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Feststellungen bei der Drogenfahrt

Der Nachweis einer drogenbedingten Fahrunsicherheit im Sinne von § 316 StGB kann nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden.

(Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 2.8.20224 StR 231/22

I. Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilt.

Tat vom 22.2.2021

Nach den Feststellungen bewegte der unter dem Einfluss von Cannabis und Amphetamin stehende Angeklagte am 22.2.2021 seinen Pkw im öffentlichen Straßenverkehr. Um sich wegen seiner fehlenden Fahrerlaubnis einer Polizeikontrolle zu entziehen, beschleunigte er das Fahrzeug in der Innenstadt von G. auf bis zu 100 km/h und überholte andere Verkehrsteilnehmer. Durch deren Brems- und Ausweichmanöver konnten Zusammenstöße verhindert werden. Der Angeklagte fuhr sodann auf die Autobahn auf und dort „Schlangenlinien“, so dass die verfolgenden Polizeibeamten aufschließen konnten. Nach dem Verlassen der Autobahn überfuhr der Angeklagte eine rote Ampel. Er verlor schließlich beim Abbiegen am nächsten Ortseingang die Kontrolle über sein Fahrzeug, das in einem Graben zum Stehen kam.

Tat vom 11.3.2021

Am 11. 3.2021 flüchtete der Angeklagte unter den gleichen Umständen erneut vor der Polizei. Hierbei hielt er seinen Pkw im Stadtgebiet von S. zunächst an, um den Anschein zu erwecken, dem Anhaltesignal Folge zu leisten. Als auch der Streifenwagen anhielt, beschleunigte der Angeklagte sein Fahrzeug. Nach dem Abbiegen in einen Feldweg fuhr er sich – der Erwartung der ihm folgenden Polizeibeamten entsprechend – dort fest. Er setzte sodann seinen Pkw an dem stehenden Einsatzfahrzeug vorbei im Vertrauen darauf zurück, dieses nicht zu beschädigen. Es kam jedoch zu einer Kollision mit der geöffneten Beifahrertür des Streifenwagens. Der Angeklagte fuhr nach einer kurzen Fahrtstrecke eine Böschung hinunter, wo sich sein Fahrzeug im Bewuchs festsetzte.

Blutproben

Dem Angeklagten an den Tattagen entnommene Blutproben wiesen jeweils 320 Mikrogramm Amphetamin sowie bei der ersten Fahrt 3,4 Mikrogramm THC und bei der zweiten Fahrt 17 Mikrogramm THC pro Liter Blut auf.

Ausführungen des LG

Das LG hat die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten zunächst mit dessen geständiger Einlassung zum Konsum von Betäubungsmitteln und mit den Ergebnissen der Blutproben begründet. Im Übrigen hat es lediglich ausgeführt, dass die Feststellungen zum Fahrverhalten des Angeklagten auf dessen Einlassung – der ein Einfluss seiner Intoxikation nicht zu entnehmen ist („in Panik geraten“).

II. Entscheidung

Blutwirkstoffbefund allein nicht maßgebend

Diese Ausführungen waren nach Auffassung des BGH nicht ausreichend, so dass er das angefochtene Urteil insoweit aufgehoben hat. Der Nachweis einer drogenbedingten Fahrunsicherheit im Sinne von § 316 StGB könne – wovon auch das LG ausgegangen sei – nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedürfe weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt gewesen sei, dass er nicht mehr fähig gewesen sei, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (st. Rspr.; vgl. u.a. BGHSt 44, 219, 221 ff:, BGH StraFo 2017, 113). Dies habe das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen (vgl. BGHSt 31, 42, 44 ff.; Pegel in MüKo-StGB, 3. Aufl., § 316 Rn 53). Hier scheine das LG in dem grob fehlerhaften und risikoreichen Fahrverhalten des Angeklagten drogenbedingte Ausfallerscheinungen (vgl. hierzu BGHSt 31, 42, 45; König in LK-StGB, 13. Aufl., § 316 Rn 97) erblickt zu haben. Eine diese Annahme tragende Beweiswürdigung sei den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen. Diese wäre aber erforderlich gewesen, denn es verstehe sich unter den hier gegebenen Umständen auch nicht etwa von selbst, dass in dem festgestellten Fahrverhalten des Angeklagten eine drogenbedingte Fahrunsicherheit zum Ausdruck gekommen sei. Dabei hätte insbesondere in die Beurteilung einfließen müssen, dass das Fahrverhalten des Angeklagten in beiden Fällen darauf ausgerichtet gewesen sei, sich von ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen abzusetzen. Die Strafkammer hätte nach Auffassung des BGH deshalb erörtern müssen, ob und inwieweit die fehlerhafte und riskante Fahrweise des Angeklagten nicht auf seinem Fluchtwillen beruhte (vgl. dazu BGH StraFo 2017, 113; Beschl. v. 11.2.2014 – 4 StR 520/13 m.w.N.). Die nicht weiter konkretisierte Feststellung, der Angeklagte sei auf der Autobahn „Schlangenlinien“ gefahren, sei für sich genommen noch nicht geeignet, seine Fahruntüchtigkeit bei der ersten Tat zu belegen, zumal die Strafkammer auch hier einen allein fluchtbedingten Grund für das Fahrverhalten des Angeklagten nicht ausgeschlossen habe.

Indizwert des Fahrverhaltens

Auch mit Blick auf die mitgeteilten Blutwerte verstehe sich – so der BGH – ein Indizwert des Fahrverhaltens des (konsumgewohnten) Angeklagten für seine jeweilige Fahruntüchtigkeit nicht von selbst. Zwar können die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen umso geringer sein, je höher die im Blut festgestellte Wirkstoffkonzentration ist (vgl. BGHSt 44, 219, 225; s. dazu auch BGH VRR 2012, 145 = StRR 2012, 151). Dem stehe aber entgegen, dass die Strafkammer bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten jeweils nicht von einer „manifesten Intoxikation“ ausgegangen sei (vgl. auch BGHSt 44, 219, 225).

III. Bedeutung für die Praxis

Beweisanzeichen für rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit

Die Entscheidung führt die (zitierte) Rechtsprechung des BGH zu den sog. Fluchtfällen fort, bei denen der unter Alkohol – oder Drogeneinfluss stehende Beschuldigte vor der Polizei flieht, um sich dem Zugriff der Polizei zu entziehen. In den Fällen muss vom Tatgereicht immer erörtert werden, ob eine fehlerhafte und riskante Fahrweise des Angeklagten nicht (nur) auf seinem Fluchtwillen beruht, sondern eben auch auf den konsumierten Drogen oder dem Alkoholkonsum. Zwar ist der Tatrichter ist gehindert, auch bei einem Täter, der sich seiner Festnahme durch die Polizei entziehen will, in einer deutlich unsicheren, waghalsigen und fehlerhaften Fahrweise ein Beweisanzeichen für eine rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit zu sehen, er muss dazu nur ausreichende Feststellungen treffen. An der Stelle kann die Verteidigung ansetzen. Eine Aufhebung bringt zumindest Zeitgewinn.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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