Fotokopien zum Verbleib

Die Aktenversendungspauschale nach KV 9003 GKG kann nur erhoben werden, wenn eine Rücksendepflicht besteht. Bei Übersendung von Fotokopien eines Teils oder aber der gesamten Akte zum Verbleib fällt neben den Schreibauslagen daher keine Aktenversendungspauschale an.

AG Langenberg, Beschl. v. 8.11.2022 – 1 Cs 36 Js 543/22

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