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Leistungsfreiheit des Kraftfahrtversicherers bei einem Nachtrunk

1. Wenn der Versicherungsnehmer in Kenntnis eines verursachenden Fremdschadens und den laufenden Ermittlungen der Polizei nach dem Verkehrsunfall einen Nachtrunk zu sich nimmt und dies zu einem BAK von 0,7 ‰ führt, wird sein Kaskoversicherer wegen einer Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls leistungsfrei.

2. Der Versicherer ist dann zu einer vollständigen Leistungskürzung wegen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung berechtigt, wenn dem VN diese Obliegenheit ebenso wie der entstandene Fremdschaden bekannt ist und er es billigend in Kauf nimmt, dass eine sichere Feststellung eines möglichen Alkoholisierungsgrades vor dem Unfallereignis vereitelt wird.

(Leitsätze des Verfassers)

OLG Braunschweig, Beschl. v. 28.2.202211 U 176/20

I. Sachverhalt

Alkoholisierung nach Unfall und eingeräumten Nachtrunk

Der Kläger hatte als Versicherungsnehmer der beklagten Kraftfahrtversicherung einen Verkehrsunfall mit einem Fremdschaden verursacht, bei dem unter anderem ein Laternenmast als fremdes Rechtsgut als auch sein eigenes bei der Beklagten vollkaskoversichertes Fahrzeug beschädigt worden ist. Bevor er sodann von der Polizei aufgesucht und zu dem Unfallereignis befragt werden konnte, hatte er zu Hause nach eigenen Angaben im erheblichen Umfang Alkohol zu sich genommen, obwohl er den entstandenen Fremdschaden wahrgenommen hatte. Eine Blutprobenentnahme ergab einen Alkoholisierungsgrad von 0,7 ‰ und vor diesem Hintergrund verweigerte die beklagte Kaskoversicherung einen Ausgleich des am klägerischen Fahrzeug entstandenen Schadens wegen einer Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls.

II. Entscheidung

Obliegenheitsverletzung durch Nachtrunk

Das OLG Braunschweig hat als Berufungsgericht diese Einschätzung bestätigt. Nach Abschnitt E 1.3 der hier vereinbarten AKB hätte der Kläger als Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls alles zu tun gehabt, was der Aufklärung des Schadens dienen könnte. Und in diesem Zusammenhang würde ihn die Pflicht treffen, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zum Alkoholkonsum des Fahrers zu ermöglichen. Selbst bei einem unterstellten ersten berechtigten Entfernen vom Unfallort würde der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit auch durch einen Nachtrunk verletzten und im Fall wie hier in die Beschädigung fremder Rechtsgüter könne ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die vertragliche Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers auch eine Verpflichtung enthält, diesen Sachverhalt notfalls zur Entnahme einer Blutprobe aufzuklären.

Insoweit wäre auch zu beachten gewesen, dass der Kläger mit weiteren polizeilichen Ermittlungen und einer Blutprobenentnahme zu rechnen gehabt hätte, nachdem ein Fremdschaden entstanden wäre und sein Vater am Unfallort für die weitere Information der herbeigerufenen Polizei verblieben war. Durch den Konsum von Alkohol nach dem Eintritt des Versicherungsfalls könnte der Versicherer keine sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungsverpflichtung mehr vornehmen, soweit es insbesondere um die Aufklärung einer möglichen Alkoholisierung gegangen wäre.

Vorsatz bei Parallelwertung in der Laiensphäre bejaht

Dieser objektive Verstoß gegen die Aufklärungspflichten wäre auch vorsätzlich erfolgt. Denn bei dem eingetretenen offensichtlichen Schaden an der Straßenlaterne ist davon auszugehen, dass der Kläger diesen auch bemerkt und mit weiteren Ermittlungen der Polizeibeamten rechnen musste. Soweit vorsätzliches Handeln auch das Bewusstsein erfordern würde, gegen eine bestehende Verhaltensnorm zu verstoßen, wäre hier eine Parallelbewertung in der Laiensphäre ausreichend und danach wäre auch hier das Bewusstsein des Versicherungsnehmers zu bejahen, gegen eine allgemein bekannte Verpflichtung zu verstoßen. Dazu gehört auch das Allgemeinwissen, dass selbst bei einem berechtigten Entfernen vom Unfallort die erforderlichen Feststellungen, zu welchen auch der Grad der Alkoholisierung zum Unfallzeitpunkt gehört, unverzüglich nachträglich zu ermöglichen und dies wäre allgemein bekannt – Umstände in der Person des Klägers, die gegen eine solche Kenntnis sprechen würden, wären auch nicht ersichtlich.

Kein Kausalitätsgegenbeweis

Ob der Kläger die Obliegenheit sogar arglistig hier verletzt hätte, könne vorliegend dahinstehen, da dem Kläger in jedem der Kausalitätsgegenbeweis nicht möglich gewesen wäre. Er hätte dafür den Nachweis erbringen müssen, dass die Feststellungen selbst im Ergebnis nicht zum Nachteil des Versicherers beeinflusst worden sind. Derart sichere Feststellungen wären vorliegend auch nicht möglich und auch nicht die Eltern des Klägers als Zeugen zu vernehmen, da diese den Kläger in dem letzten Zeitraum von 1 bis 2 Stunden bis zum Unfallzeitpunkt nicht durchgehend begleitet hätten und insoweit keine aussagekräftigen Angaben tätigen könnten.

III. Bedeutung für die Praxis

Nachtrunk als Obliegenheitsverletzung anerkannt

Dass ein Versicherungsnehmer durch einen entsprechenden Nachtrunk die ihm obliegende Aufklärungsobliegenheit im erheblichen Umfang verletzen kann, entspricht ständiger Rechtsprechung (grundlegend bereits BGH, Urt. v. 22.5.1970 – IV ZR 1084/68). Die Aufklärungsobliegenheit umfasst dabei auch die Verpflichtung, sich notfalls auch von der polizeilich angeordneten, nicht durch Nachtrunk verfälschte Blutprobe bereit zu halten und die Aufklärung eines möglichen Alkoholisierungsgrades zu ermöglichen (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.1999 – IV ZR 71/99; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.4.2020 – 12 U 120/19).

Zeugen können fehlende Alkoholisierung nicht sicher belegen

Die Frage einer Quotenbildung bei der Leistungsfreiheit hat sich vorliegend nicht gestellt, da in dieser besonderen Konstellation mit einer eigenen Alarmierung der Polizei über seinen Vater und in Kenntnis des Fremdschadens in der Tat durch den Senat zu Recht darauf hingewiesen worden ist, dass hier von einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung unter Berücksichtigung der entsprechenden Parallelwertung in der Laiensphäre bezüglich dieser allgemein bekannten Verpflichtung auszugehen ist. Solange allerdings kein arglistiges Verhalten im Sinne des § 28 Abs. 3 S. 2 VVG vorliegt, steht dem Versicherungsnehmer immer offen, den sogenannten Kausalitätsgegenbeweis zu führen. Dieser ist aber immer zum Scheitern verurteilt, wenn nicht mehr sicher aufgeklärt werden kann, inwieweit zum Unfallzeitpunkt nicht doch eine Alkoholisierung bestanden hat – dafür müssen gesicherte objektive Feststellungen möglich sein und ansonsten geht der Kausalitätsgegenbeweis ins Leere (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 16.10.2014 – 7 U 121/14; OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 2.4.2015 – 14 U 208/14). Nach dieser Rechtsprechung ist es im Regelfall auch sehr schwierig, den hierfür notwendigen Nachweis durch die Vernehmung von benannten Zeugen zu erbringen – im vorliegenden Einzelfall kam es darauf auch gar nicht an, da diese den Fahrer in der unmittelbaren entscheidungserheblichen Zeit vor dem Unfallereignis gar nicht begleitet hatten.

RA und FA für VerkehrsR und VersR Dr. Michael Nugel, Essen

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