Beitrag

Die Drogenfahrt aufgrund Einwirkung von Betäubungsmitteln als Straftat gemäß §§ 316, 315c StGB

Dem Praktiker im Verkehrsrecht wird nicht entgangen sein, dass die Bearbeitung von Mandaten mit der Verknüpfung von Betäubungsmitteln und Straßenverkehrsteilnahme zum Tagesgeschäft geworden ist. Tätern einer Drogenfahrt droht je nach Betäubungsmittel und Blutbefund (Wirkstoffmenge einer Droge im Blut) ein fahrerlaubnisrechtliches Verwaltungsverfahren vor der zuständigen Führerscheinstelle (Fragen der Kraftfahreignung als solche), mindestens ein Bußgeldverfahren gemäß § 24a Abs. 2 bis 5 StVG und je nach örtlicher Gepflogenheit ein Strafverfahren wegen Verstoß gegen § 29 BtMG.

Der nachfolgende Beitrag ist jedoch allein dem größten anzunehmenden Unfall der Drogenfahrt gewidmet: Dem Strafverfahren wegen §§ 315c, 316 StGB. Dies droht für den Fall, dass die Strafverfolgungsbehörden davon ausgehen, der Fahrer sei beim Führen des Kraftfahrzeuges rauschmittelbedingt fahruntüchtig gewesen.

I.

Fahruntüchtigkeit durch andere berauschende Mittel

Die Straftatbestände des § 316 und § 315c StGB setzen die rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit voraus. Fahruntüchtig ist, wer nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen (Hentschel/Krumm, Fahrerlaubnis Alkohol/Drogen, 2018, 1. B. Rn 227). Für die Straßenverkehrsgefährdung kommt die rauschmittelbedingte Gefährdung des § 315c Abs. 1 am Ende StGB hinzu. Im Gegensatz zur Alkoholfahrt ist hier als Besonderheit zu beachten: Eine absolute Fahruntüchtigkeit gibt es nicht.

Berauschende Mittel sind in ihren Auswirkungen denen des Alkohols vergleichbar, indem sie zu einer Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens und der intellektuellen sowie motorischen Fähigkeiten führen. Anknüpfungspunkt ist der Rauschbegriff. Dieser beschreibt eine physiologisch wirksame, vorübergehende Beeinflussung der Gehirntätigkeit im Sinne einer subjektiv wahrnehmbaren Veränderung der Entstehung, Wahrnehmung, des Empfindens oder Verarbeitens von Reizen. Eine bloß generelle Eignung zur Beeinträchtigung des Bewusstseins oder der Reaktionsfähigkeit genügt deshalb nicht. Medikamente ohne Rauschwirkung sind deshalb nicht erfasst, diese müssen also berauschende Substanzen enthalten. (MüKoStGB/Pegel, 4. Aufl. 2022, StGB § 316 Rn 11).

Der Praktiker wird regelmäßig mit typischen Rauschmitteln wie THC, Amphetaminen, MDMA, Ecstasy, Kokain usw. konfrontiert sein. Aber auch Medizinalcannabis oder bestimmte, ärztlich verordnete Substitute früherer Rauschmittelsüchtiger und andere Medikamente sind nicht selten. Dabei ist zu beachten, dass sogar die ordnungsgemäße Einnahme von Medikamenten einschließlich Medizinalcannabis die Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt oder Straßenverkehrsgefährdung nicht grundsätzlich hindert. Für die Verwirklichung des Tatbestands ist es nicht entscheidend, ob die Medikamente ärztlich verordnet wurden (vgl. Koehl DAR 2021, 5).

Eine Entscheidung des LG Freiburg zeigt, wie auch zunächst fernliegend anmutende Sachverhalte unter die Trunkenheitsfahrt subsumiert werden können. Wer hiernach unter Missachtung der im Beipackzettel enthaltenen Warnhinweise hoch dosiert einen „Appetitzügler“ einnimmt und zeitgleich große Mengen koffeinhaltiger Getränke wie Kaffee und/oder Cola konsumiert, macht sich wegen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB strafbar, wenn er trotz Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit durch das Eintreten der beschriebenen Nebenwirkungen wie Konzentrationsstörungen und Veränderung des Reaktionsvermögens als Führer eines Kraftfahrzeugs am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt (LG Freiburg, Urt. v. 2.8.2006 – 7 Ns 550 Js 179/05 – AK 38/06).

Für ausufernde Rechtsprechung zur Rauschwirkung von Medikamenten, Substituten und sonstigen ggf. auch Kreuzreaktionen wird aus Platzgründen auf die entsprechende Kommentarliteratur verwiesen.

Der Nachweis der rauschmittelbedingten Fahruntüchtigkeit kann nicht allein mit einem bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden (BGH, Beschl. v. 2.8.2022 – 4 StR 231/22, StRR 10/2022, 14 = StRR 12/2022. 20; Burhoff in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl. 2015, § 4 Rn 162).

Eine dem Grenzwert der absoluten Fahrunsicherheit nach Alkoholgenuss vergleichbare Grenze wird von der Rechtsprechung bislang weder nach Haschischkonsum noch nach Heroin-, Amphetamin oder Kokainkonsum als wissenschaftlich begründbar angesehen (BGH, Beschl. v. 2.6.2015 – 4 StR 111/15; BGH, Beschl. v. 3.11.1998 – 4 StR 395/98 –, BGHSt 44, 219-228; OLG Hamburg, Beschl. v. 19.2.2018 – 2 Rev 8/18; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 2.9.1994 – 3 Ss 118/94; Ludovisy/Eggert/Burhoff, a.a.O., § 4 Rn 159).

Auf absolute Fahruntüchtigkeit darf ebenso wenig bei Nachweis einer Mehrzahl verschiedener Betäubungsmittel im Blut bzw. Mischkonsum mit Alkohol unterhalb von 1,1 ‰ geschlossen werden. Dies gilt nach einer Entscheidung des LG Gießen auch dann, wenn mit 0,82 ‰ der für Alkohol existierende Grenzwert von 1,1‰ nicht erreicht ist und auf den Fahrer neben dem Alkohol zusätzlich weitere berauschende Mittel in Form von 2,6 µg/L THC und 28 µg/L Amphetamin einwirken (LG Gießen, Beschl. v. 12.9.2013 – 7 Qs 141/13; „Extremfall“ [so König DAR 2014, 363 ff., Fn 31] bei OLG Jena BA 2007, 182 mit einer BAK i.H.v. 1,05 ‰ sowie zusätzlich THC).

Hiervon woll(t)en einige Amtsgerichte abweichen und eine absolute Fahrunsicherheit begründen. Nach deren Ansicht führen bei Cannabiskonsum ein Wert über 20 ng/ml THC und ein CIF-Wert (= Cannabis Influence Factor) über 10 zur absoluten Fahrunsicherheit, weil dieser CIF-Wert mindestens 1,1 ‰ BAK entspräche. Der CIF-Wert versucht die Wirkung von Cannabis abzubilden. Hierzu werden der psychoaktive THC-Wirkstoff im Blut, aber auch die sog. Metaboliten THC-OH und THC-COOH herangezogen. Auf wissenschaftliche Erkenntnisse, welche die an unwiderlegliche Erfahrungssätze gestellten Anforderungen für eine Verurteilung erfüllen, können solche Entscheidungen sich jedoch nicht stützen (vgl. Hentschel/Krumm, Fahrerlaubnis Alkohol/Drogen, 2018, 1. B. Rn 227; MüKoStGB/Pegel, 4. Aufl. 2022, StGB § 316 Rn 67).

Der Nachweis der Fahrunsicherheit muss dementsprechend im konkreten Einzelfall anhand rauschmittelbedingter Ausfallerscheinungen erbracht werden (vgl. BGH, Beschl. v. 2.8.2022 – 4 StR 231/22, VRR 10/2022, 14 = StRR 12/2022, 20). Das bedeutet, dass in diesen Fällen anhand von Indizien auf eine Beeinträchtigung des Täters geschlossen werden muss, die dem Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB genügt. Insoweit reicht aber nicht jeder Umstand aus. Eine (relative) Fahruntauglichkeit nach Konsum von Betäubungsmitteln lässt sich vielmehr erst dann feststellen, wenn Umstände erkennbar sind, die über die allgemeine Drogenwirkung bzw. Drogenenthemmung hinaus den sicheren Schluss zulassen, dass der Konsument in der konkreten Verkehrssituation fahrunsicher gewesen ist (Gebhardt in: Das verkehrsrechtliche Mandat Band 1, § 37 Objektiver Tatbestand des § 316 StGB, Rn 172; Ludovisy/Eggert/Burhoff/Burhoff, a.a.O., § 4 Rn 162).

Für die Feststellung von Ausfallerscheinungen gilt: Die verkehrsspezifischen Untauglichkeitsindizien dürfen nicht lediglich eine allgemeine Drogenenthemmung erkennen lassen, sondern müssen sich unmittelbar auf die Beeinträchtigung der Fahreignung beziehen. Es muss der sichere Schluss möglich sein, dass der Konsument in der konkreten Verkehrssituation fahrunsicher war. Das ohne eine phänomengebundene Schilderung mitgeteilte Erscheinungsbild des Angeklagten, er sei „leicht beeinflusst“ gewesen, reicht dazu nicht aus (Ludovisy/Eggert/Burhoff/Burhoff, § 4 Rn 164).

Die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen können umso geringer sein, je höher die im Blut festgestellte Wirkstoffkonzentration ist (BGH, a.a.O.).

Den Feststellungen des Blut entnehmenden Arztes kommt bei der Beurteilung der Frage, ob Beweisanzeichen in der Person vorlagen, besondere Bedeutung zu (Gebhardt in: Das verkehrsrechtliche Mandat Band 1, § 37 Objektiver Tatbestand des § 316 StGB, Rn 49). Das Blutentnahmeprotokoll darf in diesen Fällen nicht bloß verlesen und die Beweiswürdigung hierauf gestützt werden. Der Arzt muss vielmehr selbst vernommen werden (Gebhardt, ebenda). Das leuchtet vor allem in solchen Fällen ein, in denen sich der Verteidiger nach einer Vielzahl sicher bestandener Tests fragt, wie der Arzt überhaupt zur Feststellung gekommen ist, Drogenbeeinflussung sei äußerlich deutlich oder gering bemerkbar. Dieser Maßstab für die Feststellungen dient der Verteidigung z.B. in solchen Fällen, in denen die durch die Verkehrspolizisten dokumentierten Ausfallerscheinungen weitaus schwerwiegender erscheinen bzw. drastischer dokumentiert werden, als sie vom Mediziner später bei der Untersuchung im „Torkelbogen“ festgestellt werden. In einem Fall des AG Offenbach hatten die Polizisten einen recht gewichtigen, unsportlichen Beschuldigten z.B. erst fünf Stockwerke zu Fuß in seine Wohnung begleitet, um den Führerschein zu holen; erst danach machten sie verschiedene (Romberg)-Tests und bemängelten Atemnot, Schweißausbrüche und schwankenden Stand mit einem Ausfallschritt. Der Rechtsmediziner in der Hauptverhandlung widersprach einer gesichert drogenbedingten Ausfallerscheinung aufgrund der zuvor zurückgelegten Wegstrecke zur Wohnung vehement. Das hatte das AG Offenbach und LG Darmstadt zuvor gleichwohl nicht daran gehindert, die Fahrerlaubnis für insgesamt sechs Monate vorläufig zu entziehen allein aufgrund der Schilderungen der Polizisten in der Akte. Jedes noch so gute juristische und toxikologische Argument der Verteidigung war ohne nähere Begründung zur Seite gewischt worden. Das Verfahren endete in zweiter Instanz mit Einstellung gemäß § 153a StPO, nachdem bereits das AG Offenbach – trotz THC-Wert 59 (!) ng/ml und Kokain-Wert 0,011 ng/ml – nur noch zur Verurteilung gemäß § 24a Abs. 2, 3 OWiG gekommen war.

II.

Rechtsprechungsbeispiele zur relativen Fahruntüchtigkeit

Was im ersten Moment viele Verteidigungsansätze bietet, wie auch im Falle relativer Fahrunsicherheit im Bereich Alkohol, kommt jedoch ebenso häufig auf den Beschuldigten zurück. Die nachfolgende Gegenüberstellung von Rechtsprechung für und gegen die Feststellung der Fahrunsicherheit verdeutlicht dies.

Nicht ausreichend für die Annahme drogenbedingter Ausfallerscheinungen sind:

  • dass der Fahrer bei der Kontrolle durch die Polizeibeamten gerötete Augen und einen schleppenden Gang gehabt sowie zeitweilig gelallt habe, lässt keinen sicheren Schluss auf eine Beeinträchtigung seiner Gesamtleistungsfähigkeit durch Alkohol und Betäubungsmittel zum Zeitpunkt der Fahrt zu, wenn es zuvor nicht zu entsprechenden, drogenbedingten Fahrfehlern gekommen ist. (KG, Beschl. v. 15.9.2011 – (3) 1 Ss 192/11 [73/11]),

  • Auffälligkeiten wie hektische Reaktionen, Schweißausbruch, Zittern, Unruhe, verlangsamte Aussprache, provokatives Verhalten, wässrig-glasige Augen und eine träge Lichtreaktion der Pupillen lassen zwar darauf schließen, dass der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Kontrolle unter dem Einfluss von Drogen gestanden hat, erlauben aber nicht mit der dringenden Wahrscheinlichkeit den Nachweis, dass diese Mängel unmittelbar zu einer Beeinträchtigung ihrer Fahrtüchtigkeit geführt haben. (LG Mühlhausen, Beschl. v. 29.11.2012 – 1 Qs 217/12),

  • Bei der ärztlichen Untersuchung vor der Blutentnahme sind überhaupt keine Ausfallerscheinungen mehr gezeigt worden, obschon der Polizeibeamte im Rahmen der Kontrolle noch fehlende Pupillenreaktion/Lidflattern feststellte, jedoch zuvor keine Fahrfehler. (LG Waldshut-Tiengen, Beschl. v. 4.6.2012 – 4 Qs 12/12),

  • Die Feststellung, dass der Betroffene in der Kontrollsituation im Stand schwankte, lässt nicht ohne Weiteres den Rückschluss zu, eine Fahruntüchtigkeit zu belegen. Denn ein nicht ausgeschlossenes bloß leichtes Schwanken im Stand stellte noch keine derart deutliche motorische Ausfallerscheinung dar, die vorliegend allein oder in der Gesamtschau mit den übrigen Auffälligkeiten einen hinreichend sicheren Schluss auf die fahrerische Leistungsfähigkeit des Angeklagten zuließe. (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 28.10.2010 – Ss 104/2010 (141/10); für Schwanken beim Gehen insbesondere: AG Münster, Beschl. v. 9.8.2022 – 112 Cs 157/22; LG Gera, Beschl. v. 25.4.2016 – 9 Qs 123/16),

  • Durch Polizeibeamte beschriebene psycho-physische Leistungsmerkmale wie z.B. „schläfriger Eindruck“, „Konzentrationsstörungen“, „verzögerte Reaktionen“, „verwaschene Aussprache“ und „schleppender Gang“, sind abgesehen davon, dass sie verfälschender subjektiver Einschätzung der Befunderheber weiten Raum lassen und von daher in ihrem Wert eingeschränkt sind, ebenfalls nicht hinreichend aussagekräftig. Zwar können auch diese Auffälligkeiten auf den festgestellten Drogenkonsum zurückführbar sein. Hinreichend zwingend ist dies aber nicht. Was die Konzentrationsstörungen, verzögertes Reagieren, verwaschene Aussprache und schleppenden Gang in der Kontrollsituation anbetrifft, sind diese Auffälligkeiten im Vergleich mit einem „unberauschten“ Zustandsbild des Fahrers zu bewerten, womit nicht ausgeschlossen ist, dass der Fahrer auch ansonsten und insbesondere in ihn belastenden Situationen – wie der gegenständlichen – entsprechende Verhaltensweisen zeigt (vgl. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 11.3.2003 – Ss 16/03 (23/03); Fischer, a.a.O., § 316 Rn 40; LK-König, StGB, 12. Auflage, § 316 Rn 164 a, jeweils m.w.N.).

  • Erhöhte Geschwindigkeiten sind kein zwingendes Indiz für eine durch Drogenkonsum bedingte Fahruntüchtigkeit (OLG Hamm, Beschl. v. 30.3.2010 – III-3 RVs 7/10 m.w.N.).

  • Das OLG Frankfurt am Main verlangt das Zusammentreffen von Fahrfehlern (!) mit Ausfallerscheinungen: Es müssen in der Person des Fahrers und in seiner Fahrweise Umstände gegeben sein, die den sicheren Schluss auf die Fahruntüchtigkeit in Folge der Einnahme berauschender Mittel zulassen (z.B. gravierende Fahrfehler und Ausfallerscheinungen). (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 2.9.1994 – 3 Ss 118/94).

  • Die Feststellung von Betäubungsmitteln im Blut lässt auch dann keinen sicheren Schluss auf relative Fahrunsicherheit zu, wenn es zu einem Verkehrsunfall kommt, der in dieser Form regelmäßig auch ohne Betäubungsmittelkonsum geschieht (AG Bottrop, Beschl. v. 16.9.2022 – 30 Ds 30/22, hier: Übersehen eines Fahrzeuges bei Spurwechsel auf einem Autobahnkreuz bei Dunkelheit im Berufsverkehr, THC-Wert 1,1 ng/ml Blutserum).

  • Allein der Umstand, dass der Angeschuldigte bei dem Einfahren in die Parklücke auf dem Parkplatz eines Supermarkts einen geparkten Pkw touchierte, kann nicht ausschließlich auf den vorhergehenden Cannabiskonsum zurückgeführt werden. Denn es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass nur unter Einwirkung von Cannabinoiden stehende Fahrzeugführer einen Unfall beim Einparken verursachen. Für einen solchen sind daneben verschiedenste andere Ursachen denkbar, wie z.B. Ablenkung, Fehleinschätzung von Abständen u.v.m. denkbar. So hat der Angeschuldigte sich selbst dahingehend eingelassen, dass er durch seine Beifahrerin abgelenkt gewesen sei (AG Münster, Beschl. v. 9.8.2022 – 112 Cs 157/22).

  • Die Annahme „drogenbedingter Ausfallerscheinungen“ kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Angeklagte vor einer Polizeikontrolle geflüchtet ist. Zwar kann auch dann, wenn der Täter sich einer Festnahme entziehen will, eine deutlich unsichere, waghalsige und fehlerhafte Fahrweise für eine (drogenbedingte) Fahruntüchtigkeit sprechen. Dies versteht sich jedoch nicht von selbst (BGH, Beschl. v. 25.5.2000 – 4 StR 171/00).

Ausreichend für die Annahme drogenbedingter Ausfallerscheinungen und damit Fahruntüchtigkeit sind

  • Keine Feststellung von Fahrfehlern. Jedoch nicht unerhebliche Blutwirkstoffkonzentration unter hinzutreten weiterer gewichtiger Anzeichen für die Fahruntüchtigkeit wie namentlich: Konzentrationsstörungen, verlangsamter Koordination und verwaschener Sprache, schläfriger Zustand. In Zusammenschau mit dem bei der anschließenden ärztlichen Untersuchung festgestellten auffällig stark gestörten Zeitempfinden ist die rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit daher noch hinreichend dargelegt. (BGH, Beschl. v. 2.6.2015 – 4 StR 111/15),

  • Bei hohen Wirkstoffwerten (hier: THC 13,3 ng/ml Blutserum) kann ein einzelnes weiteres Anzeichen genügen. Es sind in diesem Fall hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit der festgestellten Ausfallerscheinung zu stellen. Der Reboundeffekt der Pupillen zeigte, dass der Angeklagte an einer starken Sehbehinderung litt, die zu einer erhöhten Blendempfindlichkeit bei der Nachtfahrt führte und nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen typische Folge des Drogenkonsums war (vgl. auch BayObLG DAR 2002, 134, Hentschel, a.a.O., 478 f.). Dafür sprachen auch die Beobachtungen der Blut entnehmenden Ärztin und das Fahrverhalten des Angeklagten, der – offenbar ohne vernünftigen Grund – mit eingeschalteten Nebelscheinwerfern fuhr. (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.5.2004 – 1 Ss 26/04).

IIII. Exkurs: fehlende Identität der Tatblutprobe / Blut des Beschuldigten

Zuweilen hört der Verteidiger durch den Mandanten, es könne „nur eine Verwechslung der Blutprobe“ vorliegen. Der Mandant habe niemals Drogen konsumiert oder jedenfalls nicht die festgestellten Betäubungsmittel oder jedenfalls nicht in Nähe zum festgestellten Zeitpunkt der Blutprobenentnahme. Mag die Einlassung der vertauschten Blutprobe nicht selten (fast immer?) gelogen sein, so darf der Verteidiger sie nicht ohne Weiteres unbeachtet lassen. Fehler werden gemacht – überall.

Der Verfasser dieses Beitrags hatte in einem Verfahren beim AG Bottrop (30 Ds 30/22) den Fall, dass der Mandant in der Besprechung unter ersichtlicher Verzweiflung abstritt, jemals Amphetamine genommen zu haben. THC/Joints ja, aber keinerlei andere Betäubungsmittel. Abgesehen vom Geisteszustand des Mandanten hatte dieser Umstand vor allem fahrerlaubnisrechtliche Bedeutung. Konsum von Amphetaminen würde selbst bei gutem Ausgang des Strafverfahrens verwaltungsrechtlich die Kraftfahreignung entfallen lassen – und gleichwohl zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen. Die „Story“ vom falschen Gutachten würde in einer späteren MPU kein Gutachter glauben. Es stellte sich jedoch heraus, dass das Gutachten – nahezu unmerklich – und laut DAkkS-akkreditiertem Labor „aus bisher unbekannten Gründen mit fehlerhaften Seiten“ übersandt wurde.

Fehler im Labor sind also grundsätzlich nicht ausgeschlossen (vgl. z.B. zu möglichen Fehlerquellen: Neuhaus/Artkämper Kriminaltechnik und Beweisführung im Strafverfahren, S. 112 ff.). So kann nach Aktenlage regelmäßig nicht nachvollzogen werden, welche Sicherungsmaßnahmen von der Entnahme auf der Polizeiwache bis zur Untersuchung im Labor getroffen wurden. Allzu oft lassen Gerichte bei der Ablehnung entsprechender Beweisanträge leider genügen, dass die Etiketten auf dem Blutentnahmeprotokoll und der Blutprobe (sog. Venülennummer) übereinstimmen.

Hartung fasst dagegen Studienergebnisse zur Vertauschung von Blutproben wie folgt zusammen: „Wie aus den Ergebnissen zur nicht übereinstimmenden Identität zwischen Probengeber und Beschuldigter Person zu erkennen ist, wären ohne molekulargenetische Untersuchungen mindestens 15 strafrechtlich relevante, den Straßenverkehr betreffende Vorwürfe der falschen Person zugeordnet worden.“ (Hartung, Daldrup u.a., BA 2016, 1). Der genannte Aufsatz führt zahlreiche weitere Studien auf, in denen sogar eine Zunahme der Feststellung von Nichtidentität bescheinigt wird.

In einem weiteren Fall räumte ein Mandant gegenüber dem Unterzeichner freimütig ein, dass er jeden Tag kiffe. Die Blutwerte müssten hinsichtlich des THC „durch die Decke gehen“. Tatsächlich war die Blutprobe negativ. Es lässt sich nur darüber spekulieren, wo und ob zur selben Zeit ein anderer Beschuldigter verzweifelt seine Unschuld beteuerte.

IV.

(Weitere) Anregung für die Verteidigung

Was ist eine hohe Wirkstoffkonzentration im Blut? Ab wann liegt eine sicherheitsrelevante Wirkung eines Betäubungsmittels gesichert vor? Gestritten wird insbesondere für THC und dies besonders im Bereich des Fahrerlaubnisverwaltungsrechts (ab wann Anordnung einer MPU) und Ordnungswidrigkeitenrecht (ab wann „Wirkung“ gemäß § 24a Abs. 2, 3 StVG) nach wie vor um den Grenzwert, ab welchem ein Fahrzeugführer auf jeden Fall als durch das Betäubungsmittel beeinträchtigt gilt. Nach immer noch aktueller Empfehlung der Grenzwertkommission liegt der Wert, ab dessen Vorliegen der Nachweis einer konkreten Beeinträchtigung im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht mehr geführt werden muss für THC (Cannabisprodukte) bei 1 ng/ml. Dieser wird von der Rechtsprechung entsprechend aufgegriffen und zementiert (BGH, Beschl. v. 21.4.2022 – 3 StR 81/22; BVerwG, Urt. v. 11.4.2019 – 3 C 8/18).

Der AK 2 auf dem 60. Verkehrsgerichtstag 2022 in Goslar hat jedoch abermals darauf hingewiesen, dass der Grenzwert für THC mit 1 ng/ml derart niedrig liegt, dass er zwar den Nachweis von Cannabiskonsum ermöglicht. Einen zwingenden Rückschluss auf verkehrssicherheitsrelevante Wirkung lasse der Wert jedoch nicht zu. In der Rechtswirklichkeit würden daher – insbesondere im OWi- und Verwaltungsrecht – in einem nicht vertretbaren Umfang Betroffene sanktioniert, obschon die „Wirkung“ im Sinne des § 24a Abs. 2 StVG und eine Verminderung der Fahrsicherheit nicht tragfähig begründet seien. Nach der DRUID-Studie (Driving under the Influence of Drugs, Alcohol and Medicines) unter der Schirmherrschaft der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wurde ein Wert in Höhe von THC 3,8 ng/ml Blutserum als gleichwertig mit 0,5 g/L Alkohol errechnet. In Dänemark, Finnland, Luxemburg, Irland, Griechenland liegt der THC-Grenzwert für eine gesicherte verkehrsrelevante Beeinträchtigung bei 2 ng/ml Blutserum. In Großbritannien und Polen sogar bei 6 ng/ml Blutserum. Einige Bundestaaten der USA haben 10 ng/ml Blutserum festgelegt (z.B. Washington).

Diese Diskussion kann der Verteidiger für die Frage aufgreifen, wie hoch eigentlich eine Wirkstoffmenge ist, die dazu führt, dass an weitere Beweisanzeichen keine allzu großen Anforderungen mehr zu stellen sind. Denn wenn wissenschaftlich nach DRUID-Studie z.B. 3,8 ng/ml als Untergrenze gerade einmal den OWi-Tatbestand sicher erfüllen, dann sollte es dem Gericht durchaus Steine in den Weg legen, bei höheren Werten pauschal von einer der hohen Intoxikation ausgehen zu dürfen, die den Maßstab für weitere Indizien herabsenkt.

Eine Rückrechnung von Wirkstoffwerten einzelner Betäubungsmittel vom Zeitpunkt der Blutprobenentnahme auf den Tatzeitpunkt ist nicht möglich (vgl. zur Rückrechnung eingehend Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022 Rn 1470 ff.; Krumm DAR 2014, 588, 592). Das Argument verliert seine Kraft oder Sinnhaftigkeit bei entsprechend hohen Werten im Blutbefund.

Kenntnisse des Strafverteidigers zum Abbau von Betäubungsmitteln (Daldrup-Studie u.Ä.) sind unbedingt von Vorteil. Beim Verkehrsverwaltungsrechtler sind sie Standardrepertoire und nutzen auch immer wieder mal in Betäubungsmittelstrafsachen ohne Verkehrsbezug.

Verbleiben Zweifel an einem sicheren (!) Schluss, ob und wie sich allgemeine Drogenenthemmungsmerkmale auf die Beeinträchtigung der Fahreignung auswirken, ist in der Regel ein Sachverständigengutachten einzuholen (Ludovisy/Eggert/Burhoff/Burhoff, a.a.O., § 4 Rn 165 mit zahlreichen Nachweisen aus der BGH- und OLG-Rspr.). Wenn jedoch diese Zweifel der sachverständigen Klärung vorbehalten bleiben, können sie nicht schon im 111a-Verfahren zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis führen – denn der sichere Schluss ist ja gerade nicht möglich. Ein Umstand, über den sich leider allzu viele Amtsgerichte mit Rückendeckung der Landgerichte hinwegsetzen. Im Übrigen möchte der Verfasser hier eine Lanze für die Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss brechen. Erfahrungsgemäß darf hier – es sei denn, das Verfahren verzögert sich dadurch in Form einer späteren Terminierung der Hauptverhandlung – der Weg der Beschwerde regelmäßig gewagt werden. Denn kommt es auf die Sachkunde eines Rechtsmediziners an, wird es auch dem Landgericht kaum möglich sein, das Urteil sozusagen vorzuschreiben. Hier ist es zumeist der Verteidiger, der recht sicher die Angaben des Sachverständigen im Sinne der Mandantschaft voraussehen kann.

Drogen am Steuer bzw. Rauschmittelkonsum ziehen nahezu immer ein verwaltungsrechtliches Verfahren über die Kraftfahreignung nach sich. Die Herabstufung der Straftat zur bloßen Ordnungswidrigkeit oder gar eine Verfahrenseinstellung gemäß §§ 153, 153a StPO hindern dies nicht, solange Betäubungsmittel tatsächlich im Blut waren. Polizisten sind untechnisch gesagt dazu verpflichtet, ihre betäubungsmittelbezogenen Erkenntnisse aus der Verkehrskontrolle an die Fahrerlaubnisbehörde zu melden, § 2 Abs. 12 StVG. Es ist davon auszugehen, dass sich dies auch unter Polizisten herumgesprochen hat. Die polizeiliche Meldung an die Fahrerlaubnisbehörde in Form der Übersendung der Strafanzeige oder einer Sachverhaltsschilderung wird üblicherweise Bestandteil der Ermittlungsakte. Lediglich in größeren Strafverfahren, in denen der Anlass z.B. unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist, und Drogensucht z.B. Verteidigungsargument für einen „64er“ wird, erfährt die Führerscheinstelle nicht zwangsläufig von diesen die Kraftfahreignung betreffenden Tatsachen.

Über derartige Folgen darf der Mandant nicht in Sicherheit gewogen oder gar im Unwissen gelassen werden. Der Mandant ist zwingend auf die verkehrspsychologische Beratung zu verweisen. Diese ist nicht Aufgabe des Verteidigers. Der Verteidiger ohne verwaltungsrechtliche Kenntnisse empfiehlt zudem für die Beratung über mögliche Fahrerlaubnisfolgen einen entsprechend spezialisierten Kollegen.

In jedem Fall muss der Strafverteidiger den Mandanten dazu anhalten, die Dauer des Strafverfahrens für die ggf. drohende MPU-Vorbereitung zu nutzen. Dies ist in die Verteidigungsstrategie einzubinden. Denn im besten Fall könnte am Ende ein Amtsrichter diese Umstände für eine mildere Strafzumessung und die Frage der fehlenden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß §§ 69, 69a StGB, im Sinne des Mandanten berücksichtigen. Erachtet das Gericht die Kraftfahreignung im Zeitpunkt des Urteils für (wieder) gegeben, kann die Führerscheinstelle an diese Feststellungen gemäß § 3 Abs. 3 und 4 StVG gebunden sein. Der Verteidiger hat darauf hinzuwirken, dass das Tatgericht entsprechend aussagekräftige Feststellungen zur Kraftfahreignung und alle entsprechenden Umstände in die Urteilsbegründung aufnimmt. Fehlen diese nur teilweise, entfällt die Bindungswirkung die Fahrerlaubnisbehörde für alle nicht vom Strafurteil erörterten Umstände (ganz h.M: vgl. statt vieler OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.4.2022 – 12 ME 35/22 m.w.N.).

V.

Urteilsfeststellungen

Die Urteilsfeststellungen müssen zumindest Art und Konzentration des berauschenden Mittels beinhalten, Angaben dazu, auswelchen Gründen eine Wirkstoffkonzentration als „hoch“ angesehen wird, und was die weiteren Indizien bzw. drogenbedingte Ausfallerscheinungen sind (Details bei: Hentschel/Krumm, Fahrerlaubnis Alkohol/Drogen, 2018, 1. B. Rn 250 ff.).

Strafprozessual hat der Verteidiger bei einem an sich angreifbaren Urteil in enger Abstimmung mit dem Mandanten dringend zu bedenken, dass nicht jede erfolgreiche Sprungrevision ein Erfolg ist. Ist der Freispruch nämlich nicht vorhersehbar, sondern allenfalls eine neuerliche, rechtmäßige Verurteilung, schieben sich je nach Einzelfall Sperrfristen oder Fahrverbote „nach hinten“. Für eher aussichtslose Revisionen gilt dies erst recht. Das Mandanteninteresse kann der Freude des Verteidigers am juristischen Arbeiten und ggf. „Rechthaben“ völlig entgegenstehen.

VI.

Bedeutung für die Praxis

Der Verfasser hat den Eindruck, dass – mehr als bei Alkoholfahrten im Bereich relativer Fahruntauglichkeit – seitens der Staatsanwaltschaften unter Beiseiteschieben von Rechtsprechung und toxikologischen Erkenntnissen die Verwirklichung von Straftatbeständen anstelle der bloßen Ordnungswidrigkeit allzu schnell bejaht wird. Findet man keinen Amtsrichter, der diese Fehleinschätzungen zu korrigieren bereit ist, drohen regelmäßig vor einer Hauptverhandlung die üblichen Folgen, wie eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO.

Der obige Beitrag sollte ausreichend verdeutlicht haben, dass die Strafverteidigung bei Drogenfahrten neben dem üblichen Frust des Kampfes gegen Justiz-Windmühlen und fehlende Fachkenntnisse bei Richtern, Staats- und Amtsanwälten gleichwohl einen bunten Blumenstrauß an Verteidigungsansätzen für engagierte und aktive Strafverteidigung bietet. Nicht allein im Mandanteninteresse dürfen dabei jedoch die Fallstricke und Folgen im Fahrerlaubnisrecht nicht außer Acht gelassen werden.

Heiko Urbanzyk, FA StrR/VerkR, Coesfeld

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