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Fahruntüchtiger Sozius auf E-Scooter

Fahren zwei Personen auf einem E-Scooter und hält sich der absolut fahruntüchtige Sozius mit am Lenker fest, begeht er eine Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB. (Leitsatz des Verfassers)

LG Oldenburg, Beschl. v. 7.11.20224 Qs 368/22

I. Sachverhalt

Sozius auf E-Scooter

Der Beschuldigte befuhr als Sozius auf einem E-Scooter einen Radweg in unzulässiger Richtung. Er befand sich auf dem E-Scooter hinter dem Fahrer und hielt sich trotz seiner auf dem Roller hinteren Position mit am Lenker fest. Eine Blutentnahme ergab für den Beschuldigten eine Blutalkoholkonzentration von 1,2 Promille. Das AG hat ihm vorläufig die Fahrerlaubnis. Seine Beschwerde ist erfolglos geblieben.

II. Entscheidung

„Führen“ eines Kfz …

Gegen den Beschuldigten bestehe der dringende Tatverdacht einer Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB. Der Beschuldigte habe den E-Scooter zur Tatzeit „geführt“ i.S.d. § 316 StGB. Nach Rechtsprechung des BGH (BGHSt 35, 390, 393 = NJW 1989, 723) sei Führer eines Fahrzeugs derjenige, der sich selbst aller oder wenigstens eines Teiles der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeuges bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind, also das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt. Danach sei Führer eines Fahrzeuges nicht nur derjenige, der alle für die Fortbewegung des Fahrzeugs erforderlichen technischen Funktionen ausübt, sondern auch, wer nur einzelne dieser Tätigkeiten vornimmt, jedenfalls solange es sich dabei um solche handelt, ohne die eine zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr unmöglich wäre (wie z.B. das Bremsen oder Lenken).

… auch beim Sozius auf E-Scooter mit Festhalten am Lenker

Diese Voraussetzungen würden durch das Verhalten des Beschuldigten erfüllt. Der Beschuldigte habe eingeräumt, dass er „die Hände am Lenker“ gehabt habe und diesen „festhielt“, wobei er allerdings „keine Lenkbewegungen“ ausgeführt habe. Allein das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters während der Fahrt durch einen Sozius stelle – unabhängig von aktiven Lenkbewegungen nach links oder rechts, um eine Kurve zu fahren – ein Lenken des Fahrzeugs und damit das „Führen“ eines Fahrzeugs i.S.d. § 316 StGB dar. Denn das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters führe dazu, dass dieser in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt wird: nämlich geradeaus. Dieses In-der-Spur-Halten des E-Scooters ist ein genuiner Lenkvorgang, weil ein kontrolliertes Fortbewegen des E-Scooters durch den Verkehrsraum, wenn beide Personen auf dem Roller sich am Lenker festhalten, nur durch ein Zusammenwirken durch beide Fahrer möglich ist. Das bedeute auch, dass der E-Scooter in einer Art „Mittäterschaft“ von beiden Fahrern gleichzeitig geführt wird. Dass nach der Einlassung des Beschuldigten lediglich der vordere Fahrer Einfluss auf die Geschwindigkeit gehabt habe, sei nach der vorstehenden Rechtsprechung des BGH ohne Belang. Denn ein „Führen“ des Fahrzeugs könne hiernach auch dann vorliegen, wenn einzelne Bedienfunktionen – wie hier das Geradeauslenken – aufgeteilt werden. Dass sich der Beschuldigte nach den Ausführungen der Beschwerdebegründung über die Strafbarkeit der Handlung geirrt habe, stelle einen vermeidbaren Verbotsirrtum dar. Die Kammer würde ein Festhalten am Lenker eines E-Scooters auch dann als Lenken des Fahrzeuges einordnen, wenn der Sozius den Verkehr selbst gar nicht wahrnehmen kann, weil der vordere Fahrer des E-Scooters deutlich größer ist und der Sozius über diesen nicht hinwegsehen kann. Denn das Festhalten des Lenkers eines E-Scooters während der Fahrt sorge – unabhängig von der Beobachtungsmöglichkeit des Verkehrs – für ein In-der-Spurhalten. Ein solches Verhalten stellte hernach vielmehr eine Geradeausfahrt im „Blindflug“ dar. Diese Bewertung halte auch dem Vergleich mit einem Sozius auf einem Kraftrad stand, welcher mangels eigenverantwortlicher Übernahme einer für die Fahrbewegung notwendigen technischen Teilfunktion nicht als „Führer“ eines Kraftrades angesehen wird (BGH, NZV 1990, 157). Denn anders als der Soziusfahrer eines Kraftrades beeinflusse der Soziusfahrer eines E-Scooters, der sich an der Lenkstange festhält, die Fahrtrichtung des Fahrzeugs unmittelbar. Vergleichbar mit dem Soziusfahrer eines Kraftrades wäre der Soziusfahrer eines E-Scooters nach Überzeugung der Kammer lediglich dann, wenn er sich – wie im Regelfall der Soziusfahrer eines Kraftrades – an seinem Vordermann festhielte (etwa am Bauch). Diese Einordnung stehe auch mit dem Sinn und Zweck des § 316 StGB in Einklang. Denn diese Vorschrift schütze als abstraktes Gefährdungsdelikt u.a. das Universalinteresse an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs gegen verkehrsinterne Bedrohungen von fahruntüchtigen Fahrzeugführern. Die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs werde durch die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit eines fahruntüchtigen Sozius auf einem E-Scooter, der sich an dem Lenker festhält, erheblich gefährdet, weil er durch bewusste oder unbewusste Lenkbewegungen – sei es durch Zur-Seite-lenken oder Geradeauslenken – Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern hervorrufen kann, wenn er hierdurch den Lenkbewegungen des anderen Fahrers entgegenwirkt oder diese – bewusst oder unbewusst – verstärkt.

Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB

Es liege auch ein Regelfall nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor. Der bloße Umstand, dass eine Trunkenheitsfahrt im Sinne des § 316 StGB mittels eines „E-Scooters“ erfolgt, rechtfertige keine Abweichung von der Regelwirkung des § 69 Abs. 2 StGB (BayObLG NZV 2020, 582 = VRR 10/2020, 15 = StRR 1/2021, 35 [jew. Deutscher]; LG München DAR 2020, 111). Diese Regelvermutung könne im Einzelfall zwar widerlegt sein. Dies gleichsam pauschal beim Führen eines E-Scooters anzunehmen, widerspräche dem durch den Gesetzgeber festgelegten Regel-Ausnahme-Verhältnis. Besondere Gründe, welche die Regelvermutung aus § 69 Abs. 2 StGB widerlegen könnten, lägen nicht vor (wird ausgeführt).

III. Bedeutung für die Praxis

Vertretbar, aber nicht zwingend

1. Bei E-Scootern handelt es sich um Kfz i.S.d. § 316 StGB (LG Wuppertal NZV 2022, 444 [Krenberger]; zu E-Fahrrädern OLG Karlsruhe DAR 2020, 579 = VRR 9/2020, 15 / StRR 9/2020, 28 [jew. Deutscher]).

2. Der Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit liegt auch für E-Scooter bei 1,1 Promille und nicht wie bei Fahrrädern erst bei 1,6 Promille (BayObLG a.a.O.; s.a. BGH DAR 2021, 397 = StRR 9/2021, 23 [Burhoff]).

3. Zwingend sind die Ausführungen des LG zum Führen des E-Scooters durch den sich an der Lenkstange festhaltende Sozius nicht. Zwar ist das bei einer Aufgabenteilung (der eine steuert, der andere bedient die Pedale) angenommen worden von BGHSt 36, 343 = NJW 1990, 1245. Eine solche Aufteilung hat es hier nicht gegeben. Vielmehr blieb die Steuerungshoheit beim Fahrer, zumal es sich um ein bloßes Festhalten am Lenker handelte, nicht um einen zielgerichteten Eingriff des Beschuldigten in die Fahrweise. Letztlich tragfähig ist die Ansicht des LG nur auf dem Hintergrund des § 8 eKFV, der die Personenbeförderung bei E-Scootern untersagt und damit gerade die sich aus der Bauart solcher Kfz ergebenden Gefahren verhindern will wie etwa die mangelnde Festhaltemöglichkeit eines Sozius, der dann auf die Lenkstange zurückgreift. Angesichts dessen ist auf eine abschließende obergerichtliche Entscheidung zu hoffen.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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