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VRR-Kompakt 2022_10

Verkehrsunfall: Hinterbliebenengeld für den Vater eines getöteten 11jährigen Kindes

Ohne eine pathologisch fassbare Auswirkung sind auch Depressionen, Schlafstörungen, Alpträume, Seelenschmerzen, Weinkrämpfe, Gefühle des „Aus-der-Bahn-geworfen-seins“ und vorübergehende Kreislaufstörungen bis hin zu Kollaps-Belastungen, in denen sich nach der Wertung des Gesetzes lediglich das „normale“ Lebensrisiko der Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt verwirklicht, nicht ausreichend für die Annahme eines sogenannten „Schockschadens“. Alleine die von ärztlicher Seite für notwendig erachtete Behandlung, weil der Tod des Sohnes nicht verarbeitet werden kann, belegt noch keine nach der allgemeinen Verkehrsauffassung bestehende Gesundheitsverletzung. Von wesentlicher Bedeutung bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes sind dabei die gesundheitlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Klägers. Zu berücksichtigen sind auch die familiären Belastungen, insbesondere im Verhältnis zu seiner Ehefrau sowie die grobe Fahrlässigkeit des Unfallverursachers. Es erscheint dabei angemessen, auch das Hinterbliebenengeld im Bereich des Durchschnitts von 10.000,00 EUR anzusetzen und diesen Durchschnittsbetrag wegen des besonders schmerzlichen Verlustes eines minderjährigen Kindes mit messbaren Krankheitsfolgen (Anpassungsstörung und leichte Depression) auf 15.000,00 EUR zu erhöhen.

OLG Celle, Urt. v. 24.8.2022 – 14 U 22/22

Haushaltsführungsschaden: Bestimmung des Stundensatzes

Bei der Bestimmung des Stundensatzes beim Haushaltsführungsschaden kann gem. § 287 ZPO eine Schätzung in Höhe des vom Gesetzgeber vorgegebenen Betrags (Stundensatz) in § 21 JVEG erfolgen.

LG Tübingen, Urt. v. 15.9.2022 – 5 O 29/21

Unfallschadenregulierung: Ersatz von Rechtsanwaltskosten

Zutreffender Maßstab für den Ersatz von durch einen Verkehrsunfall entstandene Rechtsverfolgungskosten ist, ob zum Zeitpunkt der erstmaligen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen angesichts der Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Schädigerin (oder ihre Haftpflichtversicherung) ihre Leistungspflicht in Abrede stellen würde oder auch nur in Teilen verweigern wollte.

AG Ahrensburg, Urt. v. 17.8.2022 – 49b C 120/22

Dieselskandal: Verjährung

Den Geschädigten trifft im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind (für Ad-Hoc-Mitteilung im Dieselskandal).

BGH, Urt. v. 25.8.2022 – VII ZR 23/21

Dieselskandal: Sittenwidrige Schädigung

Der Vorwurf, der Motorenersteller habe es versäumt, auf europäischer Ebene eine verbindliche Aussage zur Zulässigkeit des von ihm eingesetzten Thermofensters einzuholen, kann eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung nicht begründen.

OLG Dresden, Beschl. v. 2.9.2022 – 4 U 206/22

Berufungsverwerfung: Prüfung der Fristwahrung

Das Berufungsgericht hat gemäß § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen, ob die Frist zur Begründung der Berufung gewahrt worden ist. Erst nach Ausschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisse gehen etwa noch vorhandene Zweifel zu Lasten des Rechtsmittelführers.

BGH, Beschl. v. 13.7.2022 – VII ZB 29/21

Einfache Signatur: Anforderungen

Die einfache Signatur im Sinne des § 130 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 ZPO mint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes, beispielsweise bestehend aus einem maschinenschriftlichen Namenszug unter dem Schriftsatz oder einer eingescannten Unterschrift. Nicht genügend ist das Wort „Rechtsanwalt“ ohne Namensangabe (Anschluss an BAGE 172, 186 = NJW 2020, 3476 und BSG NJW 2022, 1334).

BGH, Beschl. v. 7.9.2022 – XII ZB 215/22

Unfallflucht. Entziehung der Fahrerlaubnis

Verzichtet eine nicht vorbelastete 92-jährige Angeklagte nach einer Unfallflucht mit Sachschaden auf ihre Fahrerlaubnis, so kann das Verfahren nach § 153 StPO eingestellt werden.

AG Dortmund, Beschl. v. 1.8.2022 – 729 Cs-266 Js 575/22-42/22

Bildung einer Rettungsgasse: Überlegungsfrist

Eine Rettungsgasse ist zu bilden, „sobald Fahrzeuge… mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden.“ Damit wird hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Überlegungsfrist nicht besteht, die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse vielmehr sofort eingreift, nachdem die in § 11 Abs. 2 StVO beschriebene Verkehrssituation eingetreten ist.

OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.9.2022 – 2 Ss(OWi) 137/22

Notwendige Verteidigung: Scheinverteidiger

In einem Fall der notwendigen Verteidigung (§§ 140 ff. StPO) begründet die alleinige Mitwirkung eines nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassenen „Scheinverteidigers“ an der Hauptverhandlung den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.

BGH, Beschl. v. 30.8.2022 – 4 StR 117/22

Berufung: Entziehung der Fahrerlaubnis

Das Berufungsgericht kann die Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO (erneut) entziehen, wenn das Amtsgericht trotz Vorliegens eines Regelfalls des § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB keine Ausführungen zur unterbliebenen Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis macht.

LG Arnsberg, Beschl. v. 18.8.2022 – 3 Ns-180 Js 715/21-98/22

Halterhaftung: rechtzeitige Übersendung des Verwarnangebots

Liegen zwischen einem vorgeworfenen Parkverstoß und dem Ausdrucken und dem sich daran anschließenden Versenden des Verwarnangebots fünf Wochen, kann nicht mehr von einer umgehenden und rechtzeitigen Übersendung des Verwarnangebots ausgegangen werden.

AG Herne, Beschl. v. 15.8.2022 – 22 OWi 140/22 (b)

Beratungshilfe: Elektronische Antragstellung

Wird ein Vergütungsfestsetzungsantrag elektronisch eingereicht, ist nicht zwingende Voraussetzung für die Festsetzung der Beratungshilfevergütung des die Beratungsleistung erbringenden Rechtsanwaltes, dass der Beratungshilfeschein im Original eingereicht wird.

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.6.2022 – 10 W 47/22

Nebenkläger: Ermittlungsverfahren/gerichtliches Verfahren

Wird der Rechtsanwalt durch den späteren Nebenkläger bereits im Ermittlungsverfahren sowohl für dieses als auch für ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren beauftragt, handelt es sich gebührenrechtlich um verschiedene Aufträge und nicht um einen Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit. Der Auftrag für das nachfolgende Gerichtsverfahren ist zudem bedingt durch die Anklageerhebung, sodass für die gebührenrechtliche Betrachtung nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG der spätere Zeitpunkt des Bedingungseintritts maßgeblich ist.

OLG Celle, Beschl. v. 22.9.2022 – 1 Ws 51/22

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