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Zwischenbescheid bei Widerspruch gegen Verwertung eines Beweismittels

1. Dass bei einem standardisierten Messverfahren (hier: PoliScan FM1, Softwareversion 4.4.9) Messdaten nicht gespeichert werden, führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Die Verwertbarkeit des Messergebnisses hängt nicht von der Rekonstruierbarkeit des Messvorgangs anhand gespeicherter Messdaten ab.

2. Wird in der Hauptverhandlung Widerspruch gegen die Verwertung eines Beweismittels erhoben, ist es von Rechts wegen nicht geboten, dass sich das Tatgericht hierzu durch einen Zwischenbescheid oder in den Urteilsgründen äußert. Das Unterbleiben einer tatrichterlichen Äußerung zu dem Verwertungswiderspruch verletzt weder den Anspruch auf rechtliches Gehör noch den Grundsatz des fairen Verfahrens.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.2.20222 RBs 25/22

I. Sachverhalt

Widerspruch gegen Beweismittelverwertung nicht beschieden

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Der Einzelrichter hat die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit zur Fortbildung des Rechts zugelassen und hat die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Der Betroffene hatte die Sachrüge erhoben und verfahrensrechtlich beanstandet, dass das mit dem Laserscanner PoliScan FM1 (Softwareversion 4.4.9) ermittelte Messergebnis mangels Speicherung von Messdaten einem Beweisverwertungsverbot unterliege und das AG den dazu durch den Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung angebrachten Widerspruch weder in der Sitzung noch in den Urteilsgründen beschieden habe. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde verworfen.

II. Entscheidung

Die zulässigen Verfahrensrügen hatten keinen Erfolg.

Nachträgliche Überprüfbarkeit

Das OLG weist darauf hin, dass der Senat und andere Oberlandesgerichte bereits mehrfach entschieden haben, dass der Messvorgang nicht rekonstruierbar sein muss und die Verwertbarkeit des Messergebnisses nicht von der nachträglichen Überprüfbarkeit anhand gespeicherter Messdaten abhänge (vgl. u.a. BayObLG DAR 2020, 145 = NZV 2020, 322 m. Anm. Sandherr; KG VRS 137, 79; OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.9.2019 – 1 Z Ss (Owi) 320/19; Beschl. v. 20.11.2019 – (Z) 53 Ss-Owi 661/19 (381/19); OLG Bremen, Beschl. v. 6.4.2020 – 1 SsRs 10/20; OLG Dresden, Beschl. v. 9.11.2020 – OLG 23 Ss 620/20 (Z); OLG Düsseldorf NStZ 2021, 112; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 6.11.2019 – 2 Rb 35 Ss 808/19; OLG Hamm zfs 2020, 292; OLG Köln DAR 2019, 695; OLG Oldenburg VRR 3/2020, 20; OLG Stuttgart DAR 2019, 697, 19; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 20.2.2020 – 1 Owi 2 Ss Bs 122/19, a.A. VerfGH Saarland NJW 2019, 2456 = NZV 2019, 414). Daran hält das OLG fest. Die Möglichkeit einer nachträglichen Überprüfung anhand gespeicherter Messdaten bestehe etwa auch nicht bei der als standardisiertes Messverfahren anerkannten Geschwindigkeitsmessung mit dem nicht dokumentierenden Lasermessgerät Riegl FG 21-P („Laserpistole“). Auch kennen andere Messmethoden wie etwa die Verwendung von digitalen Waagen, Entfernungsmessern, Thermometern und Geräten zur Bestimmung der Atemalkoholkonzentration in der Regel keine Speicherung von Messdaten, ohne dass Gerichte oder der Gesetzgeber (vgl. § 24a Abs. 1 StVG für die Atemalkoholkonzentration) deshalb zur Annahme eines rechtsstaatlichen Defizits gelangt wären.

Bescheidung des Widerspruchs

Auch habe der Widerspruch, den der Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung gegen die Verwertung des mit dem Laserscanner PoliScan FM1 (Softwareversion 4.4.9) ermittelten Messergebnisses angebracht hat, keiner Bescheidung durch das Amtsgericht beduft, so dass insoweit weder das rechtliche Gehör versagt noch der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt worden sei. Nach der sog. Widerspruchslösung der Rechtsprechung bestehe kein Beweisverwertungsverbot, wenn der verteidigte oder insoweit richterlich belehrte Angeklagte der Beweisverwertung nicht bis zu dem in § 257 Abs. 1 StPO genannten Zeitpunkt widerspreche (vgl. – so das OLG – statt vieler BGH NStZ 2006, 348; 1997, 502; OLG Hamm NJW 2009, 242). Fehle es an einem solchen Widerspruch, führt dies für die Revision zur Rügepräklusion (vgl. BGH NJW 2015, 265, 266; 2018, 2279; OLG Celle NStZ 2014, 118, 119). Die Widerspruchsobliegenheit bestehe auch im Bußgeldverfahren (vgl. u.a. OLG Düsseldorf DAR 2020, 209).

Hauptverhandlung

Werde in der Hauptverhandlung seitens der Verteidigung Widerspruch gegen die Verwertung eines Beweismittels erhoben, sei ein Zwischenbescheid, in dem sich das Tatgericht zur Frage eines Beweisverwertungsverbots äußern müsste, nicht vorgesehen, wenn auch nicht unzulässig (vgl. BGH NStZ 2007, 719; nachfolgend in der derselben Sache BVerfG, Beschl. v. 18.3.2009 – 2 BvR 2025/07). Der Widerspruch diene der Vermeidung der Rügepräklusion und solle dem Tatgericht in der Hauptverhandlung verfahrensfördernd die Möglichkeit und Veranlassung geben, dem gerügten Verfahrensfehler freibeweislich nachzugehen (vgl. BGH NJW 2007, 3587, 3589; 2018, 2279, 2280). Ein solcher Aufklärungsbedarf habe hier nicht bestanden, da die tatsächlichen Gegebenheiten des hier verwendeten Messverfahrens (Laserscanner PoliScan FM1, Softwareversion 4.4.9) bekannt seien. Zudem habe der Verteidiger selbst ein Privatgutachten vorgelegt, das sich grundsätzlich mit diesem Messgerätetyp nebst neuer Softwareversion wie auch mit der konkreten Messung befasste. Im Übrigen habe sich der Verteidiger – der Betroffene war nach Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen selbst nicht anwesend – auch ohne ausdrückliche Erklärung des Amtsgerichts auf das weitere OLG einstellen können. Denn das AG habe das Messergebnis (Messprotokoll, Datenfeld des Messfotos, XML-Datei) nach Erhebung des Widerspruchs in die Hauptverhandlung eingeführt, was darauf schließen ließ, dass es diese Beweismittel auch unter Berücksichtigung des Widerspruchs und dessen Begründung verwerten wollte.

Urteil

Auch in dem schriftlichen Urteil habe das AG den Widerspruch nicht bescheiden müssen. Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln seien in § 267 OLG nicht vorgesehen und von Rechts wegen nicht geboten (vgl. BGH NJW 2009, 2612, 2613; NStZ-RR 2007, 244). Welches Messverfahren verwendet worden sei, sei im Urteil festgestellt worden. Anders als etwa im Falle der Beanstandung einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung habe es im Hinblick auf das geltend gemachte Beweisverwertungsverbot keiner weiteren Sachaufklärung bedurft. Durch die Verwertung des Messergebnisses habe das Amtsgericht inzident klar zum Ausdruck gebracht, dass es den zur Kenntnis genommenen Widerspruch nicht für durchgreifend erachtet hat und Rechtsprechung des übergeordneten Senats wie auch zahlreicher anderer OLG gefolgt sei. Ein Erkenntnisgewinn für den Verteidiger, dem diese Rechtsprechung ohnehin bekannt sei, hätte sich nicht ergeben, wenn der Widerspruch in den Urteilsgründen unter Hinweis auf einige Fundstellen der ständigen OLG-Rechtsprechung ausdrücklich beschieden worden wäre.

III. Bedeutung für die Praxis

Nachträgliche Überprüfbarkeit

1. Zur nachträglichen Überprüfbarkeit entspricht der Beschluss der h.M. in der Rechtsprechung der OLG. Man wird sehen, was das BVerfG – hoffentlich bald – dazu sagt.

Widerspruch als Obliegenheit

2. Zur Widerspruchslösung ist die Entscheidung ebenfalls wohl zutreffend. Allerdings ist insoweit anzumerken, dass der Obersatz des OLG: „Nach der sog. Widerspruchslösung der Rechtsprechung besteht kein Beweisverwertungsverbot, wenn der verteidigte oder insoweit richterlich belehrte Angeklagte der Beweisverwertung nicht bis zu dem in § 257 Abs. 1 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht“ zumindest missverständlich ist. Die Frage des Widerspruchs hat nämlich nichts mit dem Bestehen eines Beweisverwertungsverbotes zu tun. Sondern: Das Beweisverwertungsverbot besteht, nur muss der Betroffene es auch in der Hauptverhandlung geltend machen, und zwar eben mit dem Widerspruch. Denn bei dem handelt es sich um eine den Betroffenen bzw. Verteidiger treffende Obliegenheit, deren Erfüllung nicht Voraussetzung für das Bestehen des Beweisverwertungsverbotes ist, sondern für die Verfahrensrüge in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist. Nur, wenn widersprochen worden ist und das auch vorgetragen wird, kann die Verfahrensrüge durchgreifen.

Bescheidung des Widerspruchs

3. Nach der Rechtsprechung des BGH muss sich das Gericht zu dem Widerspruch in der Hauptverhandlung nicht in der Form eines Zwischenbescheids äußern, kann das aber tun, was sich im Hinblick auf das rechtliche Gehör vor allem empfehlen dürfte, wenn nicht aus dem weiteren Verlauf der Hauptverhandlung erkennbar wird, wie das Gericht mit dem geltend gemachten Widerspruch und damit mit dem Beweisverwertungsverbot umgeht. Das dürfte hier in der Tat der Fall gewesen sein. Entsprechendes gilt für die Bescheidung des Widerspruchs im Urteil. Zu dem muss sich das Gericht im Urteil nicht äußern, wohl aber zu dem Beweisverwertungsverbot, ggf. eben auch nur inzidenter.

Antrag stellen

4. Wenn der Verteidiger sicher gehen und sicher erfahren will, was das Gericht von dem geltend gemachten Beweisverwertungsverbot hält, sollte er einen entsprechenden Antrag, ggf. einen Beweisantrag oder einen, Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung, stellen. Den muss das Gericht – schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör – bescheiden.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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