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Anwendbares Recht nach Rechtsänderung

Wird der Rechtsanwalt durch den späteren Nebenkläger bereits im Ermittlungsverfahren sowohl für dieses als auch für ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren beauftragt, handelt es sich gebührenrechtlich um verschiedene Aufträge und nicht um einen Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit. Der Auftrag für das nachfolgende Gerichtsverfahren ist zudem bedingt durch die Anklageerhebung, sodass für die gebührenrechtliche Betrachtung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG der spätere Zeitpunkt des Bedingungseintritts maßgeblich ist.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Celle, Beschl. v. 22.9.20221 Ws 51/22

I. Sachverhalt

Vollmacht zur Vertretung am 16.12.2020

In Rahmen eines gegen den Angeklagten u.a. wegen des Verdachts der Begehung eines versuchten Tötungsdeliktes zum Nachteil des Geschädigten der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahrens legitimierte sich der Rechtsanwalt gegenüber der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 14.12.2020 für den Geschädigten und beantragte zunächst Akteneinsicht. Die vom Geschädigten unterzeichnete schriftliche Vollmacht datiert vom 16.12.2020 und ermächtigte den Rechtsanwalt zur außergerichtlichen und gerichtlichen Erledigung für alle Instanzen, insbesondere die Verteidigung in einem Strafverfahren einschließlich der Vorverfahren. Im weiteren Verfahrensgang wurde der Rechtsanwalt noch im Ermittlungsverfahren mit Beschluss 23.2.2021 als Beistand des Geschädigten nach §§ 397a Abs. 1, 406h Abs. 3 StPO bestellt.

Anklage am 29.3.2021

Am 29.3.2021 hat die Staatsanwaltschaft dann Anklage zum Schwurgericht erhoben. Die Anklage wurde mit Beschl. v. 6.5. 2021 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit demselben Beschluss hat das LG den Geschädigten als Nebenkläger unter Beiordnung des Rechtsanwalts zu.

Streit um Anwendung des neuen Rechts

Mit Urt. v. 22.9.2021 wurde der Angeklagte vom LG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde; darüber hinaus wurden ihm u.a. die dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Auslagen auferlegt. Der Beschwerdeführer nahm an mehreren Hauptverhandlungsterminen teil und legte nachfolgend Revision gegen das am 22.9.2021 verkündete Urteil des Schwurgerichts ein. Nach Verfahrensbeendigung beantragte der Rechtsanwalt gegenüber der Staatskasse die Festsetzung seiner im Ermittlungsverfahren, erstinstanzlichen Verfahren sowie Revisionsverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 6.657,34 EUR. Er legte dabei für sämtliche Verfahrensabschnitte die Gebührensätze in der ab dem 1.1.2021 geltenden Fassung des RVG zugrunde. Die UdG brachte hingegen unter Verweis auf die Vorschrift des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebührensätze für sämtliche Verfahrensabschnitte in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung in Ansatz und setzte die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen lediglich auf 5.883,36 EUR fest. Die hiergegen eingelegte Erinnerung des Rechtsanwalts wies das LG als unbegründet zurück. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Rechtsanwalts hatte Erfolg. Das OLG hat zugunsten des Rechtsanwalts auch die über den zuerkannten Betrag hinausgehenden 739,47 EUR zuerkannt.

II. Entscheidung

Umfassender Auftrag für…

Für die Beurteilung der Frage, ob für das gerichtliche Strafverfahren altes oder neues Gebührenrecht anzuwenden ist, seien – so das OLG – zwar sowohl die UdG als auch das LG zutreffend davon ausgegangen, dass sich dies maßgeblich danach richtet, ob dem Rechtsanwalt hier nach § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG ein unbedingter Auftrag zur Durchführung vor oder nach dem 1.1.2021 (Inkrafttreten KostRÄG 2021) erteilt worden sei.

… Ermittlungsverfahren und gerichtliches Verfahren

Bei der Beurteilung sei jedoch unberücksichtigt geblieben, dass es sich nach § 17 Nr. 10a RVG bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und dem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren um verschiedene Angelegenheiten handelt (vgl. Volpert StraFo 2021, 188, 189; Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 105, 142). So gehe das LG zwar zu Recht davon aus, dass bereits im Jahr 2020 eine umfassende Vertretung des Geschädigten im Ermittlungsverfahren sowie in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren durch den Geschädigten beauftragt worden sei. Denn hierfür hätten schon die Gesichtspunkte gesprochen, dass gegen den Angeklagten ein Haftbefehl ergangen war und eine zeitnahe Anklageerhebung zu erwarten gewesen. Auch habe der Rechtsanwalt bereits mit Schriftsatz vom 4.1.2021 die Bestellung als Beistand nach § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO und die Zulassung als Nebenkläger im Namen des Geschädigten beantragt, was belege, dass er mit einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren in absehbarer Zeit gerechnet habe.

… aber gebührenrechtlich verschiedene Aufträge

Trotz dieser umfassenden Beauftragung durch den Geschädigten sowohl für das Ermittlungsverfahren als auch ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren handele es sich vorliegend ungeachtet der zeitgleichen Beauftragung nach § 17 Nr. 10a RVG gebührenrechtlich um verschiedene Aufträge und nicht um einen Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit (Gerold/Schmidt, RVG 25. Aufl., § 60 Rn 6). Ein unbedingter Auftrag zur Erledigung der Vertretung des Geschädigten in einem gerichtlichen Verfahren vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung zum 1.1.2021 habe hingegen gerade nicht vorgelegen, sodass die Vorschrift des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG vorliegend nicht zum Tragen komme. Zum Zeitpunkt der Auftragsannahme durch den Rechtsanwalts Ende des Jahres 2020 hätten vielmehr gleichzeitig ein unbedingter Auftrag für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein bedingter Auftrag für ein nachfolgendes Strafverfahren vorgelegen. Letzteres habe unter der Bedingung einer Anklageerhebung durch die Strafverfolgungsbehörde gestanden, sodass für die gebührenrechtliche Betrachtung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG der spätere Zeitpunkt des Bedingungseintritts maßgeblich war (vgl. Burhoff/Volpert/Volpert, RVG, §§ 60 f. Rn 13; Toussaint/Toussaint, Kostengesetze 52. Aufl. 2022, § 60 RVG Rn 9). Die Anklageerhebung und damit die Überleitung in ein gerichtliches Strafverfahren sei am 29.3.2021 erfolgt, sodass für die Kostenfestsetzung für das gerichtliche Verfahren das ab dem 1.1.2021 geltende RVG zugrunde zu legen gewesen sei. Auf der Grundlage seien auch noch die 739,47 EUR zuzusprechen gewesen.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

1. Die Entscheidung ist zutreffend. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und das gerichtliche Verfahren sind seit den Änderungen des § 17 RVG durch das 2. KostRMoG unterschiedliche gebührenrechtliche Angelegenheiten, für die dann auch unterschiedliches Recht gelten kann. Das ist, worauf alle Gerichte zutreffend hingewiesen habe, nach § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG abhängig davon, wann der unbedingte Auftrag erteilt worden ist. Und das ist hier eben für das gerichtliche Verfahren erst nach dem 1.1.2021 geschehen. Der Auftrag stand unter der Bedingung der Anklageerhebung. Diese ist Voraussetzung für das gerichtliche Verfahren und damit für eine Vertretung des Geschädigten im gerichtlichen Verfahren.

Gilt auch für Verteidiger

2. Die Entscheidung gilt nicht nur für die Auftragserteilung im Nebenklagemandat, sondern auch für die Erteilung des Auftrags zur Verteidigung eines Beschuldigten. Auch das Tätigwerden im gerichtlichen Verfahren für den Beschuldigten hängt von der Anklageerhebung ab.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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