Beitrag

Anordnung einer MPU nach Verzicht auf Fahrerlaubnis in der Probezeit

1. Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG ist nur dann möglich, wenn dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe die Fahrerlaubnis zuvor entzogen worden ist. Auf Fälle eines vorherigen Verzichts der Fahrerlaubnis ist die Vorschrift weder im Wege einer erweiternden Auslegung noch im Wege der Analogie anwendbar.

2. Ist in einer Gutachtenanordnung eine Rechtsgrundlage ausdrücklich genannt, ist für die Rechtmäßigkeit der Anordnung allein maßgeblich, ob die Voraussetzungen der genannten Rechtsgrundlage vorliegen. (Leitsätze des Gerichts)

OVG Münster, Beschl. v. 31.8.202216 B 1583/21

I. Sachverhalt

Entziehung der Fahrerlaubnis

Die Verwaltungsbehörde hat dem Fahrerlaubnisinhaber/Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen. Dagegen hat der Antragsteller Klage erhoben und beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen. Dem ist das VG nachgekommen. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Verwaltungsbehörde hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Anordnung der Gutachtenbeibringung nicht zulässig

Nach Auffassung des OVG sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die Klage des Antragstellers Erfolg haben werde. Der Antragsgegner habe nicht nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen können, weil dieser das unter dem 14.4.2021 angeordnete Gutachten nicht beigebracht habe. Denn der Schluss nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV sei nur dann zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig sei (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.2005 – 3 C 25.04; OVG Münster, Beschl. v. 7.3.2019 – 16 E 457/18 und v. 25.8.2021 – 16 B 1059/21).

§ 2a Abs. 5 Satz 5 StVG gilt nicht beim Verzicht

Das sei vorliegend nicht der Fall. Der Antragsgegner habe die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gegenüber dem Antragsteller nicht auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG stützen können. Nach dieser Regelung habe die zuständige Behörde in diesem Fall in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen, sobald der Inhaber einer Fahrerlaubnis innerhalb der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen habe. Durch den Einschub „in diesem Fall“ werde auf den vorstehenden Satz Bezug genommen, wonach der Absatz 2 des § 2a StVG nicht anzuwenden sei auf eine mit der Erteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gemäß Absatz 1 Satz 7 beginnende neue Probezeit. Im Zusammenhang sei die Regelung in § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG demzufolge so zu lesen, dass die zuständige Behörde in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen habe, sobald der Inhaber einer Fahrerlaubnis, dessen Fahrerlaubnis zuvor entzogen worden ist, innerhalb der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen habe. Ein solcher Fall liege hier jedoch nicht vor, weil dem Antragsteller die Fahrerlaubnis nicht entzogen worden sei, sondern er freiwillig auf diese verzichtet habe.

Keine entsprechende Anwendung

Angesichts dieses klaren Wortlauts und des Regelungszusammenhangs in § 2a Abs. 5 StVG sei die Vorschrift keiner erweiternden Auslegung zugänglich (a.A. wohl Hess. VGH, Beschl. v. 18.12.2008 – 2 B 2277/08; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.1.2017 – OVG 1 S 69.16). Die Regelung in § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG sei entgegen der Auffassung des Antragsgegners vorliegend auch nicht entsprechend anzuwenden, was das OVG näher ausführt (vgl. auch VG Düsseldorf, Beschl. v. 2.5.2011 – 6 L 584/11; VG Koblenz, Beschl. v. 27.3.2020 – 4 L 234/20.KO und Urt. v. 7.4.2022 – 4 K 119/22.KO; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 2a StVG Rn 53; Rebler DAR 2009, 666; a.A. VG Mainz, Beschl. v. 18.1.2022 – 3 L 5/22.MZ; Trésoret, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. 2022, § 2a StVG Rn 322 ff.).

III. Bedeutung für die Praxis

Hilfsüberlegung

Das OVG stellt sich dann noch die Frage, ob die Gutachtenanordnung ggf. deshalb als rechtmäßig anzusehen ist, weil der Antragsgegner sie ggf. auf eine andere Rechtsgrundlage hätte stützen können. Die Frage hat der Senat allerdings auch verneint. Denn es kommt nach der Rechtsprechung darauf an, ob die Voraussetzungen der in der Gutachtenanordnung ausdrücklich genannten Rechtsgrundlage vorliegen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 5.9.2018 – 16 B 96/18; so auch: BayVGH, Beschl. v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 26.9.2019 – 12 ME 141/19; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 11 FeV Rn 44; a.A. (wohl) OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.1.2017 – OVG 1 S 69.16; offengelassen von BVerwG, Urt. v. 7.4. 2022 – 3 C 9.21) was hier für die von der Verwaltungsbehörde ausschließlich benannte Rechtsgrundlage des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG nicht der Fall war.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…