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Schadensersatz bei Reparaturkosten, Werkstattrisiko und Sicherungsabtretung

(1) Der Geschädigte ist im Fall einer Sicherungsabtretung von Ersatzansprüchen auf Reparaturkosten an die Werkstatt ohne deren Zustimmung nicht im Rahmen einer Prozessstandschaft befugt, den abgetretenen Anspruch auf Schadensersatz zu verfolgen – auch nicht im Wege der Freistellung.

(2) Im Rahmen der subjektiven Schadensbetrachtung sind unter Berücksichtigung des sogenannten Werkstattrisikos die bei der Schadensbeseitigung anfallenden Reparaturkosten vom Schädiger auch dann vollumfänglich zu ersetzen, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt im Vergleich zu üblichen Kosten unangemessen sind.

(3) In einem solchen Fall kann aber die Schädigerseite von dem Geschädigten im Rahmen des Vorteilsausgleichs eine Abtretung möglicher Ersatzansprüche gegen den Werkstattbetreiber verlangen.

(4) An dieser Rechtsprechung zum Werkstattrisiko ändert sich auch nichts, wenn die davon zu unterscheidende Rechtsprechung des BGH zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten bei einer unbezahlten Rechnung des Sachverständigen beachtet wird.

(5) Liegt aber eine Sicherungsabtretung vor oder klagt sogar die Werkstatt aus abgetretenem Recht eine Schadensersatzforderung des Geschädigten ein, bei der sie alsbald in einem Regressprozess der Schädigerseite wieder zu einer Rückzahlung verpflichtet wäre, kann dieses Ergebnis unbillig und mit wertenden Betrachtungen zu korrigieren sein.

BGH, Urt. v. 26.4.2022VI ZR 147/21

I. Sachverhalt

Schadensersatz als Freistellung bei Abtretung

Der Kläger hatte seinen Anspruch auf Reparaturkosten an den Reparaturbetrieb abgetreten und einen Schadensersatz gegen die eintrittspflichtige Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung des Schädigers mit einem Antrag auf Freistellung durch Zahlung an den Reparaturbetrieb verfolgt, nachdem diese die Reparaturkosten gekürzt hatte.

Das Amtsgericht hat der Klage vollumfänglich stattgeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht sodann aber das amtsgerichtliche Urteil nach Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens abgeändert und die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, den Kläger von Reparaturkosten gegenüber der Werkstatt Zug-um-Zug gegen Abtretung eventueller Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Werkstatt freizustellen, nachdem der eingeschaltete Sachverständige die Kürzungen zum Teil bestätigt hatte.

II. Entscheidung

Keine Prozessstandschaft dargelegt

Der BGH hat allerdings entschieden, dass über die Klage nicht in der Sache entschieden werden kann, weil sie mangels Prozessführungsbefugnis des Klägers unzulässig ist und dies seitens des Gerichts von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen ist. Denn wer ein Recht einklagt, das nicht ihm selbst zusteht (Prozessstandschaft), muss seine Befugnis zur Führung des Prozesses dartun und gegebenenfalls beweisen. Zwar ergibt sich das erforderliche Interesse des Klägers, die Forderung der Werkstatt in eigenem Namen geltend zu machen, ohne Weiteres aus seiner Stellung als Sicherungsgeber der nur sicherungshalber an die Werkstatt als Sicherungsnehmerin abgetretenen Forderung. Jedoch könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Werkstatt den Kläger zur Prozessführung in eigenem Namen ermächtigt hat. Auch kann aus Sicht des BGH ohne weitere Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass die Werkstatt den Kläger im Zuge der Sicherungsabtretung der streitgegenständlichen Forderung konkludent zu ihrer gerichtlichen Geltendmachung im eigenen Namen ermächtigt habe.

Auch in der Sache hat der BGH Ausführungen getroffen und ist dabei davon ausgegangen, dass die genannten Arbeiten nach Erteilung des Reparaturauftrags tatsächlich durchgeführt wurden. Wurden die Arbeiten aber tatsächlich durchgeführt, so sind die dadurch entstandenen Kosten nach Ansicht des BGH im Verhältnis des Klägers zur Beklagten unabhängig von der Frage erstattungsfähig, ob sie objektiv erforderlich waren, solange den Kläger im Zusammenhang mit der Beauftragung der Werkstatt kein (insbesondere Auswahl- oder Überwachungs-)Verschulden treffen würde.

Keine Übertragung der Rechtsprechung zu Sachverständigenkosten

Diesem würde auch die Rechtsprechung des BGH zur Prüfung der Sachverständigenkosten nicht entgegenstehen: Zwar hat der BGH in Bezug auf die ersatzfähige Höhe von Sachverständigenkosten ausgesprochen, dass sich nur der vom Geschädigten beglichenen Rechnung, nicht aber einer unbeglichenen Rechnung allein ein Anhaltspunkt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages entnehmen lasse. Hieraus lässt sich aber nicht ableiten, dass im Falle einer (noch) nicht bezahlten Rechnung die vom Geschädigten ohne Verschulden veranlassten Schadensbeseitigungsmaßnahmen bei der Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes außer Betracht bleiben müssen, weil sie sich nach fachkundiger Prüfung bei rein objektiver Betrachtung als unangemessen erweisen. Diese Grundsätze wären nicht zu übertragen.

Korrektur bei unbilligen Ergebnissen

In diesem Einzelfall wäre aber zu beachten, dass eine Abtretung zugunsten der Werkstatt erfolgt ist. Dies könnte in der Fallkonstellation könnte zu dem unbilligen Ergebnis führen, dass die Werkstatt vom Schädiger über den Weg des Schadensersatzes für Reparaturleistungen eine „Vergütung“ erhält, die sie vom Geschädigten als ihrem Auftraggeber nach werkvertraglichen Grundsätzen nicht hätte verlangen können. Ob und inwieweit die genannten Grundsätze vor diesem Hintergrund in der vorliegend gegebenen Fallkonstellation der Modifikation bedürfen, wird daher für den Fall, dass die Klage zulässig sein sollte, von den Gerichten nach Vorgabe des BGH zu prüfen sein.

III. Bedeutung für die Praxis

Freistellung reicht nicht für eine Aktivlegitimation aus

Eine sehr bedeutsame Entscheidung, die lange erwartet worden ist, in der Praxis allerdings noch bisher nicht in vollem Umfang erfasst wird. Dies beginnt bereits mit den Voraussetzungen für eine Prozessstandschaft als Grundlage der Aktivlegitimation nach einer Sicherungsabtretung gegenüber einem Dienstleister bei der Schadensabwicklung wie etwa einer Werkstatt oder einem Sachverständigen. In der Praxis wurde bisher häufig mit einem Freistellungsanspruch des Geschädigten und einer damit verbundenen Zahlung an die betroffene Werkstatt/den Sachverständigen oder das Abschleppunternehmen gearbeitet. Der BGH stellt klar, dass eine solche Freistellung auch nicht genügt, um im Wege einer Prozessstandschaft tätig zu werden und insbesondere auch eine Sicherungsabtretung nicht konkludent zu einer solchen Prozessstandschaft bei Gericht berechtigt. Vielmehr muss der neue Gläubiger nach der Sicherungsabtretung einem solchen Vorgehen des Geschädigten ausdrücklich zustimmen bzw. diesen entsprechend ermächtigen.

Viel weitreichender ist die Entscheidung allerdings bei der Prüfung, ob die vom BGH entwickelten Grundsätze, wonach bei der Prüfung von Sachverständigenkosten bei einem Verkehrsunfall im Rahmen einer unbezahlten Rechnung keine Indizwirkung besteht und daher auch gegenüber dem Geschädigten Einwendungen zur Höhe der verfolgten Sachverständigenkosten zu prüfen sind, auf andere Konstellationen übertragen wird. Dogmatisch wäre dies zumindest konsequent gewesen, nachdem der BGH im Bereich der Sachverständigenkosten diesen Lösungsweg einmal angestoßen hat.

Bedeutung des Werkstattrisikos verdeutlich + Korrektur über Regress

Im Bereich der Reparaturkosten hat der BGH diese Rechtsprechung allerdings jetzt nicht mehr angewendet, sondern lässt die Grundsätze des Werkstattrisikos zugunsten des Geschädigten im Rahmen einer subjektiven Schadensbetrachtung bestehen. Es bleibt also bei der Lösung, dass die Schädigerseite gegenüber dem Geschädigten die Reparaturkosten auch dann voll auszugleichen hat, wenn diese oberhalb der üblichen Vergütung liegen oder weitere Einwendungen zur Höhe bestehen, dies dem Geschädigten selbst als Privatperson mangels entsprechender Fachkenntnis nicht entgegengehalten werden kann (Grundlegend: BGHZ 63, 182). Die Schädigerseite wird dabei über eine Abtretung Zug um Zug als Vorteilsausgleich geschützt, um sodann gegenüber dem Vertragspartner des Geschädigten, hier also der Werkstatt, einen Regress durchführen zu können. In der Praxis wird dies allerdings dann problematisch, wenn die Werkstatt nach den Vorgaben aus einem Gutachten repariert hat – hier wäre eher an eine Abtretung des Regressanspruches bei einem Sachverständigen wegen einer fehlerhaften Kalkulation zu denken und insoweit hat der BGH bereits einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter entwickelt, um Regress eines Kraftfahrzeughaftpflichtversicherers gegen den Sachverständigen bei einem fehlerhaft erstellten Gutachten zu ermöglichen (vgl. BGH, Urt. v. 13.1.2009 – VI ZR 205/08 = VRR 2019, Nr. 10, 9). Eine solche Abtretung für einen Regressanspruch wird auch von den Oberlandesgerichten anerkannt (vgl. OLG Naumburg, NZV 2006, 546).

Offen gelassen: Einwendungen bei nicht durchgeführten Arbeiten

Nicht entschieden hat der BGH allerdings die Fallgruppe, bei welcher Reparaturarbeiten durchgeführt werden, die objektiv gar nicht erforderlich gewesen sind oder gar eine Werkstatt dies mit einer entsprechenden Täuschung des Geschädigten als Auftraggeber verbindet und bestimmte Reparaturarbeiten gezielt gar nicht durchführt. Auch hier gibt es unterinstanzliche Urteile, die den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt des Werkstattrisikos umfassend schützen. Bei diesem konkreten Fall betont der BGH aber mehrfach, dass es unstreitig gewesen ist, dass die angeführten Arbeiten tatsächlich durchgeführt worden sind. Gestritten wurde nur über die Höhe der erforderlichen Reparaturkosten wie etwa Kosten für den Aus- und Einbau einer Seitenscheibe, die Verwendung von Lackierrädern oder die Fahrzeugreinigung. Damit hat der BGH es offen gelassen, wie zu verfahren ist, wenn der Einwand erfolgt, dass diese Reparaturkosten gar nicht durchgeführt worden sind.

Bedeutung der dolo agit Einrede bei Abtretung

Unabhängig davon wird häufig in der Praxis nicht vom Geschädigten selbst, sondern von dem betroffenen Reparaturbetrieb aus abgetretenem Recht vorgegangen und notfalls auch geklagt. Für diese Fallgruppe weist der BGH darauf hin, dass in der Tat der schadenersatzrechtliche Anspruch des Geschädigten der Höhe nach von dem Vergütungsanspruch des von ihm eingeschalteten Reparaturbetriebes abweichen kann – nämlich immer dann, wenn der Reparaturbetrieb eine Vergütung erhält, die nach werkvertraglichen Grundsätze nicht hätte verlangt werden können, wobei insoweit auch eine Vielzahl an Einwendungen denkbar sind. In der Praxis hat sich bisher bei den unterinstanzlichen Gerichten diesbezüglich der Einwand einer Dolo-Agit-Einrede aus § 242 BGB etabliert, wenn z.B. der Betrieb aus abgetretenem Recht vorgeht. Denn es macht wenig Sinn, wenn der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners die geforderten Reparaturkosten an den Werkstattbetrieb (oder auch die Gutachterkosten an einen Sachverständigen) auszahlt, während die Werkstatt (bzw. der Sachverständige) zugleich wieder unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu einer Rückzahlung der deutlich zu hohen Forderung verpflichtet wäre (vgl. anschaulich OLG Dresden, Schaden Praxis 2014, 201). Ob die Dolo-Agit-Einrede in dieser Konstellation die dogmatisch zutreffende Lösung darstellt und welche Anforderungen hieran zu stellen sind, hat der BGH offen gelassen, da in dem vom ihm zu entscheidenden Fall bereits eine Aktivlegitimation gefehlt hat.

RA und FA für VerkehrsR und VersR Dr. Michael Nugel, Essen

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