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Benutzen eines E-Scooters als einfachen Tretroller

Wer einen unversicherten E-Scooter ohne Fahrerlaubnis im öffentlichen Straßenverkehr wie einen einfachen Tretroller mit bloßer Muskelkraft fortbewegt, verhält sich selbst dann weder strafbar noch ordnungswidrig, wenn er zuvor Drogen konsumiert hat, ohne Ausfallerscheinungen zu zeigen. (Leitsatz des Gerichts)

LG Hildesheim, Urt. v. 20.9.202213 Ns 40 Js 25077/21

I. Sachverhalt

Dem Angeklagten ist zur Last gelegt worden, er habe am 13.5.2021 gegen 13:25 Uhr mit dem Elektrokleinstfahrzeug Typ Dualmoto Nanrobot 4 d plus (2000 Watt), (im Folgenden: E-Scooter), öffentliche Straßen unter dem Einfluss von Marihuana befahren, obwohl er wusste, dass er die zum Führen des Fahrzeugs benötigte Erlaubnis der Verwaltungsbehörde nicht hatte und das Fahrzeug auch nicht haftpflichtversichert war. Das AG hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Gebrauchs eines Fahrzeugs auf öffentlichen Wegen und Plätzen ohne erforderlichen Haftpflichtversicherungsschutz verurteilt und ihn vom Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis freigesprochen. Dagegen haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte Berufung eingelegt. Ziel der Berufung der Staatsanwaltschaft war eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Ziel des Rechtsmittels des Angeklagten war ein Freispruch insgesamt. Nur die Berufung des Angeklagten hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Das LG weist darauf hin, dass es in der Berufungshauptverhandlung die erstinstanzliche Beweisaufnahme wiederholt und vertieft habe. Danach könnten aber die Indizien, die dafür sprechen, dass der Angeklagte den E-Scooter unter Einsatz seines Elektromotors gefahren habe, diejenigen Indizien, aus denen sich eine realistische Möglichkeit dafür ergebe, dass der elektrische Antrieb, wie der Angeklagte angebe, zur Tatzeit nicht funktionierte und er das – bauartbedingt auch dafür geeignete – Fahrzeug deshalb wie einen Tretroller mit bloßer Muskelkraft angetrieben habe, um ihn gerade wegen des Defekts zum privaten Verkäufer zu bringen, nicht zur Überzeugung der Kammer zu überwinden.

Das Benutzen des E-Scooters als einfachen Tretroller durch den Angeklagten erfülle – so das LG – auch keinen Straftatbestand oder zumindest den einer Verkehrsordnungswidrigkeit, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt eines Vergehens nach dem PflVG noch unter dem Gesichtspunkt eines Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) und auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Fahrens unter Drogeneinfluss (§ 316 StGB).

§ 6 PflVG

§ 6 PflVG setze ein „Gebrauchen“ des Kraftfahrzeugs voraus. Gebrauchen bedeute die bestimmungsgemäße Benutzung des Kraftfahrzeugs zum Zweck der Fortbewegung (vgl. Lampe in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 239. EL Dezember 2021, § 6 PflVG Rn 10; Sandherr in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2021, § 6 PflVG Rn 24; jeweils m.w.N.). Rechtsprechung dazu, ob das Fortbewegen eines E-Scooters mit bloßer Tretkraft ein Gebrauchen i.S.v. § 6 PflVG darstelle, sei, soweit ersichtlich, bislang nicht veröffentlicht. Auch die Kommentarliteratur (vgl. Lampe in Erbs/Kohlhaas, a.a.O.; Sandherr in Haus/Krumm/Quarch, a.a.O.; Kretschmer in: MüKo zum StVR, 1. Aufl. 2016, § 6 PflVG Rn 28) verhalte sich dazu nicht. Zu den Fallgestaltungen, in denen ein Kraftfahrzeug mit bloßer Muskelkraft fortbewegt worden sei, werden im Wesentlichen – allesamt ältere – Entscheidungen zitiert: Das KG, Urt. v. 6.9.1973 – 3 Ss 125/73, VRS 25, 475, das das Fortbewegen eines – unversicherten – Mopeds (Fahrrad mit Hilfsmotor) mit Tretkraft als „Gebrauchen“ i.S.v. § 6 PflVG angesehen hat, das OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.9.1981 – 2 Ss 426/81 – 219/81 II, VRS 62, 193, das entschieden habe, dass das Fortbewegen eines Mofas, indem sich der Fahrer auf dem Sattel sitzend mit den Füßen vom Erdboden abstößt, nicht unter § 24a StVG (Führen eines Kraftfahrzeugs nach Alkoholkonsum) falle, den KG, Beschl. v. 31.1.1984 – 5 Ss 315/83 – 1/84, VRS 67, 154, in dem das KG ausführe, dass es sich um einen Gebrauch i.S.v. § 6 PflVG dann nicht handele, wenn das Fahrzeug abgeschleppt, von Tieren gezogen, Menschen geschoben oder auf einem anderen Kraftfahrzeug transportiert worden sei. Alle diese Entscheidungen beruhen – so das LG – auf dem Grundsatz, dass die von Kraftfahrzeugen ausgehende typische Verkehrsgefahr i.d.R. fehle, wenn ein Kraftfahrzeug durch (betriebs-) fremde Kräfte – beispielsweise durch bloßes Schieben, Ziehen oder durch die eigene Körperkraft – im Verkehr bewegt werde. Bei der Anwendung dieses Grundsatzes auf einen E-Scooter ergebe sich, dass die typische Gefahr eines E-Scooters darin bestehe, dass er viel höhere, gleichbleibende Geschwindigkeiten erziele als ein einfacher Tretroller und dass der Fahrer dabei zudem anders als beim Tretroller keinen regelmäßigen Bodenkontakt und damit auch weniger körperliche Kontrolle über das Fahrzeug habe. Werde ein E-Scooter hingegen mit bloßer Muskelkraft benutzt, verhalte er sich nicht anders als ein für Erwachsene ausgelegter Tretroller. Darin liege auch der wesentliche Unterschied zum Moped, welches Gegenstand des KG, Urt. 6.9.1973 (VRS 25, 475) gewesen sei. Das KG habe dazu ausgeführt, dass die von dem Moped ausgehende Gefahr mit Rücksicht auf seine gegenüber einem Fahrrad schwierigere Handhabung, das größere Gewicht und das Vorhandensein eines Benzintanks nicht wesentlich geringer sei, wenn es statt mit Motorkraft mit Tretkraft fortbewegt werde.

§ 21 StVG

Gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG mache sich strafbar, wer ohne die erforderliche Fahrerlaubnis „ein Kraftfahrzeug führt“. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. NJW 2015, 1124, 1125 m.w.N.) sei Führer eines Kfz, wer es unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt“. Nach dieser Definition sei für die Benutzung eines E-Scooters als bloßen Tretroller § 21 StVG erst recht nicht einschlägig.

§ 316 StGB

Auch für den Umstand, dass die dem Angeklagten eine Dreiviertelstunde nach der Verkehrskontrolle abgenommene Blutprobe Wirkstoffkonzentrationen aufwies, die den analytischen Grenzwertes für THC von 1 ng/ml insgesamt über 90(!)-fach überschreiten, könne er letztlich nicht belangt werden, weil Voraussetzung für eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG ebenfalls das Führen eines Kraftfahrzeugs wäre (siehe oben) und der Straftatbestand des § 316 StGB („Trunkenheit im Verkehr“) zwar nur das Führen eines „Fahrzeugs“ verlange, es für Fahruntüchtigkeit infolge von Drogenkonsum jedoch keine Wirkstoffgrenzen für „absolute“ Fahruntüchtigkeit gebe, vielmehr die Feststellung der Fahruntüchtigkeit anhand einer umfassenden Würdigung der Beweisanzeichen im Einzelfall erforderlich sei (vgl. Fischer, StGB, 69. Auf. 2022, § 316 Rn 39, 39a m.w.N.). Solche Beweisanzeichen für eine Fahruntüchtigkeit des Angeklagten sieht das LG nicht, was es im Einzelnen darlegt.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

Eine m.E. zutreffende Entscheidung, wobei aber nicht übersehen werden darf, dass der E-Scooter eben nur wie einfacher Tretroller mit bloßer Muskelkraft bewegt worden ist. Denn sonst kann ggf. die Strafbarkeit nach den vom LG geprüften Vorschriften vorliegen und damit auch die Entziehung der Fahrerlaubnis drohen (zum E-Scooter u.a. OLG Zweibrücken 8/2021, 25; LG Leipzig VRR 10/2022, 20).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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