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Fahrtenbuch: Feststellung des Fahrzeugführers

1. Die Feststellung des Fahrzeugführers ist auch dann „nicht möglich“ im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO, wenn die Ermittlungen zwar auf einen bestimmten Täter hindeuten, die Bußgeldbehörde jedoch bei objektiver Würdigung der Umstände des Einzelfalls keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Verdächtigen gewinnen konnte.

2. Mit Blick auf die von der Fahrzeughalterin zu fordernde Mitwirkung bei der Ermittlung des verantwortlichen Fahrers kommt dem Einwand, die schlechte Qualität des Messfotos mache es ihr unmöglich, die Person des Fahrers zu identifizieren, regelmäßig keine rechtliche Relevanz zu.

OVG Saarlouis, Beschl. v. 24.8.20221 B 67/22

I. Sachverhalt

Keine eindeutige Angabe der Halterin zum Fahrer

Das VG hat das Begehren der Antragstellerin auf einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid des Antragsgegners, mit dem ihr unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgegeben wurde, für ihr Fahrzeug für 18 Monate ein Fahrtenbuch zu führen, zurückgewiesen. Zugrunde lag eine Geschwindigkeitsüberschreitung mit diesem Fahrzeug. Die Antragstellerin hat den ihr übersandten Anhörungsbogen zwar beantwortet, jedoch nicht angegeben, wer das Fahrzeug geführt habe; sie hat nur ausgeführt, der Pkw stehe „regelmäßig ihrem Ehemann zur Verfügung“. Ihr im Bußgeldverfahren als Betroffener angehörter Gatte berief sich auf sein Schweigerecht und regte unter Verweis auf die schlechte Qualität des anlässlich der Geschwindigkeitsübertretung angefertigten Fahrerfotos an, das Verfahren einzustellen. Der Ermittlungsdienst hat die Wohnanschrift der Antragstellerin in der Folge mehrfach angefahren. Bei einer Gelegenheit gab der Ehemann an, er wisse nicht, wer das Fahrzeug zur Tatzeit geführt habe; es werde auch in der Firma der Antragstellerin eingesetzt; auf dem Messbild erkenne er niemanden. Die Antragstellerin erklärte auf Vorlage des Messbilds, den Fahrer nicht identifizieren zu können. Ihre Beschwerde, der eine eidesstattliche Versicherung des Ehemanns beigefügt wurde, er habe das Fahrzeug geführt, hat das OVG zurückgewiesen.

II. Entscheidung

Grundlagen

Dieses Vorbringen ziehe die Wertung des VG, die Feststellung des Fahrzeugführers sei wegen unzureichender Mitwirkung der Antragstellerin im Verständnis des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO „nicht möglich“ gewesen, nicht in Zweifel. Wie im angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt, setze dieses Tatbestandsmerkmal voraus, dass die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter eines Verkehrsverstoßes festzustellen, obwohl sie in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel alle angemessenen und zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen getroffen hat. Dabei dürfe sich die Ermittlungstätigkeit an den Erklärungen des Fahrzeughalters – bei anwaltlicher Vertretung an den Erklärungen des Anwalts – ausrichten. Der Halter sei für sein Fahrzeug verantwortlich und daher erster Ansprechpartner für die Ermittlungsbehörde. Er sei regelmäßig zur Mithilfe bei der Aufklärung dahingehend verpflichtet, dass er zumindest den Kreis möglicher Fahrzeugführer einschränkt. Unterbleiben solche Angaben oder lehnt der Halter eine Mitwirkung erkennbar ab, so sei es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen nach dem Fahrzeugführer zu betreiben. Allerdings müsse die Verfolgungsbehörde auch in solchen Fällen naheliegenden und mit wenig Aufwand durchführbaren Ansätzen zur Fahrerermittlung nachgehen und das Ergebnis ihrer Bemühungen dokumentieren. (VGH München, Beschl. V. 22.7.2022 – 11 ZB 22.895).

Ungenügende Mitwirkung der Halterin

Nach dieser Maßgabe sei die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Es verfange nicht, wenn die Antragstellerin geltend macht, ihr Verhalten sei für die Nichtfeststellung des Fahrers nicht ursächlich bzw. der Misserfolg der Ermittlungen der Bußgeldbehörde sei ihr nicht „zuzurechnen“; sie habe vielmehr das ihr Zumutbare und Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen, indem sie ihren Ehemann als Fahrer benannt habe. Dabei könne dahinstehen, ob sich die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, auch in Ansehung des gefahrenabwehrrechtlichen Zwecks der Maßnahme als rechtswidrig erweisen kann, wenn sich der Täter des Verkehrsverstoßes im Einzelfall trotz redlicher Mitwirkung des Halters nicht ermitteln ließ. Denn so liege der Fall hier nicht. Ihr Mitwirkungsverhalten lasse sich fallbezogen allenfalls als „ambivalent“ (und unzureichend) beschreiben, nachdem sie der Bußgeldbehörde mitteilen ließ, ihr Fahrzeug stehe „regelmäßig“ ihrem Ehemann zur Verfügung. Diese Angabe habe, zumal abgegeben durch einen professionellen Rechtsanwender, bei verständiger Würdigung Raum für die (auch seitens des Antragsgegners gezogene) Schlussfolgerung gelassenen, es gebe als Ausnahme zu dieser „Regel“ Fälle, in denen die Antragstellerin das Fahrzeug an andere, namentlich indes nicht benannte Personen überlasse. Hinzu komme, dass die Antragstellerin auch bei zwei Vorsprachen des Ermittlungsdiensts nicht erklärte, ihr Ehemann habe den Verkehrsverstoß begangen. Erneut unter Vorlage des Messfotos befragt, habe sie sodann (lediglich) angegeben, sie könne die abgebildete Person nicht identifizieren. Letzteres sei ihr zwar in Ansehung der dürftigen Qualität des Messfotos für sich genommen nicht vorwerfbar. Der Qualität des Messfotos komme in diesem Zusammenhang jedoch keine entscheidende (den Halter entlastende) Bedeutung zu (OVG Saarlouis zfs 2010, 119). Ist eine zweifelsfreie Personenidentifizierung anhand des Fotos nicht möglich, seien weitere angemessene und zumutbare Ermittlungen durchzuführen, bei denen es erst recht auf eine kooperative Mitwirkung des Fahrzeughalters ankommt. Dabei sei der Hinweis des Fahrzeughalters, die schlechte Bildqualität mache es ihm unmöglich, die Person des Fahrers zu identifizieren, regelmäßig ohne rechtliche Relevanz. Denn normalerweise sei der Personenkreis, dem ein Fahrzeughalter sein Fahrzeug anvertraut, überschaubar. Eine in diesem Sinne hinreichende Mitwirkung der Antragstellerin an der Aufklärung des in Rede stehenden Verkehrsverstoßes könne der Senat indes nicht erkennen. Jedenfalls in der Zusammenschau der Erklärungen und des Verhaltens anlässlich der „Hausbesuche“ des Ermittlungsdiensts lasse sich ihren Angaben keine belastbare Aussage dahingehend entnehmen, ihr Ehemann habe das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes geführt.

Kausalität

Diese von der Antragstellerin rechtlich geforderte, indes der Sache nach verweigerte (belastbare) Benennung des Täters/Täterkreises sei unabhängig von der Bildqualität des Messfotos die rechtlich maßgebliche Ursache dafür, dass der für die Geschwindigkeitsüberschreitung verantwortliche Fahrer nicht festgestellt werden konnte. Ihr Einwand, ihr werde das Aussageverhalten ihres Ehemannes angelastet, der als Betroffener einer Ordnungswidrigkeit der Wahrheit nicht verpflichtet gewesen sei, gehe daher fehl. Die Feststellung des Fahrzeugführers sei auch dann „nicht möglich“ im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO, wenn die Ermittlungen zwar auf einen bestimmten Täter hindeuten und eine Person ernsthaft verdächtig ist, die Bußgeldbehörde jedoch bei objektiver Würdigung der Umstände des Einzelfalls keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Verdächtigen gewinnen konnte (OVG Münster VRS 133, 248). Davon sei hier angesichts der schlechten Qualität des Messfotos und dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen auszugehen.

III. Bedeutung für die Praxis

Hier nachvollziehbar

Den Straf- und Bußgeldrechtler erstaunt es immer wieder, wie rigoros die Verwaltungsgerichte vorgehen, sei es bei der Entziehung der Fahrerlaubnis oder hier der Anordnung eines Fahrtenbuchs. Hier jedenfalls ist die Begründung des OVG nachvollziehbar, da die Halterin durch ihr ambivalentes Verhalten offensichtlich ihren Ehemann, der laut eidesstattlicher Versicherung der Fahrer gewesen ist, schützen wollte und deshalb den Sachverhalt verschleiert hat. Ob die anwaltliche Vorlage dieser eidesstattlichen Versicherung, die diesen Zusammenhang noch deutlicher gemacht hat, klug war, sei dahingestellt (zur Mitwirkungsobliegenheit des Halters OVG Münster NJW 2020, 2572 = VRR 3/2021, 27 [Deutscher] = NZV 2020, 543 [Brandmair]; allg. zum Fahrtenbuch Burhoff/Gübner, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 1329).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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